Elektroantrieb für das Leben
Mit einem einfachen Stoffwechselweg lässt sich die Herstellung energiereicher Wertstoffe direkt mit Strom antreiben
Wenn in der Natur chemische Reaktionen ablaufen, in denen aus einfachen Molekülen energiereiche Verbindungen entstehen, wird Energie benötigt. Bislang war es nicht möglich, für diese Prozesse vom Menschen erzeugte Elektrizität einzusetzen. Forschenden des Max-Planck-Instituts für terrestrische Mikrobiologie in Marburg ist nun ein Durchbruch gelungen: Sie haben einen künstlichen Stoffwechselweg entwickelt, der aus elektrischem Strom den biochemischen Energieträger ATP gewinnt. Dieses lässt sich zur Bildung energiereicher chemischer Verbindungen nutzen, wie zum Beispiel zur Produktion von Stärke und Proteinen. Der Stoffwechselweg aus vier Enzymen ist ein komplett neuer Ansatz auf dem Weg zu einer nachhaltigen, klimaneutralen Bioökonomie.
Das Team um Tobias Erb am Max-Planck-Institut in Marburg erforscht, wie mithilfe der synthetischen Biologie aus einfachen Molekülen Wertstoffe gebildet werden können. Mit einer von ihnen entwickelten künstlichen Fotosynthese konnten sie bereits erfolgreich Kohlendioxid in verschiedene Wertstoffe wie Antibiotika oder Biotreibstoffe umwandeln. Ihre Lösung imitiert dabei die Umwandlung von Kohlendioxid während der Fotosynthese von Pflanzen.
Die künstliche Fotosynthese benötigt jedoch wie ihr natürliches Vorbild Energie. Die chemische Energiewährung in der Natur ist das Adenosintriphosphat, kurz ATP. Seine Energie steckt in den chemischen Bindungen: Die Spaltung der Bindungen setzt Energie frei, die zum Antrieb biochemischer Abläufe genutzt werden kann.
Mit Strom zu ATP
Aus Wind und Sonne erzeugte Elektrizität ist die Hauptalternative zu fossilen Energieträgern. Bislang gab es jedoch keine Möglichkeit, elektrischen Strom direkt in biochemische Reaktionen einzuspeisen. Tobias Erb und sein Team haben nun eine Enzymkaskade entwickelt, die mithilfe elektrischen Stroms ATP herstellen kann. Das ATP wird von vier Enzymen erzeugt. Das zentrale Enzym dieser „AAA-Zyklus“ genannten Kaskade, die sogenannte Aldehyd Ferredoxin Oxidoreduktase (AOR), reduziert eine Säure zu einem Aldehyd. „Dabei wird die elektrische Energie in der Aldehyd-Bindung gespeichert. Die übrigen drei Enzyme sorgen für die Regeneration des Aldehyds. Die frei-werdende Energie wird für die Bildung von ATP genutzt“, erklärt Shanshan Luo, Erstautorin der Studie. Das ATP aus dem AAA-Zyklus kann die für chemische Reaktionen erforderliche Energie bereitstellen, zum Beispiel für die Bildung von Glukose-6-Phosphat – dem Baustein für Stärke – oder die Synthese von Proteinen.
Die AOR stammt von einem selbst in der Wissenschaft kaum bekannten Bakterium namens Aromaticum aromatoleum. Forschenden am Zentrum für Synthetische Mikrobiologie der Philipps-Universität Marburg war es gelungen, die Mikrobe unter sauerstofffreien Bedingungen im Labor zu züchten und zu untersuchen, wie es in der Natur Erdöl abbaut. Dabei haben sie quasi zufällig die AOR entdeckt, die nun als zentraler Energiewandler im AAA-Zyklus dient. „Von Menschen produzierte Elektrizität ließ sich bislang nicht direkt für biochemische Reaktionen nutzen. Mit dem AAA-Zyklus lässt sich nun erstmals direkt elektrische in biochemische Energie umwandeln", sagt Tobias Erb, Direktor am Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie. „Dies ermöglicht die Synthese energiereicher Wertstoffe wie Stärke, Biokraftstoffen oder Proteinen aus einfachen Zellbausteinen, und zukünftig sogar aus Kohlendioxid. Elektrische Energie könnte auf diese Weise über längere Zeiträume in biologischen Molekülen gespeichert werden.“
Schnittstelle zwischen Elektrizität und Biologie
Bis das neue Konzept in der Praxis eingesetzt werden kann, sind jedoch noch erhebliche Forschungsarbeiten nötig. Noch sind die Enzyme nicht stabil genug, sie zerfallen unter Sauerstoff relativ schnell. Außerdem sind die umgesetzten Energiemengen noch sehr klein. Die Forschenden müssen das Konzept deshalb noch weiterentwickeln, bis im industriellen Maßstab elektrische in biochemische Energie umgewandelt werden kann. „Der AAA-Zyklus könnte künftig die Schnittstelle zwischen Elektrizität einerseits und der Biologie auf der anderen Seite darstellen. Dass wir elektrischen Strom direkt in biochemische Reaktionen einspeisen können, ist ein wirklicher Durchbruch“, so Erb.
Das Forschungsprojekt ist Teil von eBioCO2n, einer Kooperation zwischen Max-Planck- und Fraunhofer-Gesellschaft. Ziel der Kooperation ist, in der Grundlagenforschung gewonnene Erkenntnisse zur Anwendung zu bringen und zur Entwicklung neuer Technologien beizutragen. Das Projekt wurde zudem vom Green Talents-Programm der Bundesregierung unterstützt.