Wenn Teams betrügen

Eine Studie zeigt: Geeignete Regeln für die Haftung können die Compliance in Gruppen erhöhen

Gruppen halten es mit dem Befolgen von Regeln, Normen und Gesetzen weniger streng als Individuen. Es sei denn, jede Person ist für die finanziellen Konsequenzen der Team-Entscheidung selbst verantwortlich. Eine Studie am Max-Planck-Institut für Steuerrecht und öffentliche Finanzen beantwortet die Frage, warum ein Regelbruch im Team leichter geht als alleine und wie man Compliance, also die Regeltreue, fördern kann.

Ob Wirecard-Affäre, CumEx-Skandal oder Abgasmanipulation: Wenn in Organisationen betrogen wird, sind häufig eine ganze Reihe von Personen involviert. Betrügt es sich in der Gruppe leichter als alleine? Den Eindruck, den zahlreiche Betrugsfälle vermitteln, bestätigen Studien aus der Verhaltensökonomie und der Sozialpsychologie. In der Gruppe neigen wir dazu, unehrlicher zu entscheiden als im Alleingang. Sollen wir deswegen ganz auf Teamarbeit verzichten? Woran liegt es, dass Gruppen Regeln und soziale Normen eher über Bord werfen? Und was kann man tun, um sie davon abzuhalten? Um diese für Organisationen und Unternehmen wichtigen Fragen zu beantworten, baten Tim Lohse, Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin und Sven Simon, wissenschaftlicher Referent am Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen, 268 Versuchspersonen zu einem Laborexperiment.

Kontrolle und Sanktionen

Den Teilnehmenden des Experiments wurde zunächst mittels einer Lotterie ein niedriges oder hohes Einkommen zugelost. Anschließend mussten sie ihren Verdienst angeben und wussten: Ein hohes Einkommen muss ich versteuern. Melde ich ein niedriges Einkommen, gehe ich steuerfrei aus, riskiere aber eine Überprüfung. Werde ich mit einer Falschangabe erwischt, muss ich die Steuern nachzahlen und es droht zudem eine Strafe. Damit unterschied sich das Compliance-Experiment von bisherigen verhaltensökonomischen Studien in einem entscheidenden Punkt: Unehrliche Angaben konnten finanziell sanktioniert werden. So konnten die Forscher herausfinden, ob Teams angesichts einer möglichen Überprüfung tatsächlich unehrlicher sind als Individuen. 

„Wir konnten zeigen, dass Teams nicht grundsätzlich unehrlicher entscheiden, sondern nur unter bestimmten Umständen: Wenn ein Mitglied einer Gruppe die wirtschaftlichen Konsequenzen einer Entscheidung voll selbst tragen muss, ist die Gruppe fast genauso ehrlich wie das Individuum. Werden aber die Gewinne und Verluste in der Gruppe geteilt, verhalten sich alle tendenziell unehrlicher“, fasst Sven Simon die Studienergebnisse zusammen. „Um die Compliance einer Gruppe zu erhöhen, empfehlen wir daher Organisationen, Teammitglieder individuell in Haftung zu nehmen.“

Wichtig ist nicht, wer entscheidet, sondern, wer haftet

Die Teilnehmenden bestritten die Einkommensangabe in zehn Runden. Im Experiment wurde zwischen Szenarien variiert, in denen sie die Meldeentscheidung alleine trafen oder gemeinsam mit einer zufällig zugelosten Versuchsperson im Team. Außerdem variierten die Forscher, ob die potenziellen Gewinne und Strafen aus der unehrlichen Entscheidung von den einzelnen Versuchspersonen getragen werden mussten oder innerhalb des Teams geteilt wurden, so dass sie insgesamt die Entscheidungen aus vier unterschiedlichen Szenarien miteinander vergleichen konnten.

Ein Vergleich zwischen individuellen und Teamentscheidungen zeigte zunächst: Teams sind auch angesichts einer möglichen Überprüfung unehrlicher als Individuen. Damit bestätigen die Ergebnisse die bisherige Forschung. Doch eine genauere Analyse, die auch die wirtschaftliche Verantwortlichkeit mit einbezog, barg eine überraschende Erkenntnis: Ob über die Angabe im Team oder von einer Einzelperson entschieden wurde, hatte nur eine geringe, nicht signifikante Auswirkung auf den Regelverstoß. Stattdessen war die Frage der Haftung entscheidend: Wurden die möglichen Gewinne und Kosten aus unehrlichen Angaben im Team geteilt, führte dies zu signifikant unehrlicherem Verhalten.

Finanzielle Überlegungen wichtiger als moralische

„In der Praxis bedeutet dies für Firmen, dass sie weiterhin auf Arbeit in Teams bauen können und nicht zu individuellen Entscheidern und damit zu mehr Hierarchie zurückfinden müssen. Wichtig für die Compliance ist aber, dass jedes Teammitglied voll und nicht nur teilweise für die ökonomischen Konsequenzen der gemeinsamen Entscheidung haftet“, sagt Tim Lohse. Auch eine Auswertung der protokollierten Chats im Zuge der Team-Entscheidungen bestätigte, dass sich die Teammitglieder vor allem um das Risiko einer Überprüfung und um die finanziellen Folgen ihrer Handlung sorgten. Moralische Bedenken bezüglich einer unehrlichen Entscheidung und die Verletzung sozialer Normen spielten nur eine Nebenrolle.

Dass das gemeinsame Entscheiden von Teams als solches nicht zu einem signifikanten Anstieg des unehrlichen Verhaltens führte, ist laut Lohse und Simon gute und schlechte Nachricht zugleich: Positiv ist, dass Teams in Punkto Compliance nicht grundsätzlich schlechter abschneiden als Individuen. Das liegt möglicherweise daran, dass für die Person, die im Team betrügen will, zu der eigenen moralischen Überwindung auch noch hinzukommt, dass sie ihr Teammitglied überzeugen muss, es auch zu tun. Eine schlechte Nachricht wiederum ist, dass es auch dann zum Betrug kommen kann, wenn nur eines von zwei Teammitgliedern profitiert. Im Experiment zeigten sich 70 Prozent der Personen bereit, für das andere Teammitglied zu lügen, auch wenn sie selbst finanziell nichts davon hatten. Eine mögliche Erklärung hierfür ist, dass die moralische Verantwortung für eine Teamentscheidung von der Außenwelt nur derjenigen Person zugeschrieben wird, die finanziell profitiert.

Fromme Lügen und soziales Bedauern

Dass sich bei gemeinsamer Haftung aller Mitglieder Teams unehrlicher verhalten als Individuen, könnte laut den Forschern zwei Ursachen haben: Zum einen wiegt die moralische Verantwortung unter dem Deckmantel der Gruppe möglicherweise leichter. Schließlich kann der oder die Einzelne seinen Fehltritt damit rechtfertigen, dass er ihn nicht (nur) für sich selbst, sondern für die Gruppe tat. Zum anderen reduziert die gemeinsame Unehrlichkeit gewisse soziale Risiken. Geteiltes Leid ist halbes Leid: Das Bedauern darüber, dass eine andere Entscheidung möglicherweise zu höheren Erträgen geführt hätte, wiegt im Team vielleicht weniger stark, weil man mit dem Elend nicht alleine dasteht. Wenn alle zu gleichen Teilen von einer Entscheidung profitieren, fällt der soziale Vergleich nicht zu Ungunsten der oder des einzelnen aus.

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