„Wir müssen unsere Ideen noch besser selbst verwerten“

Max-Planck-Präsident Martin Stratmann fordert bessere Bedingungen für Start-ups in Deutschland

Die Max-Planck-Gesellschaft ist eine Grundlagenforschungseinrichtung, deren Mission ihr Namensgeber Max Planck einmal wie folgt formuliert hat: „Dem Anwenden muss das Erkennen vorausgehen.“ Erst das Wissen, das über die Gesetzmäßigkeiten in Natur und Gesellschaft, über Strukturen und Zusammenhänge gewonnen wird, schafft die Basis für wirkliche Neuerungen. Auf die Erkenntnisse aus dieser Forschung wird die Welt von morgen oder übermorgen bauen.

Grundlagenforschung ist der wichtigste Weg, innovative Lösungen für bedeutende Probleme zu finden. Aber: Aus der Vielzahl neuer Ideen müssen zunächst einmal jene herausgefiltert werden, die Anwendungspotenzial besitzen. Und dann gilt es, den weiten Weg von der Idee zum marktreifen Produkt zu beschreiten, der nicht nur riskant ist und potenzielles Scheitern einschließt, sondern vor allem auch teuer ist.     

Vor diesem Hintergrund hat die Max-Planck-Gesellschaft bereits 1970 eine der ersten Technologietransfer-Einrichtungen in Deutschland gegründet, die Max-Planck-Innovation GmbH – seinerzeit als Garching Instrumente. Sie hat in den vergangenen 50 Jahren mehr als 4800 Erfindungen betreut und 2900 Lizenzverträge abgeschlossen. Von den insgesamt rund 160, überwiegend von Max-Planck-Innovation begleiteten Ausgründungen sind fast 80 Prozent nach wie vor aktiv, sieben Unternehmen haben sogar den Sprung an die Börse geschafft. Gemessen an ihren Erlösen von rund 500 Millionen Euro, ist Max-Planck-Innovation neben Fraunhofer führend unter den deutschen Technologietransfer-Einrichtungen.

Deutschland hat ein enormes wissenschaftliches Potenzial. Dieses müssen wir für Innovationen in allen Bereichen mobilisieren. In ihrem Gutachten 2019 hat die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) unter der Leitung von Dietmar Harhoff vom Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb auf die besondere Rolle von Start-ups im Innovationssystem hingewiesen, die mit neuen Geschäftsmodellen und Produkten wichtige Impulse für die Wirtschaft liefern. Um mehr Unternehmertum zu stimulieren, hat die Bundesregierung in den vergangenen Jahrzehnten verschiedene Förderlinien für Gründer etabliert. Trotzdem liegt die deutsche Gründungsquote unverändert bei 4,97 Prozent – im Global Entrepreneurship Monitor 2018/2019 schneidet Deutschland mäßig ab. Die Gründungskultur weiter zu stärken, um Gründungen aus der Wissenschaft heraus zu befördern, ist daher eine der zentralen Empfehlungen der EFI-Kommission.

Nobelpreisträger als Gründer

Die Max-Planck-Gesellschaft möchte junge Forscherinnen und Forscher daher ermutigen, die Anwendungspotenziale ihrer wissenschaftlichen Erkenntnisse stärker auszuloten. Wissenschaftliche Exzellenz und wirtschaftlicher Erfolg schließen einander dabei nicht aus. Im Gegenteil: Es sind insbesondere auch die Nobelpreisträger in der Max-Planck-Gesellschaft, die immer wieder die Anwendung in den Blick genommen haben. Manfred Eigen zum Beispiel, der 1967 mit erst 40 Jahren mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet wurde. Mit der Entwicklung sogenannter Evolutionsmaschinen in den 1980er-Jahren setzte er seine Theorien über die Selbstorganisation komplexer Moleküle in die Praxis um. Die Firma Evotec gründete ihr Geschäftsmodell auf Bioreaktoren, die diesen natürlichen Prozess beschleunigen können. Damit lassen sich neue molekulare Wirkstoffe für die Entwicklung von Medikamenten identifizieren. Eigen steuerte zu dem jungen Unternehmen 1993 nicht nur seine Patente und die notwendigen Maschinen bei, er gab auch Kapital und wurde zum Mitgründer der Biotechfirma, die heute zu den erfolgreichsten im MDAX gehört.

Theodor Hänsch, 2005 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet, entwickelte den optischen „Frequenzkamm-Synthesizer“, der es erstmals ermöglicht, die Zahl der Lichtschwingungen pro Sekunde genau zu zählen und Lichtwellenlängen damit exakt zu bestimmen. Die nobelpreisgekrönte Technologie dient heute in zahlreichen Laboren weltweit als Basis für optische Frequenzmessungen und ist Kerngeschäft der von Hänsch und seinen Mitarbeitern gegründeten Firma Menlo Systems.

Und auch der Max-Planck-Nobelpreisträger von 2014, Stefan Hell, ist ein Entrepreneur. Die von ihm entwickelte und mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnete STED-Mikroskopie hat die Lichtmikroskopie in eine neue Dimension katapultiert und ermöglichte erstmals eine optische Auflösung im Nanometer-Bereich. Das STED-Mikroskop sollte allerdings nur das erste in einer ganzen Familie von beugungsunbegrenzten Lichtmikroskopen sein. Hell hat gleich zwei Firmen auf den Weg gebracht: Abberior und Abberior Instruments. Während sich die eine mit der Weiterentwicklung von Fluoreszenzfarbstoffen befasst, fertigt die andere Mikroskope.

Kreative Hotspots für Forschung und Anwendung

Start-ups benötigen aber nicht nur eine innovative Idee bzw. Erfindung – sie benötigen auch ein Umfeld, in dem sie wachsen und gedeihen können. Schon heute gibt es in Deutschland Räume, die die grundlegenden Voraussetzungen dafür mitbringen, wie etwa die Region in und um Stuttgart und Tübingen mit ihren exzellenten Forschungseinrichtungen und einer innovativen Industrielandschaft. Mithilfe von räumlicher Verdichtung wollen wir die Wissensflüsse zwischen Forschungseinrichtungen und Unternehmen verstärken und zugleich Freiräume für Unternehmen und Wissenschaft schaffen, um neue Technologien und Geschäftsmodelle praxisnah zu erproben. Es geht darum, Orte zu schaffen, an denen hoch risikoreiche Projekte und Geschäftsmodelle gewagt werden, ohne dass ein Scheitern als Bedrohung wahrgenommen wird.

Das von der Max-Planck-Gesellschaft initiierte Cyber Valley mit dem in Tübingen und Stuttgart ansässigen Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme als Aggregationskern soll hier Wege aufzeigen. Es entwickelt sich gerade zu einem kreativen Hotspot für wissenschaftliche Fortschritte und ökonomisch erfolgreiche Innovationen auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz – und lockt große wie kleine Unternehmen an. Mit einem Start-up-Netzwerk will das Cyber Valley eine Gemeinschaft von Gründern schaffen. Und auch die Technologiekonzerne Bosch und Amazon investieren hier kräftig. So hat Bosch angekündigt, in Tübingen einen neuen Campus zu errichten, an dem zukünftig etwa 700 KI-Experten forschen sollen, und Amazon plant den Aufbau eines Forschungs- und Entwicklungszentrums innerhalb der nächsten Jahre mit rund 100 Mitarbeitern.

Aber selbst wenn es uns gelingt, mehr Unternehmergeist zu wecken, so brauchen wir neben Erfindern und Managern vor allem auch eines: mehr Kapital. Deutschland ist stark in der Grundlagenforschung. Aber die Möglichkeiten, die sich daraus für die Produktentwicklung und Kommerzialisierung ergeben, werden von heimischen Investoren kaum geschätzt. Stattdessen sind deutsche Start-ups immer stärker auf ausländische Geldgeber angewiesen. Das wachsende Interesse von US-Investoren bestätigt zwar die Qualität der Forschung in unserem Land, birgt aber die Gefahr, dass Know-how und Wertschöpfungspotenzial langfristig weiter abwandern.

Finanzierung von Start-ups in Deutschland verbessern

Dafür finden sich auch bei Max-Planck etliche Beispiele, wie etwa das von Anthony Hyman, Direktor am Dresdener Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik. Zusammen mit dem Whitehead Institute am MIT in Boston hat er Ende 2018 das Biotechunternehmen Dewpoint gegründet. Es verfolgt einen neuen Ansatz, um unter anderem Krebs zu behandeln. Mit Unterstützung des Leitinvestors Polaris Partners wurde das Start-up mit Hauptsitz in Boston und Tochtergesellschaft in Dresden etabliert und konnte in den USA 60 Millionen Dollar Startfinanzierung einwerben. Von solchen Summen können Start-up-Gründer in Deutschland nur träumen. Ein weiteres Beispiel ist das erste 2018 zugelassene RNAi-Medikament, das auf einer Technologie beruht, die am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie entwickelt wurde. Wir hätten diese Technologie gerne in Deutschland gehalten. Deshalb hat die US-Biotechfirma Alnylam seinerzeit lediglich eine Co-Lizenz bekommen, eine zweite ging an die deutsche Ribopharma AG. Doch diese wurde bereits 2003 von Alnylam übernommen, alle Rechte wanderten damit in die USA. Alynlam hat heute einen Börsenwert von mehr als 14 Milliarden und zählt inzwischen mehr als 1000 Angestellte. Und auch die Kommerzialisierung der erfolgreichsten Lifesciences-Erfindung in der Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, das Medikament Sutent, erfolgte über eine Firmengründung in den USA, Sugen Inc. Das Unternehmen wurde schließlich von Pfizer übernommen. Ebenfalls ein US-amerikanischer Pharmakonzern. Entdeckt wurde das Wirkprinzip in den 1990er-Jahren von Axel Ullrich und seinem Team am Max-Planck-Institut für Biochemie.

Um die Finanzierungssituation von Start-ups in Deutschland zu verbessern, wäre daher eine nationale Initiative sehr zu begrüßen, die zur Erhöhung des branchenübergreifend verfügbaren Risikokapitals und zur Erleichterung einer ausreichenden, funktionalen Börsenkapitalversorgung von Start-ups führt.

Gelungenes Beispiel für Medikamentenentwicklung

Wie die Forschung lebt auch der Technologietransfer vom Wandel. Neue Instrumente für die Translation der akademischen Forschung in die Anwendung müssen entwickelt, neue Schwerpunkte gesetzt werden. Mit der Etablierung von unterschiedlichen Inkubatoren, wie zum Beispiel dem Lead Discovery Center (LDC) in Dortmund, ist dies im Bereich der frühen Medikamentenentwicklung in den vergangenen Jahren sehr erfolgreich gelungen. 2019 konnte das LDC gemeinsam mit Partnern einen Fonds mit 60 Millionen Euro für erfolgversprechende Projekte einwerben.

Immer mehr dieser Projekte werden in der Zukunft vermutlich nicht nur über den klassischen Lizenzierungsweg, sondern über Start-ups in die Anwendung finden. Ein Bereich, der bei Max-Planck-Innovation in den kommenden Jahren weiter gestärkt werden soll. Gemeinsam wollen wir in der Max-Planck-Gesellschaft die Innovations- und Entrepreneurship-Kultur verbessern, unter anderem durch die verstärkte Präsenz von Max-Planck-Innovation und durch ergänzende Sensibilisierungsmaßnahmen an den Instituten. Start-ups sollen mit weitestgehend einheitlichen und pauschalierten beteiligungs- und gründungsfreundlichen Lizenzbedingungen, mit der Bereitstellung von Industrieexperten, eigenen „Company-Building“-Aktivitäten mit externem erfahrenem Management („Gründen ohne Gründer“) und einer verbesserten Entrepreneurship-Ausbildung unterstützt werden. Im Bereich IT ist eine enge Kooperation mit dem Cyber Valley geplant. Durch diese und andere Maßnahmen wird Max-Planck-Innovation auch weiterhin eine führende Rolle im Technologietransfer in Deutschland einnehmen können.

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