Wie Braunalgen zu Hermaphroditen werden

Übergang von Sexualsystem mit zwei Geschlechtern zum Hermaphroditismus an Braunalgen entschlüsselt

21. März 2022

Ein internationales Team unter Leitung von Max-Planck-Forschenden beschreibt, wie mehrere Braunalgenarten die Unterscheidung in männliche und weibliche Algen aufgegeben haben und zu Hermaphroditen geworden sind. Die Hermaphroditen entstanden wahrscheinlich, indem weibliche Vorfahren männliche Eigenschaften erwarben. Die Arbeit an den Braunalgen-Modellorganismen stellt einen wesentlichen Schritt zu einem besseren Verständnis der molekularen Mechanismen dar, die Übergänge zwischen Sexualsystemen steuern.

Menschen sind wie Amseln, Spargel oder Hanf: Üblicherweise sind sie entweder männlich oder weiblich. Andere Lebewesen hingegen treten als Hermaphroditen auf, die männliche und weibliche Fortpflanzungsorgane in sich vereinen, zum Beispiel Rosen oder Regenwürmer. Darüber hinaus gibt es sogar Arten, bei denen Männchen, Weibchen und Hermaphroditen gleichermaßen in der Population auftreten.

Während Menschen und viele weitere Bewohner des Planeten ihr Geschlecht mittels Geschlechtschromosomen bestimmen, entscheidet sich das Geschlecht von Clownfischen und anderer Lebewesen rein aufgrund ihrer Umgebung. Kurz gesagt: Die Vielfalt der Sexualsysteme ist immens, und ihre Evolution macht oft Übergänge zwischen verschiedenen Sexualsystemen nötig.

Hermaphroditen, die Weibchen ähneln

Ein wichtiger, aber bislang nur unzureichend verstandener Übergang ist der Wechsel von einem Fortpflanzungssystem mit männlichen und weiblichen Individuen zum Hermaphroditismus. Ein internationales Forschungsteam hat nun untersucht, wie vier Braunalgenarten von einem System mit zwei Geschlechtern zum Hermaphroditismus zurückgekehrt sind – und zwar unabhängig voneinander.

In jedem der vier Fälle verglichen die Forschenden zwei Arten, die von einem gemeinsamen Vorfahren abstammten: Je eine der beiden Arten hatte wie ihre Vorfahren getrennte Geschlechter beibehalten, die andere war hermaphroditisch geworden. „Obwohl diese vier Ereignisse vollkommen unabhängig voneinander stattfanden, scheinen sich die ihnen unterliegenden Mechanismen und die Funktionen der beteiligten Gene zu ähneln“, sagt Susana Coelho, Direktorin am Max-Planck-Institut für Biologie Tübingen und Hauptautorin der Studie. „Jedes Mal scheint ein weibliches Individuum Gene erworben zu haben, die mit der Entwicklung männlicher Algen zusammenhängen.“ Tatsächlich ähnelt die hermaphroditische Alge sehr ihren Vorfahrinnen.

Doch der Prozess ist nicht damit abgeschlossen, dass die Alge neue männliche Gene erworben hat. Während des Übergangs zum Hermaphroditismus durchliefen viele Gene, die für die männliche Entwicklung verantwortlich sind, einen schnellen evolutionären Wandel. Trotz der vielen Änderungen ähneln sich die Funktionen der Gene für die männliche Entwicklung, sogar im Vergleich mit nur entfernt verwandten Arten. „Das legt nahe, dass es gemeinsame Anforderungen für die männliche Entwicklung in Abgrenzung zur weiblichen gibt“, schließt Coelho.

Schwierige Partnersuche im Ozean

Der Wechsel von einem Sexualsystem zu einem anderen kann tiefgreifende evolutionäre und ökologische Konsequenzen haben: „Hermaphroditische Selbstbefruchtung ist vergleichbar damit, wenn man mit den eigenen Geschwistern Nachkommen hat – man verliert genetische Vielfalt.“ Doch Hermaphroditismus hat auch Vorteile: „Im Ozean gibt es unseres Wissens keine Bestäuber, und männliche und weibliche Keimzellen werden ins Meerwasser freigesetzt“, erklärt Coelho. „Wenn eine Braunalgenart männliche und weibliche Individuen besitzt, müssen die Keimzellen beider Geschlechter einander von alleine finden – und das ist im riesigen Ozean nicht immer einfach. Daher erscheint es für Algen viel praktischer, sich als Hermaphroditen selbst befruchten zu können.“

Braunalgen haben sich über einen Zeitraum von mehr als einer Milliarde Jahren unabhängig von Tieren und Pflanzen entwickelt. Sie sind in ihren komplexen Gestalten, Lebenszyklen und Fortpflanzungsarten faszinierend vielfältig und werden zunehmend als Modellorganismen zur Erforschung entwicklungsbiologischer und evolutionärer Fragestellungen verwendet. „Bei unseren Braunalgenarten ist der Wechsel von einem Sexualsystem zum anderen recht schnell passiert und liegt noch nicht so lange zurück“, so Coelho. „Das macht Braunalgen zu idealen Modellorganismen dafür, die Mechanismen hinter solch folgenreichen Übergängen zu verstehen.“

 

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