„Es ist wichtig, zur normalisieren, dass Frauen nicht auf ihre Träume verzichten müssen“

Neha Bhatia, Postdoktorandin am Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung, über die indische Botanikerin Janaki Ammal
 

Janaki Ammal (1897-1984) war eine indische Botanikerin, die für ihre Studien über Pflanzenzüchtung, Genetik und Zytogenetik bekannt war. Ihre Forschungen zur Chromosomenzahl bei Pflanzen waren entscheidend für die Auswahl von Pflanzen für die Kreuzung und die Entwicklung ertragreicher Zuckerrohr-, Auberginen- und Magnoliensorten.
 

Was fasziniert Sie besonders an Janaki Ammal ?

Janaki Ammal war eine bahnbrechende indische Botanikerin, die ihre beruflichen Träume verwirklichte und dabei alle zu ihrer Zeit bestehenden Geschlechter- und Kastenschranken überwand. Für mich ist sie ein wunderbares Beispiel dafür, wie wichtig ist, niemals die eigenen Träume aufzugeben. Ich finde ihre Leidenschaft, ihre Beharrlichkeit und ihre Beiträge zur Pflanzenwissenschaft inspirierend - und dass sie gleichzeitig bescheiden und bodenständig blieb.

Welche Auswirkungen hatten Ammals Forschungen zu ihrer Zeit, und wie relevant sind sie nach heute?

Janaki Ammal war die erste Inderin, die in den USA einen Doktortitel in Botanik erlangte (1931), zu einer Zeit, als die meisten Inderinnen kaum weiter als zu einem High-School-Abschluss gelangten, und eine der wenigen asiatischen Frauen, die von der University of Michigan einen Doktorgrad (honoris causa) verliehen bekamen. Sie veröffentlichte ihre Doktorarbeit mit dem Titel "Chromosomenstudien bei Nicandra Physaloides" im Jahr 1932. Im selben Jahr kehrte sie nach Indien zurück und wurde Professorin für Botanik am Maharaja's College of Science in Trivandrum, wo sie bis 1934 Botanik unterrichtete. Ab 1934 arbeitete sie als Genetikerin am Sugarcane Breeding Institute in Coimbatore, wo sie zusammen mit Charles Alfred Barber Forschung betrieb.

Sie gilt als die Frau, die Indiens Zuckerrohr versüßte

 In Indien wurde zwar Zuckerrohr angebaut, aber es war nicht so süß wie die importierte Sorte Saccharum officinarum. Das Institut wollte den einheimischen Zuckerrohranbau in Indien stärken und da es auf Ammals Fachwissen in der Zytogenetik vertraute, wurde ihr die Leitung des Projekts übertragen. Ammal führte mehrere Kreuzungen durch und legte damit den Grundstein für Kreuzungsversuche in Indien, die immer wieder zu verbesserten einheimischen Zuckerrohrsorten mit höherer Süße und besserer Anpassung an die Umweltbedingungen führten.  Ihre Arbeit trug auch zur Analyse der geografischen Verteilung von Zuckerrohrsorten in Indien bei. Ihre bemerkenswerte Forschung, trug somit zur Unabhängigkeit Indiens von Zuckerrohr bei. Ammal gilt heute noch als „die Frau, die Indiens Zuckerrohr versüßte“.

1940 wechselte sie an das John Innes Horticultural Institute in London, wo sie zusammen mit Cyril Dean Darlington den Ursprung und die Evolution von Kulturpflanzen untersuchte. Ihre Arbeit mündete in den „Chromosomenatlas der Kulturpflanzen“, (Chromosome Atlas of Cultivated Plants), den sie zusammen mit Cyril Dean Darlington verfasste. Gemeinsam hatten sie die Chromosomenzahlen von rund 100.000 Pflanzenarten aufgelistet. Diese Arbeit wurde zu einer sehr wichtigen zytologischen Quelle für wirtschaftlich relevante Pflanzen, die Einblicke in deren Züchtungs- und Evolutionsmuster bot. Ihre Zeit am John Innes Horticultural Institute überschnitt sich mit dem Zweiten Weltkrieg. Es wird erzählt, dass sie sich bei nächtlichen Bombenangriffen unter ihrem Bett versteckte, um am nächsten Morgen ihre Forschung weitersetzte - nachdem sie die Glasscherben von den Regalen gekehrt hatte.  

Ihr Name lebt in einer Magnolienart im weltberühmten Garten von Wisley weiter

1946 trat Ammal als Zytologin in die Royal Horticultural Society in Wisley ein und war damit die erste fest angestellte Mitarbeiterin der Gesellschaft. Sie untersuchte die möglichen botanischen Anwendungen von Colchicin, einem chemischen Mutagen, das die Chromosomenzahl von Pflanzen durch Störung der Mitose verdoppeln kann. Magnolia kobus Janaki Ammal, eine Magnolienart mit strahlend weißen Blütenblättern und violetten Staubgefäßen, ist eines der schönen Ergebnisse ihrer Untersuchungen und wurde nach ihr benannt. In dieser Form lebt ihr Name im weltberühmten Garten von Wisley weiter.

 Jawaharlal Nehru, der erste Premierminister Indiens nach der Unabhängigkeit im Jahr 1947, lud sie ein nach Indien zurückzukehren, um die indische Landwirtschaft zu verbessern. Anfang der 1950er Jahre wurde sie zur ersten Direktorin des Zentralen Botanischen Labors der indischen Regierung in Lucknow ernannt. Ammal hatte sich zum Ziel gesetzt, eine nationale Plattform für genetische Studien zu schaffen und die florale Vielfalt Indiens zu sammeln und zu erfassen. Nach der Unabhängigkeit erholte sich Indien noch immer von schweren Hungersnöten, und Ammal trug dazu bei, die biologische Vielfalt der indischen Flora zu identifizieren und zu erhalten.

Während ihrer wissenschaftlichen Laufbahn wurde sie mit mehreren prestigeträchtigen Auszeichnungen geehrt - sie wurde Fellow der Linnean Society of London, der Royal Geographical Society, der Asiatic Society of Bengal, der Royal Asiatic Society, London und der Indian Academy of Sciences.

Als Wissenschaftlerin in Indien war Ammal nicht nur der Diskriminierung aufgrund ihres  Geschlechts, sondern auch der Diskriminierung aufgrundihres Kastenzugehörigkeit ausgesetzt. Wie ist es ihr gelungen, ihren eigenen Weg zu gehen, trotz der vielen Einschränkungen , die Frauen in der Wissenschaft und in der Gesellschaft dieser Zeit im Allgemeinen und - möglicherweise besonders in Indien zu dieser Zeit auferlegt wurden?

Janaki Ammal sah sich von Kindheit mit vielen Herausforderungen konfrontiert. Die meisten ihrer Schwestern gingen arrangierten Ehen ein. Ammal bewies den Mut, einen anderen Weg einzuschlagen und entschied sich für eine wissenschaftliche Laufbahn. Das war eine Ausnahme in einer Zeit, in der Bildung für Frauen und Mädchen sowohl in Indien als auch international kaum zugänglich war.    

Am Institut für Zuckerrohrzüchtung in Coimbatore wurde sie auch aufgrund ihrer Kastenzugehörigkeit marginalisiert und sah sich mit den Vorurteilen des von Männern dominierten indischen Wissenschaftssystems konfrontiert. In einem ihrer Briefe vom August 1938 (Ammal an Darlington, 8. August 1938, Darlington Papers, Bodleian Library, Oxford) erwähnte sie den Besuch des Biologen Reginald Ruggles Gates im Zuckerrohr-Zuchtinstitut

"Es hat sieben lange Monate gedauert, um den Schaden ungeschehen zu machen, den Gates im Laufe eines einfachen Tages in Coimbatore angerichtet hat. Herr Venkatraman [der Leiter des Instituts] war von dem "großen Interesse des Professors an der Arbeit in Coimbatore" - seinem Informationsfundus und seiner liebenswürdigen Art – völlig eingenommen; daher blieben die nicht mir, sondern Venkatraman gegenüber geäußerten Zweifel an der Gültigkeit der Saccharum- Zea-Kreuzung im Gehirn des Experten hängen , und mein Bericht an Nature wurde nicht an den Landwirtschaftsdirektor geschickt, um die notwendige Erlaubnis zu erhalten, sie außerhalb Indiens zu veröffentlichen – ich hätte mich fast entschlossen, das Institut Ergebnis all dessen zu verlassen  …aber ich weigerte mich, mich geschlagen zu geben, und ich bin froh, berichten zu können, dass Venkatraman endlich von der Echtheit der Kreuzung überzeugt ist". 

Ihr Bericht in Nature wurde schließlich 1938 veröffentlicht. Es muss sie viel Mut und Selbstvertrauen gekostet haben, als sie beschloss, sich nicht „geschlagen zu geben“.

Meine Mutter und eine Tante haben mich zu den Naturwissenschaften ermutigt

Was hat Sie zu einer Karriere in der Wissenschaft bewegt? Was hat Ihr Interesse an der Biologie  geweckt?

Meine Mutter, Neeta Bhatia, und meine Tante mütterlicherseits, Meenu Bhatia, haben mich ermutigt, Naturwissenschaften als Studienfach zu wählen. In der Schule habe ich die naturwissenschaftlichen Laborstunden geliebt und schon immer sehnsüchtig darauf gewartet, denn sie fanden nur zweimal pro Woche für jeweils eine Stunde statt. Am meisten fesselte mich die Biologie. Ich kann mich noch an meine Faszination erinnern, als ich zum ersten Mal die Chloroplastenbewegungen in einem Hydrillablatt unter dem Mikroskop sah.

Ich entschied mich dann für ein Bachelor-Studium der Botanik. Das Fachgebiet der Entwicklungsbiologie der Pflanzen habe ich erst in meinem Masterestudium kennengelernt. Der Unterricht war ein visuelles Vergnügen mit tollen Mikroskopie-Bildern und, was noch wichtiger war, mit Konzepten über die verschiedenen Mechanismen der Pflanzenentwicklung. Dort erfuhr ich auch über die Rolle des Pflanzenhormons Auxin und seines Transports bei der Entwicklung von Pflanzenorganen.

Was mich an der Pflanzenentwicklung fasziniert, ist die Tatsache, dass ein Großteil davon postembryonal abläuft und uns daher viele Möglichkeiten bietet, zu verstehen, wie das Leben um uns herum auf verschiedenen Ebenen entsteht, von der Zelle bis zum Organismus.

Was gefällt Ihnen am besten daran, Wissenschaftlerin zu sein? Gab es ein Projekt, das Ihnen besonders gut gefallen hat?  

Was ich an der Wissenschaft liebe, ist es das Unbekannte zu entdecken und Antworten zu finden. Bis jetzt habe ich alle meine Projekte geliebt! Bei jedem musste ich eine andere Frage stellen und neue Fähigkeiten entwickeln. Meine derzeitige Postdoc-Arbeit am MPIPZ bot mir jedoch etwas, für das ich für immer dankbar sein werde: die Betrachtung der Entwicklungsbiologie durch die Brille der quantitativen Ansätze.

Wir brauchen mehr Frauen in Spitzenpositionen, die als Vorbilder sichtbar werden

MINT-Berufe werden immer noch von Männern dominiert. Was muss Ihrer Meinung nach passieren, damit sich mehr Mädchen für MINT-Fächer begeistern und mehr Frauen eine Karriere in MINT-Fächern anstreben?

Was meiner Meinung nach helfen würde, sind mehr Frauen in Spitzenpositionen. Als ich am EMBL Heidelberg promovierte, gab es zwei Frauen in exponierten Positionen - Anne Ephrussi, Leiterin der Abteilung  Entwicklungsbiologie und Eileen Furlong, Leiterin der Abteilung Genombiologie. Als junge Forscherin haben diese Vorbilder mich sehr inspiriert und mir gezeigt, dass solche Karrieren möglich sind.

Glauben Sie, dass wir einen Strukturwandel in der Wissenschaft brauchen, um den Frauenanteil zu erhöhen?

Ja, ich denke, dass ein stärker Fokus auf Teamarbeit und kollaborative Forschung anstelle von Wettbewerb dazu beitragen könnte, einen Teil des Drucks abzubauen und die Vereinbarkeit von Karriere und Familie fördern, was mehr Frauen ermutigen würde, diesen Weg zu wählen.

Halten Sie Mentoring-Programme oder Frauennetzwerke für sinnvolle Maßnahmen, um den Anteil von Frauen in der Wissenschaft zu erhöhen? Gibt es Angebote, die Sie aus eigener Erfahrung als hilfreich empfunden haben?

Ich halte Mentoring-Programme für sehr wichtig und finde sie sollten schon viel früher beginnen, in der Schule oder an der Universität. Was ich während meines Bachelor-Studiums oft von meinen Kommilitoninnen gehört habe ist sowas wie: “Egal wie lange wir studieren, irgendwann wird erwartet, dass wir heiraten und uns um die Familie kümmern.“ Ich hatte das Glück, dass ich immer Unterstützung durch meine Lehrer und Lehrerinnen hatte, sowieso durch meine Familie, meine Vorgesetzten und meinen Partner, die mich alle darin bestärkten, meinen eigenen Weg zu gehen, unabhängig von traditionellen Rollenerwartungen. Ich denke, es ist sehr wichtig, dass es zur Normalität wird, dass Frauen nicht auf ihre Träume verzichten müssen.

 

Habt keine Angst, Fehler zu machen - aus ihnen lernen wir!

Was sind Ihre Vorbilder für Frauen in der Wissenschaft?

Historische Vorbilder sind für mich Marie Curie, Rosalind Franklin und Janaki Ammal. In der Gegenwart möchte ich zwei Namen erwähnen, Anne Ephrussi (EMBL) und Angela Hay (MPIPZ). Anne erzählte in einer ihrer Vorlesungen, dass ihr die Stelle als Leiterin der Abteilung Entwicklungsbiologie kurz nach der Geburt ihres Kindes angeboten wurde. Eine so große Aufgabe mit einem Neugeborenen zu übernehmen, ist nicht leicht. Sie nahm die Herausforderung an und wie wir wissen, mit großem Erfolg! Und in meiner jetzigen Position als Postdoktorandin sehe ich, wie Angela, eine Gruppenleiterin in der Abteilung für vergleichende Entwicklung und Genetik Karriere und Familie vereint. Zudem nimmt sie sich noch die Zeit, allen in der Abteilung zu helfen, die sich mit Bitte um Unterstützung an sie wenden. Und das alles macht sie mit einem Lächeln – das finde ich wunderbar!

Welchen Rat würden Sie jungen Frauen geben, die eine wissenschaftliche Karriere in Betracht ziehen?

Glaubt an euch selbst und an eure Ziele. Lernt, Entscheidungen zu treffen und Nein zu sagen. Habt keine Angst, Fehler zu machen, denn wir lernen aus ihnen. Und eine letzte Sache, die ich von meinem Post-Doc-Betreuer Miltos Tsiantis gelernt habe: "Befreie dich, indem du dich fokussierst.“  Ich denke, das sind sehr wichtige Fähigkeiten.

Gibt es abschließend noch etwas, das Sie über Janaki Ammal sagen möchten?

Ja, ein Schlüsselaspekt ihrer selbstbewussten Persönlichkeit war meiner Meinung nach, dass Ammal  wissenschaftliche Korrespondenz durch Briefe an ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen führte. Ihre Korrespondenz mit Darlington wird in der Bodleian Library in Oxford aufbewahrt und ist ein großartiges Beispiel für den Aufbau wissenschaftlicher Netzwerke über Ländergrenzen hinweg, indem sie die zu ihrer Zeit vorherrschenden Geschlechter- und Rassenschranken überwand.

Ammal leistete nicht nur bemerkenswerte Beiträge zur Pflanzenwissenschaft, sondern setzte sich in ihren späteren Jahren auch nachdrücklich für den Erhalt der einheimischen Pflanzenvielfalt in Indien ein und wurde als Pionierin für einheimische Umweltkonzepte anerkannt.

Neha Bhatia, vielen Dank für dieses Gespräch!

 

1) Doktor, Geeta (2015, 23. Juni). In Erinnerung an Dr. Janaki Ammal, bahnbrechende Botanikerin, Zytogenetikerin und leidenschaftliche Gandhianerin. Scroll.in.

https://scroll.in/article/730186/remembering-dr-janaki-ammal-pioneering-botanist-cytogeneticist-and-passionate-gandhian

2) Mc Neill, Leila. (2019, July 31). The Pioneering Female Botanist Who Sweetened a Nation and Saved a Valley. Smithsonian Magazine.

https://www.smithsonianmag.com/science-nature/pioneering-female-botanist-who-sweetened-nation-and-saved-valley-180972765/

3) Damodaran, Vinita. Jamaki Ammal: Meine Arbeit ist das, was überleben wird. Wissenschaftsgalerie Bengaluru (SGB). Phytopia.

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