Längere Konsonanten zeigen Wortanfang an
Konsonanten am Anfang eines Wortes werden in einer Vielzahl von Sprachen systematisch verlängert
Gesprochene Sprache ist ein kontinuierlicher Strom akustischer Signale. Dennoch ist der Mensch in der Lage, schnell und präzise zu erkennen, wann ein Wort endet und ein neues beginnt. Um herauszufinden, wie das möglich ist, hat ein Team von Forschenden die Länge von Konsonanten an verschiedenen Positionen in Wörtern und Äußerungen und in einer Vielzahl von Sprachen gemessen. Es hat herausgefunden, dass Konsonanten am Wortanfang etwa 13 Millisekunden länger sind als andere Konsonanten. Die Forschenden konnten diesen Effekt in einer Vielzahl von Sprachen beobachten, was darauf hindeutet, dass es sich hierbei um ein sprachübergreifendes Muster handelt und um einen der Schlüsselfaktoren zur Identifizierung von Wortanfängen im Sprachfluss.
Die Unterscheidung von Wörtern im Sprachfluss ist eine der schwierigsten Aufgaben beim Verstehen gesprochener Sprache - und doch gelingt sie dem Menschen mühelos. Auch wenn Sprachen nicht eindeutig zu markieren scheinen, wann ein Wort endet und ein neues beginnt. Welche akustischen Signale diesen Prozess erleichtern, ist für die meisten Sprachen der Welt nur unzureichend bekannt und erforscht. Forschende der Vergleichenden Sprachwissenschaft haben nun erstmals ein Muster akustischer Effekte beobachtet, das verschiedenen Sprachen als eindeutige Markierung dienen könnte - die systematische Verlängerung von Konsonanten am Wortanfang.
Die Forscherinnen und Forscher des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie, des CNRS Laboratoire Structure et Dynamique des Langues, der Humboldt Universität zu Berlin und des Leibniz-Zentrums Allgemeine Sprachwissenschaft nutzen für ihre Untersuchungen die Daten des DoReCo-Korpus. Dieses repräsentiert zum einen eine beispiellose linguistische und kulturelle Vielfalt menschlicher Sprache - es enthält Sprachproben von 51 Populationen aus allen bewohnten Kontinenten. Zum anderen liefert es präzise Längenangaben für jeden der über eine Million Sprachlaute im Korpus. “Da sich die Sprachen der Welt zum Teil stark voneinander unterscheiden, sind der Umfang von DoReCo und die Vielfalt der im Korpus enthaltenen Sprachproben entscheidend für die Entdeckung universeller Muster in der menschlichen Sprache über verschiedene Sprachen hinweg”, sagt Frank Seifart, Forscher am CNRS in Paris und an der Humboldt Universität zu Berlin und Mitherausgeber von DoReCo.
Verlängerte Konsonanten am Wortanfang – ein universelles Muster?
"Ursprünglich hatten wir erwartet, die Hypothese zu widerlegen, dass verlängerte Wortanfänge ein universelles Merkmal von Sprache sein könnten. Daher waren wir von den Ergebnissen unserer Analyse sehr überrascht”, sagt Erstautor Frederic Blum, Doktorand am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, der die Studie initiiert und geleitet hat. "Wir haben festgestellt, dass dieses Phänomen tatsächlich in den meisten Sprachen der Welt vorkommt.” In 43 der 51 untersuchten Sprachen gab es eindeutige Hinweise auf verlängerte Wortanfänge. Die Ergebnisse für die restlichen acht Sprachen waren nicht eindeutig.
Das Autorenteam kommt zu dem Schluss, dass die Verlängerung einer von mehreren Faktoren sein könnte, die dem Hörer helfen, Wortgrenzen zu erkennen und gesprochene Sprache in einzelne Wörter zu segmentieren. Andere mögliche Faktoren, wie etwa die artikulatorische Verstärkung, sind noch nicht im Detail untersucht worden. In der vorliegenden Studie konnte für einige Sprachen auch ein Verkürzungseffekt nach einer Pause zu Beginn einer Äußerung festgestellt werden. Dies steht im Einklang mit der Schlussfolgerung der Autoren, dass bei Vorhandensein von Pausen keine zusätzlichen Hinweise auf Wortgrenzen notwendig sind.
Diese Studie trägt zum Verständnis der akustischen Prozesse bei, die allen gesprochenen Sprachen gemeinsam sind. Durch die Konzentration auf so genannte „Nicht-WEIRD“ Sprachen (WEIRD: Western, European, Industrialized, Rich, Democratic) wollen die Forscherinnen und Forscher auch unser Wissen über kognitive Prozesse im Zusammenhang mit Sprache über einzelne Populationen hinweg erweitern.