Gesund altern, länger leben

18. Oktober 2010

Altern ist ein komplexer Prozess, in dessen Verlauf sich körperliche Schäden anhäufen. Mutationen in bestimmten Genen lassen Labortiere insgesamt besser, sprich gesünder altern. Auf Basis dieser Erkenntnis könnten neuartige, breit wirksame Medikamente zur Vorbeugung von Alterserkrankungen entwickelt werden.

»Hätte ich gewusst, dass ich so lange lebe, hätte ich besser auf meine Gesundheit geachtet«, soll der amerikanische Ragtime-Komponist und Pianist Eubie Blake (1883–1983) an seinem 100. Geburtstag gesagt haben, fünf Tage vor seinem Tod. Ein so hohes Alter in körperlicher und geistiger Frische zu erreichen – geht das überhaupt? Schließlich ist Altern ein natürlicher Vorgang, bei dem sich Schäden in Molekülen, Zellen und Geweben des Körpers anhäufen – mit schwer wiegenden Folgen: Die Funktionsfähigkeit lässt nach, und das Sterberisiko steigt. In den Indus­trieländern ist das Alter heute der Haupt­risikofaktor für Krebs, neurodegenerative Leiden und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Sie rangieren auf Spitzenplätzen auf der Liste der häufigsten Todesursachen.

"Hätte ich gewusst, dass ich so lange lebe, hätte ich besser auf meine Gesundheit geachtet"

Genauere Kenntnisse der Mechanismen des Alterns sollten es Forschern ermöglichen, diese Krankheitslast in Zukunft wenigstens zu mindern. Insbesondere können neue Erkenntnisse dazu beitragen, Medikamente und Maßnahmen zu entwickeln, die Alterserscheinungen und altersbedingten Erkrankungen vorbeugen oder diese verzögern1,2. In den letzten Jahren ist die Altersforschung tatsächlich ein großes Stück vorangekommen. Die wohl aufregendste Entdeckung machten Wissenschaftler an Labortieren: Gewisse Muta­tionen einzelner Gene können demnach die gesunde Lebensspanne deutlich ver­längern.

In der Grundlagenforschung dienen Fadenwürmer, Fruchtfliegen oder Mäuse als Modellorganismen. Dies bietet sich an, weil viele biochemische Signalwege – quer durch den tierischen Stammbaum bis zum Menschen – ähnlich blieben3,4. Die Forscher profitieren zudem von vergleichenden Untersuchungen zur Alterungsrate verschiedener Organismen und von so genannten genetischen Assoziationsstudien in Populationen. Beim Menschen wurde zum Beispiel auch experimentell untersucht, wie sich Ernährung und körperliche Aktivität auf den Prozess auswirken5. Hingegen sind klinische Studien zum Altern selten – vor allem wegen des Zeitaufwands.

Altern erwies sich bei all diesen Forschungen als der wichtigste Risikofaktor für zahlreiche Erkrankungen610. Wenn Wissen­schaftler mit gewissen experimentellen Maßnahmen Labortiere vor Alterungseffekten schützen und deren Lebensspanne verlängern konnten, dann trat bei diesen Organismen eine Reihe von altersassoziierten Funktionseinbußen und Krankheiten später oder in abgemilderter Form auf. Somit dürfte die Entwicklung von Medikamenten prinzipiell möglich sein, die auf breiter Front Alterserkrankungen vorbeugen – nicht bloß einer einzelnen Störung, wie gegenwärtig noch üblich.

Allerdings wird das nicht ganz einfach. Ein Beispiel liefert der Signalübertragungsweg, an dem Insulin und so genannte TOR-Proteine mitwirken, denn er spielt eine Schlüsselrolle bei der Alterung von Mäusen. Die Drosselung seiner Aktivität kann zwar die Lebensspanne der Tiere verlängern und deren Gesundheit fördern, das führt jedoch oft auch zu Diabetes mellitus und frühzeitigem Zelltod. Wie sind die Vorteile des Verfahrens ohne diese Nachteile zu haben? Dazu muss man nun weiter »flussabwärts« in der Signalkaskade nach Faktoren suchen, die sich gezielt beeinflussen lassen.

Welcher Art sind aber die Schäden, die zum Altern führen? Wie entstehen sie und welche körpereigenen Systeme können vor ihnen schützen? In einem alternden Organismus treten zahlreiche umfassende Veränderungen auf, die zu differenzieren eine große Herausforderung darstellt. Gewisse Hinweise auf die zu Grunde liegenden Prozesse können sich aus Maßnahmen ergeben, die bei Tieren gesundheitsfördernd und lebensverlängernd wirken. So stellen neuere Befunde etwa die Annahme in Frage, dass vornehmlich oxidative Schäden Ursache des Alterns sind. Stattdessen deutet immer mehr auf andere Einflüsse hin, die mit körpereigenen und körperfremden biologisch wirksamen Stoffen zu tun haben sowie mit zellulären Entgiftungsmechanismen und »falsch gefalteten« Proteinen.

Ära der Altersforschung

Welche Beziehung zwischen Alterungsprozessen und der Entstehung von Alterskrankheiten genau besteht, ist eine der großen Fragen der Forschung. Sowohl Alterungsprozesse als auch Krankheitsmodelle werden dabei zunächst am Tier untersucht. Für die Übertragung auf den Menschen bedarf es dann der Zusammenarbeit mit klinischen Medizinern. Insgesamt muss sich die Altersforschung häufig auf die Expertise anderer Felder stützen.

Besonders wichtig für den Bereich altersbedingter Schäden und Neurodegeneration sind molekulare Chaperone, Faltungshelfer für Proteine. Bedeutende Felder der Altersforschung betreffen auch Stammzellen, Geweberegeneration und Biomaterialien. Und wie so oft in der modernen Biologie ist auch die Mithilfe von Informatikern gefragt. Kurzum: Die Koordination von Forschungen, die unterschiedliche Bereiche der Lebenswissenschaften und der Gesundheitsvorsorge umfassen, wird eine wesentliche Aufgabe der Zukunft sein.

Überdies gilt es, praktische und ökonomische Hürden zu überwinden. Manche Mäuse etwa können über vier Jahre alt werden, und die demographische Analyse erfordert große Zahlen an Tieren. Das bedeutet umfangreiche Tierhaltung. Und natürlich wirft nicht zuletzt die Entwicklung einer breit wirksamen medizinischen Prävention von Alterserkrankungen, so viel versprechend sie ist, besondere Probleme auf: So muss jede Substanz in jahre- oder jahrzehntelangen klinischen Studien getestet und dabei auch Gesunden verabreicht werden. Bis dies allerdings zählbare Erfolge liefert, dürfte es noch einige Zeit dauern.

Noch steckt die Altersforschung also in den Kinderschuhen. Aber sie wird in Zukunft einen immer wichtigeren Beitrag dazu leisten, dass wir bestimmte Erkrankungen wie Morbus Parkinson oder Alzheimer eines Tages wirkungsvoller als bislang bekämpfen können. Für diese Leiden gibt es noch immer keine Vorbeugung oder Heilung – trotz großer Anstrengungen von Forschern verschiedener Disziplinen.

Wir wissen heute, dass Altern nicht nur zum langsamen Funktionsverlust führt, sondern gleichzeitig den verschiedensten altersbedingten Erkrankungen zu Grunde liegt. Ein tieferes Verständnis der Mechanismen des Alterns wird, so steht zu erwarten, in Zukunft zahlreiche Möglichkeiten aufzeigen, wo sich ansetzen ließe. Und das verheißt wiederum die Entwicklung von besseren Medikamenten, die Menschen länger gesund erhalten und gegen verschiedene altersbedingte Erkrankungen schützen. Diese Forschung wird sich profund auf die menschliche Gesundheit auswirken und die Art und Weise revolutionieren, wie Kliniker über Alterskrankheiten denken und sie behandeln. An die Stelle vieler getrennter Interventionen für bestimmte Leiden wird eine breit wirksame vorbeugende Medizin für die Krankheiten des Alters rücken.

Forscher vom Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns in Köln konnten zeigen, dass das Immunsuppressivum Rapamycin das Leben von Fruchtfliegen und Mäusen verlängert. Bei Fruchtfliegen konnte sowohl eine Verstärkung der Mechanismen zur zellulären Reinigung (Autophagozytose) und eine reduzierte S6-Kinase-Aktivität beobachtet werden. Die Ergebnisse versprechen neue Ansätze für ein gesünderes Altern (Bjedov, I. et al., Cell Metab. 11, 35–46, 2010).

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