Trauerfeier für Opfer menschenverachtender und rassistischer Forschung

Die Funde menschlicher Knochen vom Dahlem-Campus wurden in Berlin beigesetzt

23. März 2023

Vor rund neun Jahren kamen bei Bauarbeiten und Grabungen auf dem Campus Dahlem unzählige Fragmente menschlicher Knochen ans Licht. Ihre wissenschaftliche Untersuchung legte nahe, dass sie aus der Sammlung des ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Instituts für menschliche Erblehre, Anthropologie und Eugenik stammen. Seit 1948 nutzt die Freie Universität das Gebäude aus dem Jahr 1927. Am 23. März 2023 sind die menschlichen Überreste im Rahmen einer öffentlichen Trauerfeier auf dem Waldfriedhof Berlin-Dahlem beigesetzt worden. Die Freie Universität hatte zusammen mit der Max-Planck-Gesellschaft und dem Landesdenkmalamt Berlin eingeladen. Ein Gedenkstein erinnert jetzt dort an die Opfer menschenverachtender und rassistischer Forschung.

Der Campus Dahlem ist als erster Forschungscampus der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) der historische Nukleus der Max-Planck-Gesellschaft, die 1948 aus der KWG hervorging. Das ist heute noch greifbar, denn in Dahlem forschen drei Max-Planck-Institute und dort befinden sich das Archiv und die Tagungsstätte Harnack-Haus. Doch der Campus erinnert auch an die Verbrechen von Wissenschaftler*innen: Im Gebäude des heutigen Otto-Suhr-Instituts für Politische Wissenschaften der Freien Universität befand sich von 1927 bis 1945 das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik (KWI), das in mehrfacher Hinsicht unethische und menschenverachtende Forschung betrieb. Dazu gehören wissenschaftliche Untersuchungen im postkolonialen Kontext und die Kooperation mit dem NS-Staat. Seit 1943 stand das Institut sogar in direkter Verbindung mit dem Vernichtungslager Auschwitz, woher es über Joseph Mengele menschliche Präparate ermordeter Menschen bezog.

Als Bauarbeiter 2014 auf dem Gelände des ehemaligen KWI Säcke mit Knochenfragmenten zutage förderten, lag der Verdacht nahe, dass diese aus dem Institut stammen könnten und vielleicht sogar von Opfern des Nationalsozialismus. Die Universität übernahm die Federführung, veranlasste weitere archäologische Grabungen und berief eine Forschungsgruppe, die die Grabungsfunde untersuchte. Sie richtete auch gemeinsam mit der Max-Planck-Gesellschaft und dem Landesdenkmalamt Berlin eine Arbeitsgruppe ein, um den Prozess zu begleiten.

2022 präsentierte das Forscherteam unter Leitung von der Archäologin Susan Pollock sein Ergebnis: Es handelt sich um etwa 16.000 überwiegend kleinen Knochenfragmenten von Männern und Frauen aller Altersgruppen. Außerdem fanden die Forschenden Reste von Klebstoff und Beschriftung. Zusammen mit dem Fehlen moderner medizinischer Eingriffe deutet das auf die Herkunft aus älteren anthropologischen oder archäologischen Sammlungen vor 1933. Eine Systematik konnten die Wissenschaftler*innen aber nicht erkennen und wollten deshalb nicht ausschließen, dass manche Knochen aus Kontexten stammen, die direkt mit den nationalsozialistischen Verbrechen zu tun haben. Letztlich konnten sie die Herkunft nicht eindeutig rekonstruieren. Um die Würde der Opfern zu bewahren, verständigte sich die Arbeitsgruppe darauf, die Fragmente nicht weiter invasiv zu untersuchen. Das geschah in Einklang mit den Opferverbänden, darunter der Zentralrat der Juden in Deutschland und der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma sowie die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland.

Am 23. März 2023 sind die menschlichen Überresten in fünf kleinen Holzsärgen auf dem Waldfriedhof in Dahlem in einer stillen Gedenkzeremonie würdig beigesetzt worden. Auf religiöse Riten wurde dabei bewusst verzichtet zugunsten einer interkulturellen Zeremonie als sichtbares Zeichen der Verbundenheit aller Opfergruppen.

Das betonte auch MPG-Vizepräsident Ulmann Lindenberger in seiner Ansprache und mahnte die Verantwortung der Wissenschaft an: Denn „niemals darf es Forschungsziele geben, die als so wichtig und hochrangig angesehen werden, dass sie die Missachtung der Menschenwürde rechtfertigen. Die unverzichtbaren Rechte und die unantastbare Würde des Menschen setzen der Freiheit der Wissenschaft Grenzen.“

In diesem Sinne geht die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und der aktuellen Verantwortung von Forschung weiter.  Denn die Universität bereitet – finanziell auch von der Max-Planck-Gesellschaft unterstützt – eine Dauerausstellung im Altbau des OSI vor. Sie wird voraussichtlich ab 2024 die Geschichte des Ortes dokumentieren und an Verbrechen von Wissenschaftler*innen erinnern.

Bereits heute bietet die MPG Führungen und eine Audioguide-App über den Campus an. Es ist auch ein Angebot für Forschende zum Gespräch über die politischen Erwartungen an Grundlagenforschung und deren Verantwortung.

skie

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