Die Wiegen erdähnlicher Planeten

James Webb Weltraumteleskop untersucht vielfältige Fingerabdrücke planetenbildender Gas- und Staubscheiben

Mit dem leistungsstarken Weltraumteleskop James Webb haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erste Daten von Gas- und Staubscheiben um junge Sterne analysiert, in denen sich Gesteinsplaneten bilden. Bereits in diesem frühen Stadium der Planetenentstehung scheinen diese Scheiben chemisch vielfältig und reich an Molekülen zu sein. Darunter: Wasser, Kohlendioxid und organische Kohlenwasserstoffverbindungen wie Benzol sowie Silikate. Sie sind die molekulare Grundlage für komplexe erdähnliche Planeten und ihre Atmosphären. 

Astronominnen und Astronomen haben ihre ersten Ergebnisse in mehreren Fachartikeln veröffentlicht. Sie konzentrierten sich auf die Scheiben um die Sterne GW Lup, EX Lup und J160532, in denen sich Gesteinsplaneten bilden können. Diese sind reich an kohlenstoffhaltigen Verbindungen, darunter komplexe organische Moleküle wie Benzol, oder solche, die Kohlendioxid und Spuren von Wasser enthalten. Wie Fingerabdrücke hinterlassen diese Chemikalien eindeutige Merkmale in Spektren, dem bevorzugten Datentyp in dieser Studie. Ein Spektrum ist eine regenbogenartige Darstellung des Lichts. Es zeigt, wie hell ein astronomisches Objekt bei bestimmten Wellenlängen ist.

Die Daten, die diese Ergebnisse ermöglichten, wurden mit dem Beobachtungsprogramm Minds (Miri mid-Infrared Disk Survey) gewonnen. Das Max-Planck-Institut für Astronomie leitet dieses Programm. Es beobachtet mit dem Instrument Miri die Spektren von Gas- und Staubscheiben um junge Sterne, die im mittleren Infrarotlicht deutlich sichtbar sind. Minds interessiert sich besonders für die Chemie der inneren Bereiche solcher Scheiben. „Der Reichtum an Spektrallinien gibt nicht nur Aufschluss über die chemische Zusammensetzung des Scheibenmaterials. Sie erlaubt uns auch, die physikalischen Bedingungen wie Dichte und Temperatur in diesen planetenbildenden Scheiben direkt dort zu bestimmen, wo die Planeten entstehen“, sagt Thomas Henning, Direktor am Max-Planck-Institut für Astronomie und leitender Forscher des Programms. Astronominnen und Astronomen aus elf europäischen Ländern untersuchen mit Minds auch, wie feste Himmelskörper wie Gesteinsplaneten oder Kometen entstehen.

Herrscht Trockenheit um den jungen Stern GW Lup?

Sierra Grant, Postdoktorandin am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik leitete die Untersuchung der Gas- und Staubscheibe um den Stern GW Lup. „Die warme innere Scheibe um GW Lup scheint ziemlich trocken zu sein. Wir haben zwar eindeutig Kohlendioxid, Cyanidgas und Ethin nachgewiesen, aber viel weniger Wasser als erwartet“, erklärt Grant.

Eine Lücke um den Zentralstern, die kein Gas enthält, würde das Fehlen von Wasser erklären. „Sollte sich dieses Loch bis zwischen die Schneelinien von Wasser und Kohlendioxid erstrecken, würde dies den geringen Wasserdampfgehalt erklären“, sagt Grant. Die Schneelinien markieren ringförmige Zonen in unterschiedlicher Entfernung vom Stern, in denen die Temperaturen auf Werte fallen, bei denen bestimmte chemische Elemente ausfrieren. Die Schneelinie des Wassers liegt näher am Stern als die für Kohlendioxid, da Kohlendioxid bei niedrigeren Temperaturen gefriert als Wasser.

Wenn sich also eine Lücke über die Wasserschneelinie hinaus erstreckt, enthält das Gas außerhalb dieses Bereichs noch Kohlendioxid, aber nur wenig Wasser. Jeder Planet, der sich dort bilden würde, wäre zunächst ziemlich trocken. Eisige Objekte wie Kometen aus dem äußeren Planetensystem könnten dann die einzige nennenswerte Quelle für Wasser sein. Es wäre auch möglich, dass diese Lücke durch einen Planeten entsteht, der dort seine Bahn zieht und dabei die Scheibe stört. In diesem Fall hätte der Planet das Wasser, das in diesen Abständen zum Zentralstern im gasförmigen Zustand vorkommt, während seiner Entstehung angesammelt.

Reiche Kohlenstoffchemie um den Stern J160532

Einfache kohlenstoffhaltige Moleküle wie Kohlenmonoxid und Kohlendioxid hat man auch in vergangenen Studien in den meisten planetenbildenden Scheiben gefunden. Sie bilden die Grundlage für komplexere Kohlenstoffverbindungen, die die Basis für Leben wie auf der Erde sind. Auch in der Scheibe um den Stern J160532 finden Forschende eine reichhaltige und spezielle Kohlenwasserstoffchemie.  

Das Spektrum der Scheibe um den massearmen Stern J160532 zeige warmes Wasserstoffgas und Wasserstoff-Kohlenstoff-Verbindungen bei Temperaturen um 230 Grad Celsius, erklärt Benoît Tabone, der an der Universität Paris-Saclay forscht. Das stärkste spektrale Signal stammt von heißem Ethingas (auch Acetylen genannt), dessen Moleküle jeweils aus zwei Kohlenstoff- und zwei Wasserstoffatomen bestehen.

Weitere ähnlich warme Gase aus organischen Molekülen sind Diacetylen (Butadiin) und Benzol, die beide zum ersten Mal in einer protoplanetaren Scheibe nachgewiesen wurden und wahrscheinlich auch Methan. Dies deutet darauf hin, dass diese Scheibe mehr Kohlenstoff als Sauerstoff enthält. Eine solche Mischung in der chemischen Zusammensetzung könnte auch die Atmosphären der dort entstehenden Planeten beeinflussen. Dagegen scheint Wasser entweder kaum vorhanden zu sein oder ist in eisigen Felsbrocken der kälteren äußeren Scheibe eingeschlossen. Dort wäre das Wasser durch eine Beobachtung des Lichts der Scheibe, wie es in diesen Studien durchgeführt wird, nicht nachweisbar.

Ausbrüche junger Sterne erzeugen die Saat für Planeten

Neben Gas ist auch feste Materie ein typischer Bestandteil protoplanetarer Scheiben. Ein Großteil davon besteht aus Silikatkörnern, im Grunde feinem Sand. Sie wachsen von Nanopartikeln zu zufällig strukturierten, mikrometergroßen Gebilden heran. Werden sie erhitzt, können sie Kristalle bilden. Eine Team um Ágnes Kóspál des Max-Planck-Instituts für Astronomie und des Konkoly-Observatoriums in Budapest hat nun eine Arbeit veröffentlicht, die erklärt, wie solche Kristalle in die Gesteinsbrocken gelangen können, aus denen schließlich Gesteinsplaneten entstehen. Solche Kristalle finden sich auch in Kometen und der Erdkruste. Auch in der Scheibe um den Stern EX Lup fand das Team solche Kristalle. Zeitweise Hitzeschübe, die für den Kristallisationsprozess wichtig sind, könnte der Stern selbst liefern. Dieser ist nämlich für seine regelmäßigen Helligkeitsausbrüche bekannt. Wiederholte Ausbrüche junger Zentralsterne könnten also notwendig sein, damit die Bausteine für Planetensystemene entstehen können.

Die Wiegen erdähnlicher Planeten

„Wir freuen uns auf weitere Neuigkeiten des James Webb Weltraumteleskops“, erklärt Henning. Insgesamt soll das Minds-Programm die Scheiben um 50 junge, massearme Sterne ins Visier nehmen. Die Astronominnen und Astronomen erwarten, in den Daten eine reiche Vielfalt an Wiegen neuer Welten und Planeten zu finden. Dafür bleibt noch viel zu tun. Das Team wird die Modelle verfeinern, die zur Interpretation der Spektren verwendeten wurden und so die Ergebnisse verbessern, sagt Inga Kamp, Wissenschaftlerin des Minds-Programms.

Es ist besonders lohnend, die Entstehung von Planeten um sehr massearme Sterne zu erforschen, also von Sternen, die etwa fünf bis zehn Mal weniger Masse haben als die Sonne. Gesteinsplaneten sind um diese Sterne reichlich vorhanden, und viele potenziell lebensfreundliche Planeten wurden bereits entdeckt. Das Programm Minds befasst sich mit großen offenen Fragen, von der Entstehung erdähnlicher Planeten bis hin zum Ursprung des Lebens auf der Erde.

Überarbeitete Fassung: TB, Wissenschaftsredaktion der MPG 

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