Forschungsbericht 2021 - Max-Planck-Institut für Astrophysik

Die Entstehung Schwarzer Löcher mittlerer Masse

Autoren
Rizzuto, Francesco; Naab, Thorsten
Abteilungen
Max-Planck-Institut für Astrophysik, Garching
Zusammenfassung
Schwarze Löcher mittlerer Masse sollten das Bindeglied zwischen stellaren und supermassereichen Schwarzen Löchern sein, aber es ist unklar, wie sie entstehen könnten. Junge massereiche Sternhaufen sind vielversprechende Umgebungen für die Entstehung derartiger Objekte. Ein internationales Team unter der Leitung von MPA-Forschern hat realistische Simulationen von Sternhaufen durchgeführt, in denen diese fehlenden Bindeglieder durch das Verschmelzen von Sternen und Schwarzen Löchern entstehen.

Es gibt eindeutige Beobachtungen und theoretische Modelle, die auf die Existenz stellarer Schwarzer Löcher unterhalb einer Masse von 60 Sonnenmassen hinweisen. Sie sind Endprodukte der mehrere Millionen Jahre andauernden Entwicklung massereicher Sterne. Auf kosmologischen Skalen ist das eine kurze Zeit. Es gibt auch direkte Hinweise für die Existenz supermassereicher Schwarzer Löcher mit Millionen von Sonnenmassen und mehr. Das bekannteste befindet sich im Zentrum unsere Milchstraße, und seine Entdeckung wurde mit dem Physiknobelpreise 2020 ausgezeichnet. Bis vor kurzem gab es allerdings keinen Nachweis für die Existenz von Schwarzen Löchern mittlerer Masse (intermediate mass black holes, IMBHs) im Übergangsbereich von stellaren und supermassereichen Schwarzen Löchern. Es existieren allerdings viele Spekulationen über ihre mögliche Entstehung.  

Junge und massereiche Sternhaufen sind vielversprechende Entstehungsgebiete von IMBHs. In diesen gravitativ gebundenen Regionen sind Sterne und stellare Schwarze Löcher mehrere Millionen Mal dichter gepackt als in unserer galaktischen Nachbarschaft (Abbildung 1). Dort können Sterne regelmäßig miteinander und auch mit stellaren Schwarzen Löchern kollidieren. Selbst Schwarze Löcher können unter Abstrahlung von Gravitationswellen miteinander verschmelzen. Aus vielen solcher Kollisionen könnten sich IMBHs bilden. 

Eine internationale Gruppe unter der Leitung unseres Teams hat eine Reihe von realistischen Simulationen der frühen Entwicklungsphase von kompakten, massereichen Sternhaufen durchgeführt, um die Entstehung von Schwarzen Löchern mittlerer Masse zu untersuchen. Diese extrem genauen Simulationen wurden mit der Graphikkarten-beschleunigten Simulationssoftware N-body6++GPU auf den Supercomputern der Max Planck Computing and Data Facility in Garching und dem JUWELS-System am Jülich Supercomputing Center erstellt. Die Simulationen berechneten die Entwicklung und Bewegung jedes einzelnen Sterns im Sternhaufen. Wir berücksichtigten hierbei sowohl die Bahnen von einzelnen Sternen, Doppel- oder Mehrfachsternsystemen als auch Sternkollisionen und Verschmelzungen Schwarzer Löcher.

Die Ergebnisse zeigen, dass Schwarze Löcher mittlerer Masse entstehen können, wenn ein enorm massereicher Stern von bis zu 400 Sonnenmassen – gebildet durch die rasch aufeinanderfolgenden Verschmelzungen mehrerer Hauptreihensterne – von einem stellaren Schwarzen Loch verschlungen wird [1] (Abbildung 2).

In einer von 80 Simulationen mit jeweils 110000 Sternen schlug ein Schwarzes Loch mittlerer Masse einen ganz besonderen Weg ein: Es entstand in vier Generationen von Zusammenstößen mit mehreren stellaren Schwarzen Löchern. In der endgültigen Verschmelzung von zwei Schwarzen Löchern mit 68 und 70 Sonnenmassen bildete sich ein Schwarzes Loch mittlerer Masse mit über 100 Sonnenmassen.

Im Rahmen gängiger Sternentwicklungsmodelle gibt es keine Vorhersagen für Schwarze Löcher in diesem Massenbereich, weswegen Astrophysiker von einer Massenlücke sprechen. Diese IMBHs müssen deshalb durch bislang unberücksichtigt gebliebene Prozesse wie die von uns berechneten Zusammenstöße entstehen.

Weniger als zwei Wochen nach dem Einreichen dieser theoretischen Studie gab die LIGO/Virgo-Gravitationswellen-Kollaboration die Entdeckung der Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher mit 66 und 85 Sonnenmassen bekannt. Dies war der erste direkte Nachweis eines Schwarzen Lochs mittlerer Masse mit 142 Sonnenmassen, das durch das Verschmelzen zweier Schwarzer Löcher entstanden ist. Die hier vorgestellte theoretische Studie hat somit einen möglichen Entstehungsprozess für ein solches Gravitationswellenereignis vorhergesagt.

Literaturhinweise

Rizzuto, F.P. ; Naab, T.; Spurzem, R.; Giersz, M.; Ostriker, J. P.; Stone, N. C.; Wang, L.; Berczik, P.; Rampp, M.
Intermediate mass black hole formation in compact young massive star clusters
Monthly Notices of the Royal Astronomical Society 501, 5257-5273 (2021)
 
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