Dschungelpassion

Andrea Müller vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena erforscht in Peru Pflanzen, die in Symbiose mit Ameisen leben. Hier erzählt sie von ihrer Begeisterung für den Regenwald und davon, wie neben Corona auch protestierende Kokabauern die Freilandarbeit gefährden können.

Regenwald, das ist für mich Natur in Reinform. So viel Leben und Biodiversität findet man sonst nirgendwo auf der Welt. Es begeistert mich immer wieder, frühmorgens von den Vögeln und Affen geweckt zu werden, die klare Luft nach einem tropischen Regenguss einzuatmen und die zahllosen Pflanzen und Tiere zu erleben. Meine Dschungelpassion hat mich schon früher nach Südamerika geführt. Als Praktikantin war ich in Ecuador, um an einem Wiederaufforstungsprojekt mitzuarbeiten. Wir haben damals mitten im Wald gewohnt, drei Stunden Fußmarsch von der nächsten Straße entfernt. Strom gab es nicht, und das Trinkwasser kam aus dem Fluss. Später habe ich den Kontinent allein mit dem Rucksack von Süd nach Nord durchquert. Deshalb war es für mich ein Glücksfall, dass sich am Jenaer Max-Planck-Institut die Gelegenheit ergab, in Peru zu forschen.

In meiner Doktorarbeit untersuche ich Pflanzen der Gattung Tococa, die in Symbiose mit Ameisen leben. Die Insekten finden Unterschlupf in speziellen Hohlräumen, die die Pflanze bereitstellt. Neben einer geschützten Unterkunft bekommen sie auch Nahrung in Form von Nektar. Im Gegenzug verteidigen die Ameisen die Pflanze gegen Fraßfeinde wie Raupen. Mich interessiert, wie das Zusammenleben beider Partner im Detail funktioniert. Kann sich die Pflanze dank ihrer Abwehrstoffe auch dann ausreichend verteidigen, wenn die Ameisen fehlen? Oder lockt sie womöglich sogar gezielt Ameisen an, sobald sie von Raupen befallen wird? Um das herauszufinden, vergleiche ich Pflanzen, die von Ameisen besiedelt sind, mit solchen, von denen ich die Ameisen entfernt habe. Ich sammle Duftproben und Blätter, um am Institut in Jena die chemischen Inhaltsstoffe zu analysieren.

Meine Versuchspflanzen stehen im Tambopata-Nationalpark im Südosten Perus. Die Reise dorthin ist ein Abenteuer: Von Lima aus fliegt man über die schneebedeckten Anden und den Amazonasregenwald nach Puerto Maldonado. Von dort aus geht es im Holzboot auf dem Río Tambopata etwa drei Stunden lang flussaufwärts zur Lodge, vorbei an Wasserschweinen, Schildkröten und Kaimanen, die sich auf Sandbänken sonnen. Die Holzhäuschen der Lodge sind normalerweise von Touristen und Wissenschaftlern aus aller Welt bewohnt. Bei meinem letzten Aufenthalt war allerdings aufgrund von Corona niemand da außer mir und Victor, dem Verwalter der Anlage, und seiner Familie. Wir haben uns regelmäßig zum Essen getroffen und hin und wieder auch zu einer Nachtwanderung. Im Schein der Taschenlampe zeigen sich häufig Frösche, manchmal auch Spinnen und Skorpione. Mit denen habe ich überhaupt kein Problem. Schlangen sind mir dagegen nicht geheuer, zumal es in Peru viele giftige gibt.

Meine sechzig Tococa-Pflanzen wachsen auf einer Lichtung, etwa zehn Minuten von der Station entfernt. Der Fußweg dorthin führt über einen kleinen Fluss mit einer mittlerweile verwitterten Holzbrücke. Die Alukisten mit dem Flüssigstickstoff und den teuren Geräten hinüberzutragen, die ich zur Gewinnung der Duftproben brauche, ist jedes Mal ein Nervenkitzel. Würde den Apparaturen etwas zustoßen, bekäme ich in Peru keinen Ersatz.

Bei einem meiner letzten Freilandaufenthalte konnte ich keine Duftproben sammeln, weil meine Ausrüstung mitten im Nirgendwo auf der Strecke geblieben war: Wenn ich von Lima aus nach Puerto Maldonado fliege, schicke ich die schweren Gerätschaften im Bus voraus. Einmal konnte der Bus tagelang nicht weiterfahren, weil protestierende Kokabauern eine Straßensperre errichtet hatten. Die Kisten kamen erst an, als ich schon wieder abreisebereit war. Mir blieb nichts anderes übrig, als sie auf demselben Weg zurückzuschicken.

Trotz solcher Pannen habe ich meine Experimente inzwischen erfolgreich beendet. Das beruhigt mich, vor allem, weil ich zu Beginn der Coronapandemie viel Zeit verloren habe: Im Frühjahr 2020 saß ich wochenlang in Lima fest, durfte wegen des Lockdowns die Uni nicht betreten und konnte auch keinen Rückholflug nach Europa ergattern. Erst nach sechs Wochen habe ich einen Flug nach Frankreich bekommen, um von dort aus nach Hause zu reisen. Wenn alles gut geht, werde ich meine Promotion im Laufe des nächsten Jahres abschließen. Danach will ich unbedingt noch einmal zurück nach Peru. Was die Zukunft angeht, so hoffe ich, dass sie Ameisenpflanzen oder andere Abenteuer bereithält!

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