Frühwarnsystem zur Voraussage von Pflegebedarf bei Covid-19

Algorithmus sagt voraus, welche Covid-19-Patienten das höchste Sterberisiko haben und intensivmedizinisch behandelt werden müssen

Ein am Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften und an der Universität Wien entwickelter Algorithmus kann vorhersagen, welche hospitalisierten Patientinnen und Patienten das höchste Sterberisiko haben und intensivmedizinisch behandelt werden müssen, und dies unabhängig von Immunschutzstatus und Virusvariante. Das Tool, entwickelt von einem internationalen Team um David Gómez-Varela, nutzt dafür künstliche Intelligenz.

Der Algorithmus namens Covid-19 Disease Outcome Predictor (CODOP) könnte Ärztinnen und Ärzten dabei helfen, die Ressourcen für die intensivmedizinische Pflege auf diejenigen zu lenken, die sie am dringendsten benötigen. Dies ist besonders für Länder mit begrenzten Ressourcen von großem Wert. „Das Auftreten neuer Sars-CoV-2-Varianten, der nachlassende Immunschutz und die Lockerung der Schutzmaßnahmen bedeuten, dass wir wahrscheinlich immer wieder einen Anstieg der Infektionen und Krankenhausaufenthalte erleben werden“, erklärt David Gómez-Varela, ehemaliger Max-Planck-Gruppenleiter und derzeitiger Senior Scientist an der Division für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Wien: „Es besteht ein Bedarf an klinisch relevanten und verallgemeinerbaren Triage-Tools, um die Zuweisung von Krankenhausressourcen für Covid-19-Patientinnen und Patienten zu unterstützen. Das gilt besonders an Orten, an denen die Ressourcen knapp sind. Diese Instrumente müssen jedoch dem sich ständig ändernden Szenario einer globalen Pandemie gerecht werden und einfach zu implementieren sein.“

Um ein solches Programm zu entwickeln, nutzten die Forschenden Daten aus routinemäßigen Blutabnahmen von fast 30 000 Patienten, die zwischen März 2020 und Februar 2022 in über 150 Krankenhäusern in Spanien, den USA, Honduras, Bolivien und Argentinien behandelt wurden. Damit waren die Wissenschaflterinnen und Wissenschaftler in der Lage, Daten sowohl von Menschen mit unterschiedlichem Immunstatus – geimpft, ungeimpft und mit natürlicher Immunität – zu erfassen, als auch eine Bandbreite an Erkrankten, die jeweils mit den unterschiedlichen Sars-CoV-2-Varianten infiziert waren: vom Virus, das initial in Wuhan auftauchte, bis zur neuesten Omikron-Variante. „Die Variabilität eines so vielfältigen Datensatzes ist eine große Herausforderung für AI-basierte Vorhersagemodelle“, sagt der Hauptautor Riku Klén, außerordentlicher Professor an der Universität Turku (Finnland).

Frei zugängliches Programm

Der entwickelte Algorithmus verwendet Messungen von zwölf Blutmolekülen, die standardmäßig bei der Aufnahme in das Krankenhaus erhoben werden. Das bedeutet, dass das Vorhersageinstrument leicht in die klinische Versorgung eines jeden Krankenhauses integriert werden kann. Zudem ist CODOP frei zugänglich unter https://gomezvarelalab.em.mpg.de/codop/.

CODOP wurde in einem mehrstufigen Prozess entwickelt, bei dem zunächst Daten von Patienten aus über 120 spanischen Krankenhäusern zum Training der AI auf die Vorhersage von Merkmalen für eine schlechte Prognose (das heißt für Hochrisiko-Patienten) verwendet wurden. Der nächste Schritt bestand darin, sicherzustellen, dass das Tool unabhängig vom Immunstatus oder der Covid-19-Variante der Patienten funktioniert. Daher wurde der Algorithmus an mehreren Untergruppen geografisch weit gestreuter Erkrankter getestet, die entweder ungeimpft oder geimpft waren, und deren Sars-CoV-2-Infektionen das Spektrum der Virusvarianten abdecken. Das Programm zeigte auch in diesem dynamischen Szenario der Pandemie eine gute Leistung, um das Sterberisiko im Krankenhaus vorherzusagen. Das deutet darauf hin, dass die zugrunde liegenden Rohdaten von CODOP aussagekräftige Biomarker dafür sind, ob sich der Zustand einer an Covid-19 erkrankten Person wahrscheinlich verschlechtern wird.

Frühzeitige Vorhersage des Sterberisikos

Um zu prüfen, ob der Zeitpunkt der Blutentnahme die Leistung des Tools beeinflusst, verglich das Team Daten von verschiedenen Zeitpunkten, bevor sich die Patientinnen und Patienten entweder erholten oder starben. Sie fanden heraus, dass der Algorithmus das Überleben oder den Tod von Krankenhauspatienten mit hoher Genauigkeit bis neun Tage vor dem Eintreten eines der beiden Ergebnisse vorhersagen kann. Das Team erstellte zudem zwei verschiedene Versionen des Instruments für den Einsatz unter verschiedenen Bedingungen, in denen die Ressourcen des Gesundheitswesens entweder unter normalem Druck stehen oder überlastet sind. Bei normaler operativer Belastung könnten sich die Ärzte und Ärztinnen für eine „Overtriage“-Version entscheiden, die mit hoher Sensitivität Personen mit erhöhtem Sterberisiko aufspürt, allerdings auf Kosten der Erkennung einiger Personen, die keine kritische Versorgung benötigen. Das alternative „Undertriage“-Modell minimiert die Möglichkeit, fälschlicherweise Menschen mit einem geringeren Sterberisiko auszuwählen, und gibt den Medizinern die Gewissheit, dass sie in Zeiten knapper Ressourcen genau die Menschen mit dem höchsten Risiko behandeln.

„CODOP könnte bei diversen und geografisch gestreuten Patientengruppen wegen der einfachen Anwendung ein wertvolles Instrument in der Klinik sein, insbesondere in Ländern mit begrenzten Ressourcen“, bemerkt David Gómez-Varela. „Wir arbeiten jetzt an einem dualen Nachfolgemodell, das auf das aktuelle Pandemieszenario mit zunehmenden Infektionen und kumulativem Immunschutz zugeschnitten ist. Zudem soll es die Notwendigkeit einer Krankenhauseinweisung innerhalb von 24 Stunden für Patient*innen in der Primärversorgung und Verlegung auf die Intensivstation innerhalb von 48 Stunden für bereits hospitalisierte Personen vorhersagen. Wir hoffen, den Gesundheitssystemen dabei zu helfen, die früheren ‚Pre-Covid-19‘-Standards einer sehr guten Routineversorgung wiederherstellen zu können.“

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