Ein Desinfektionsmittel im galaktischen Zentrum

Forschenden gelingt der Nachweis von Isopropanol in der Molekülwolke Sagittarius B2

Vielleicht hat die eine oder der andere Isopropanol buchstäblich schon einmal in der Hand gehabt: Der Alkohol dient dazu, die Haut oder Flächen zu desinfizieren. Dabei kommt dieses Mittel nicht nur auf der Erde vor: Forschende unter der Leitung von Arnaud Belloche vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn haben das Molekül nun erstmals im interstellaren Raum aufgespürt. Beobachtet wurde es in einem „Kreißsaal“ der Sterne namens Sagittarius B2, der sich nahe dem Zentrum unserer Milchstraße befindet. Die Molekülwolke ist das Ziel einer umfangreichen Untersuchung der chemischen Zusammensetzung mit dem ALMA-Teleskop in der chilenischen Atacamawüste.

Seit mehr als 50 Jahren läuft die Suche nach Molekülen im Weltall. Bis heute wurden 276 davon im interstellaren Medium identifiziert. Die Kölner Datenbank für Molekülspektroskopie (CDMS) vereint zahlreiche Messungen zum Nachweis dieser Moleküle und hat in vielen Fällen zu deren Identifikation beigetragen.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen verstehen, wie sich organische Moleküle im interstellaren Medium bilden – insbesondere in Regionen, in denen neue Sterne geboren werden. Und wie komplex diese Moleküle sein können. Dahinter steckt die Motivation, Verbindungen zur chemischen Zusammensetzung von Körpern im Sonnensystem, etwa Kometen, zu finden. Ein besonders geeigneter Ort innerhalb unserer Galaxis ist Sagittarius B2 – ganz in der Nähe des Objekts Sagittarius A*, dem supermassereichen schwarzen Loch im Zentrum der Milchstraße.

 „Unsere Gruppe hat vor mehr als 15 Jahren damit begonnen, die chemische Zusammensetzung von Sagittarius B2 mit dem 30-Meter-IRAM-Radioteleskop zu untersuchen“, sagt Arnaud Belloche vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn, der Erstautor der Veröffentlichung zur Entdeckung von Isopropanol. „Diese Beobachtungen waren erfolgreich und führten zum ersten interstellaren Nachweis einer Reihe von organischen Molekülen.“

Mit ALMA (Atacama Large Millimeter/submillimeter Array), das vor zehn Jahren den Betrieb aufnahm, wurde es möglich, über das hinauszugehen, was mit einzelnen Radioteleskopen in Richtung Sagittarius B2 erreicht werden konnte. So begannen die Forschenden mit einer Langzeitstudie der chemischen Zusammensetzung dieser Wolke mit hoher Winkelauflösung.

Die Beobachtungen haben seit 2014 zur Identifizierung von drei neuen organischen Molekülen (Isopropylcyanid, N-Methylformamid, Harnstoff) geführt. Das jüngste Ergebnis im Rahmen dieses Projekts stellt nun der Nachweis von Propanol (C3H7OH) dar. Propanol ist das größte bisher im interstellaren Raum entdeckte Alkoholmolekül. Es existiert in zwei Formen („Isomeren“) – je nachdem, an welches Kohlenstoffatom die funktionelle Hydroxylgruppe (OH) gebunden ist.

Beim normalen Propanol ist das OH an ein endständiges Kohlenstoffatom der Kette gebunden, beim Isopropanol hängt es am zentralen Kohlenstoffatom der Kette. Beide Isomere ließen sich im ALMA-Datensatz von Sagittarius B2 identifizieren. Es ist das erste Mal, dass Isopropanol im interstellaren Medium und normales Propanol in einer Sternentstehungsregion gefunden wurde.

„Der Nachweis beider Isomere des Propanols ist von einzigartiger Aussagekraft, wenn es darum geht, den Entstehungsmechanismus der beiden Isomere zu bestimmen. Weil sie sich so ähnlich sind, verhalten sie sich auch physikalisch sehr ähnlich, was bedeutet, dass die beiden Moleküle an denselben Orten und zu denselben Zeiten vorhanden sein sollten“, sagt Rob Garrod von der University of Virginia im US-amerikanischen Charlottesville.

Die Identifizierung von organischen Molekülen in den Spektren von Sternentstehungsgebieten ist schwierig. „Je größer das Molekül ist, desto mehr Spektrallinien bei verschiedenen Frequenzen wird es emittieren“, sagt Holger Müller von der Universität Köln. In einer Quelle wie Sagittarius B2 gebe es so viele Moleküle, die zur beobachteten Strahlung beitragen, dass sich ihre Spektren überschneiden und es schwierig sei, ihre „Fingerabdrücke“ zu entwirren und sie einzeln zu identifizieren.

Dank der hohen Winkelauflösung von ALMA war es möglich, Teile der Wolke zu isolieren, die sehr schmale Spektrallinien aussenden. Dies war der Schlüssel zur Identifizierung der beiden Isomere von Propanol. Auch die Empfindlichkeit der Teleskop-Anlage spielte eine wichtige Rolle.

Diese Forschung ist ein langjähriges Projekt, um die chemische Zusammensetzung der unterschiedlichen Regionen von Sagittarius B2 zu untersuchen. Ziel ist es unter anderem, neue interstellare Moleküle zu identifizieren. Der Nachweis eng verwandter Moleküle, die sich in ihrer Struktur leicht voneinander unterscheiden, und die Messung ihres Häufigkeitsverhältnisses ermöglicht es, bestimmte Teile des chemischen Reaktionsnetzwerks aufzuklären. Dadurch wollen die Forschenden die Produktion von Molekülen im interstellaren Medium besser verstehen.

NJ / HOR

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