Die epigenetisch zerstreute Plazenta
Zwei molekulare Gegenspieler halten Plazenta-DNA in der epigenetischen Schwebe
Normalerweise ist der inaktive Teil unseres Erbgutes in zwei klar verschiedenartig markierte Abschnitte getrennt. Anders die DNA in den Zellen der Plazenta: Hier liegen diese Markierungen wie wahllos über das ganze Genom verstreut. Ein Forschungsteam hat nun in Zellen aus Mäusen entdeckt, dass dafür zwei konkurrierende Enzyme verantwortlich sind, die normalerweise unabhängig voneinander arbeiten. Hier treten sie jedoch erstmals zusammen auf und halten das Plazenta-Erbgut so in einem epigenetischen Schwebezustand.
Wie mit Klebe-Etiketten in einem Kochbuch heftet die Zelle Zusatzinformationen an ihr Erbgut. Enzyme fügen der DNA kleine Kohlenwasserstoffmoleküle (DNA-Methylierung) hinzu und versehen die markierten Abschnitte auf diese Weise mit einer Lesesperre. So ist es beim größten Teil der DNA in den meisten Körperzellen der Fall. Die Startsequenzen von Genen tragen dagegen keine solche Methylmarkierungen. Hier kommt ein Enzymkomplex namens „Polycomb“ ins Spiel, der die Lesesperre auf andere Weise reguliert. Polycomb nimmt chemische Veränderungen nicht an der DNA, sondern an den Proteinen vor, auf die der Erbgutfaden aufgewickelt ist.
Wie Forschende vom Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin und Yale School of Medicine im US-amerikanischen New Haven herausgefunden haben, konkurrieren DNA-methylierende Enzyme und Polycomb um dieselben Erbgut-Abschnitte in den Zellen der Plazenta. Infolgedessen werden beide Typen von Markierungen scheinbar wie wahllos über das gesamte Genom verstreut. Normalerweise überschneiden sich die Aktionsradien der beiden Enzyme nicht. Die Forschenden vermuten daher, dass es sich hierbei um eine bisher unbekannte Art der Genregulation handeln könnte.
Sonderrolle der Plazenta
„Die Methylierung stabilisiert das Genom und nur wenige Abschnitte wie die Promotor-Regionen werden ausgespart, die am Beginn eines jeden Gens auftreten“, erklärt Alexander Meissner, Direktor und Abteilungsleiter am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik. Aus unbekannten Gründen weist das Genom der Plazenta eine geringere Methylierung als gewöhnliche Körperzellen auf, wie Meissners Forschungsgruppe bereits 2017 entdeckte. „Nur bei verschiedenen Krebsarten hat man Ähnliches beobachtet. Wir vermuten deshalb, dass dies biologische Parallelen zwischen Tumoren und Plazenta erklären könnte.“
Die Plazenta hat Eigenschaften, die auch Krebs nützen könnten. Sie schafft es beispielsweise, die Immunabwehr des umliegenden Gewebes zu umgehen. Das ist nötig, weil der Embryo sonst von der Gebärmutter als „fremd“ erkannt und damit abgestoßen würde. Außerdem muss das Organ kräftig wachsen und es lässt für die Nährstoffversorgung zahlreiche Blutgefäße sprießen. Als Filter für Giftstoffe ist es außerdem tolerant gegenüber schädlichen Erbgutveränderungen – immerhin wird es nur relativ kurze Zeit benötigt, bis sich der Körper kurz nach der Geburt davon trennt. All diese Eigenschaften nützen auch einem wachsenden Tumor.
Mäusezellen statt komplexes Organ
Das Plazenta-Genom des Menschen lässt sich aus praktischen und ethischen Gründen während der Entwicklung nicht untersuchen. Und auch bei der Maus wäre dies ausgesprochen schwierig: „Die Plazenta als Teil des Embryos verwächst nach der Einnistung mit dem mütterlichen Gewebe und die Blutgefäße durchdringen sich gegenseitig, sodass man die Zellen kaum getrennt analysieren kann“, sagt Raha Weigert, Forscherin in Meissners Labor.
Daher entschied sich das Team, Zellkulturen von embryonalen Stammzellen von Mäusen zu untersuchen, und zwar den Trophoblast-Stammzellen, aus denen sich später die Plazenta entwickeln würde. Diese Zellen befinden sich in den frühen Embryonalstadien an der Außenseite des Embryos.
Konkurrenz um dieselben Moleküle
Das Forschungsteam analysierte zunächst lange, zusammenhängende DNA-Abschnitte des Plazentagenoms im Detail. So konnte es bestätigen, dass die verstreuten Methyl-Markierungen tatsächlich auf ein und demselben Molekül auftreten. Andere chemische Eigenschaften und die dreidimensionale Struktur des Erbgutfadens waren jedoch unauffällig und unterschieden sich nicht von Befunden aus embryonalen Zellen.
Drastische Unterschiede stellten sie jedoch bei den Gerüstproteinen des Erbguts fest, den Histonen. Diese Proteine werden durch Polycomb-Enzyme chemisch modifiziert und wirken als ein zusätzlicher Lesestopp für die DNA, den die Zelle jedoch normalerweise sehr sparsam einsetzt. „In der Plazenta haben wir einen genomweiten Anstieg von hemmenden Histon-Modifikationen beobachtet“, sagt Sara Hetzel, Wissenschaftlerin in Meissners Team. „Das ist sehr ungewöhnlich und hat uns überrascht.“ Tatsächlich gelang dem Team der Nachweis, dass sich beide Enzyme – Methyltransferasen und Polycomb – um dieselben DNA-Moleküle scharen.
Eine enzymatische Waage
Um zu prüfen, wie sehr Zellen der Plazenta auf die Methylierung ihrer DNA angewiesen sind, behandelten die Forscherinnen und Forscher ihre Zellkultur mit Wirkstoffen, die gezielt methylierende Enzyme hemmen. Methyl-Markierungen gingen mit der Zeit zurück – und nahmen wieder zu, als das Team die Behandlung beendete. „Das ist der Nachweis, dass in der Plazenta anders als in gewöhnlichen Körperzellen ständig methylierende Enzyme aktiv sind – was in unserem klassischen Verständnis der Epigenetik ziemlich ungewöhnlich ist“, sagt Weigert. Wird dagegen umgekehrt das Polycomb-Enzym gehemmt, nimmt die Methylierung zu. „Es scheint eine Art Waage aus den beiden Enzymen zu geben“, sagt Weigert. „Sobald eines weggenommen wird, nimmt das andere überhand.“
Wozu diese enzymatische Waage dient, ist noch unbekannt. Die Forschenden spekulieren, dass es sich um einen bislang unbekannten Typ der Genomregulation handeln könnte. „Wir denken schon, dass dieser komplizierte Mechanismus einen Sinn hat, aber den kennen wir noch nicht“, sagt Meissner. Zukünftige Forschungsprojekte der Gruppe werden sich deshalb mit der Frage auseinandersetzen, was die Genregulation in der Plazenta so besonders macht und was sich dadurch über Tumorerkrankungen und deren Therapie lernen lässt.
mab