Das Sonnenfeuer aus nächster Nähe
Neu analysierte Daten der Raumsonde Solar Orbiter geben erstmals einen hochaufgelösten Gesamtüberblick über die Sonnenscheibe
Die gesamte Sonnenscheibe in bisher unerreichter Detailschärfe – das zeigen Bilder der sichtbaren Sonnenoberfläche, die Forschende des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung jetzt aus 25 Einzelaufnahmen der Esa-Raumsonde Solar Orbiter erstellt haben. Während der Aufnahme im März 2023 befand sich der Satellit nur halb so weit von Sonne entfernt als die Erde. Hier war die Sonnenscheibe bereits zu groß, um auf ein einzelnes Foto zu passen. Wer in die nun veröffentlichten Aufnahmen der verschiedenen Instrumente hineinzoomt, erkennt, wo die Sonne ihr Temperament entfaltet. Das wabenartige Muster der Oberfläche erinnert an eine kochende Wasseroberfläche, hier steigt Plasma aus dem Sonneninneren auf. Dunkle Sonnenflecken lassen nichts erahnen, sind aber Orte mit besonders starken Magnetfeldern. Und weite Magnetfeldbögen, größer als die Erde, bilden eine Rennstrecke für Sonnenplasma, das dort mit über 100.000 Kilometern pro Stunde entlangpeitscht.
Kein Körper in unserem Sonnensystem ist so dynamisch und vielschichtig wie die Sonne. Um möglichst all ihre Eigenheiten aufzudecken, ist die Esa-Raumsonde Solar Orbiter im Februar 2020 mit insgesamt sechs Messinstrumenten in Richtung unseres Heimatsterns aufgebrochen, um unter und in die verschiedenen Schichten des Hexenkessels zu blicken. Das Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung schickte Hardware für vier der Instrumente mit auf die Reise zum Feuerball. So fängt etwa das Instrument EUI die besonders kurzwellige ultraviolette Strahlung der Sonne ein, die ihren Ursprung vornehmlich in ihrer heißen äußeren Atmosphäre, der Sonnenkorona, hat. Das Doppelteleskop PHI richtet seinen Blick unter die Haut und auf die sichtbare Photosphäre. Dort brodelt es, während Sonnenplasma aus dem Inneren aufsteigt - ein Bild, das an kochendes Wasser erinnert. Das Licht, das von dort abgestrahlt wird, enthält auch Informationen über die Stärke des Sonnenmagnetfeldes und die Bewegungsrichtung des Sonnenplasmas. Die nun veröffentlichten Aufnahmen entstanden aus Messdaten beider Instrumente vom 22. März 2023.
Möglichst nah dran
„Wenn man die Sonne in ihrer Gesamtheit verstehen will, ist es unabdingbar gleichzeitig und mit hoher Auflösung in all ihre Schichten zu schauen“, so Sami K. Solanki, Direktor am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung und wissenschaftlicher Leiter des PHI-Teams. „Das kann Solar Orbiter wie keine Raumsonde vor ihr“, fügt er hinzu. Neben der umfangreichen Instrumentierung ist ein weiterer Vorteil der Raumsonde ihre außergewöhnliche Flugbahn. Sie führt Solar Orbiter auf langgezogenen Ellipsen um die Sonne herum – und so immer wieder auf weniger als ein Drittel des Abstandes zwischen Erde und Sonne an unser Zentralgestirn heran. Das entspricht etwa 42 Millionen Kilometern.
Ein Mosaik aus 25 Einzelbildern
Am 22. März vergangenen Jahres trennten Solar Orbiter etwa 74 Millionen Kilometer von ihrem Forschungsobjekt. Aus dieser „Nähe“ ist die Sonne zu groß, um komplett ins Sichtfeld des hochauflösenden Teleskops von PHI zu passen. Stattdessen gelangen über einen Zeitraum von mehreren Stunden insgesamt 25 Teilaufnahmen, die Forschenden des PHI-Teams nun mosaikartig zu Gesamtansichten der Sonne vereint haben. „Die Informationen, die wir beispielsweise für unsere magnetischen Karten der Sonne benötigen, verstecken sich nur in einem winzigen Teil des eingefangenen Lichtes“, erklärt Johann Hirzberger vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, der die Mosaike erstellt hat. „Die Daten können deshalb an Bord der Sonde kaum komprimiert werden. Wegen des großen Abstandes zur Erde und der vergleichsweise geringen Datenübertragungsrate erreichen uns die riesigen Datenmengen, die so anfallen, zum Teil erst Monate nach der Messung“, fügt er hinzu. Da Solar Orbiter während der Messungen zudem immer weiterfliegt, entstehen die einzelnen Teilansichten alle aus leicht unterschiedlichen Blickwinkeln. Diese Effekte müssen beim „Zusammenpuzzeln“ der Mosaike sorgfältig berücksichtigt werden. Dennoch erwartet das PHI-Team, ähnliche hochaufgelöste Ansichten der gesamten Sonnenscheibe demnächst schneller und zudem regelmäßig etwa zweimal im Jahr zu liefern. Sie werden helfen zu verstehen, wie sich unser Bild der Sonne als Ganzes aus ihren kleinsten Strukturen und Prozessen zusammensetzt.
Die heute veröffentlichten Gesamtansichten der Photosphäre haben eine Auflösung von etwa 175 Kilometern pro Pixel. Damit bleibt ihre Detailschärfe hinter der Genauigkeit der leistungsfähigsten Sonnenteleskope auf der Erde zurück. Das Sonnenteleskop Gregor auf Teneriffa etwa, an dem auch das Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung beteiligt ist, schafft mit seinem 1.5 Meter Spiegel Strukturen von nur 50 Kilometern in einem Pixel abzubilden. Allerdings können die irdischen Sonnenspäher nur einen sehr kleinen Ausschnitt der Sonnenoberfläche hochaufgelöst abbilden. Und wegen der schwierigen Beobachtungsbedingungen auf der Erde, wo ständige Luftturbulenzen den Blick stören, ist es kaum möglich, diese „Sonnenschnipsel“ jemals zu einem Ganzen zusammenzusetzen. Da die Erdatmosphäre zudem die ultraviolette Strahlung von der Sonne größtenteils verschluckt, sind zeitgleiche Aufnahmen der Korona von der Erde aus ebenfalls nicht möglich.
Sonnenflecken und komplexes Magnetfeld
Beim Hineinzoomen in die neuen Sonnenansichten offenbart sich die ganze Komplexität und Schönheit unseres Sterns. Im sichtbaren Licht überzieht ein wabenartiges Muster die Photosphäre. Es ist Ausdruck der heißen Plasmaströme, die im Innern der Sonne aufsteigen, abkühlen und wieder in die Tiefe sinken – ganz ähnlich wie in einem Topf kochenden Wassers. Auch Sonnenflecken, dunkle Bereiche auf der Sonnenoberfläche, sind zu sehen. Wie PHIs magnetische Karte, das Magnetogramm, zeigt, ist in diesen Bereichen das Magnetfeld der Sonne besonders stark. Es verhindert das Aufsteigen heißen Plasmas aus der Tiefe. Im Bereich der Sonnenflecke ist die Sonnenoberfläche deshalb kühler und erscheint dunkler. Die verschiedenen Farben im Magnetogramm stehen für Stärke und Richtung des Magnetfeldes. Die stärksten Felder sind in Rot (nach außen zeigend) und Blau (nach innen zeigend) dargestellt.
Alle elf Jahre herrscht Chaos auf der Sonnenoberfläche
Diese Daten erlauben einen detaillierten Überblick über die extremen Prozesse im Inneren und Äußeren der Sonne. Sie sollen zum Beispiel verraten, wie das Magnetfeld genau entsteht und warum die Sonne alle elf Jahre besonders aktiv ist. Bekannt ist, dass die Sonne rotiert, wie das rot-blau gefärbte Tachogramm in der nebenstehenden Abbildung zeigt, und mit ihr das Plasma in ihrem Inneren, als hätte man ein Goldfischglas einmal kräftig umgerührt. Die Magnetfelder, die so entstehen, wickeln sich durch die Rotation des Plasmaballs regelrecht auf – ein Wirrwarr an Feldlinien, das vor allem über Sonnenflecken auch Schleifen bildet. Entlang dieser Schleifen steigt das Sonnenplasma auf und sinkt wieder zur Oberfläche ab. Auch diese Bewegung ist im Tachogramm erkennbar. Im Falle eines magnetischen Kurzschlusses schleudert die Sonne geladene Plasmateilchen ins All. Wenn diese das Erdmagnetfeld treffen, erstrahlen Polarlichter, während Sonnenteilchen die Erdatmosphäre zum Leuchten anregen. Das hier gezeigte Bild zeigt die Sonne in einer solchen chaotischen und damit aktiven Phase, in der auch mehr Sonnenflecken als sonst auftreten.
Die Sonne ist aber nur alle elf Jahre in diesem Zustand und ansonsten weniger aktiv. Denn eigentlich ist das Magnetfeld der Sonne geordneter und dipolförmig, so wie das der Erde. Auch hier spielt die Rotation eine Rolle, denn so entstehen, so die Theorie, heiße Plasmaströme, die im Inneren der Sonne auf und absteigen und sich wie ein Dynamo mit der Rotation der Sonne im Kreis drehen. Alle 9 bis 13 Jahre polt sich dieses Feld vollständig um und durchläuft dabei auch den beschriebenen chaotischen Zustand.