Forschungsbericht 2021 - Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, Teilinstitut Greifswald

Digitaler Zwilling eines Stellarator-Fusionskraftwerks 

Autoren
Warmer, Felix
Abteilungen
Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, Teilinstitut Greifswald, Greifswald, Forschungsbereich Stellarator-Dynamik und -Transport
Zusammenfassung
Beim Entwurf eines Stellarator-Fusionskraftwerks soll ein „digitaler Zwilling“ helfen, die Auswirkung neuer Technologien, physikalischer Erkenntnisse oder Unsicherheiten zu untersuchen. So könnte man eine nahezu endlose Zahl alternativer Entwürfe parallel untersuchen. Um das Zusammenwirken der Systemkomponenten beschreiben zu können, müssen sie zunächst individuell modelliert werden. In den letzten Jahren ist es im IPP weltweit erstmalig gelungen, eine Reihe dieser Modelle für ein Stellarator-Kraftwerk zu entwickeln und in einer Simulationsplattform zusammenzuführen.
 

Obwohl die Fusionsanlage Wendelstein 7-X im IPP in Greifswald erst Ende 2015 in Betrieb ging, hat sie bereits bahnbrechende Ergebnisse geliefert. Wendelstein 7-X ist ein weitreichend optimierter Stellarator – und damit der erste seiner Art. Das Magnetfeld, welches das heiße Fusionsplasma einschließt, und die Spulen, die das Feld erzeugen, wurden in den 1990er Jahren mit Hilfe aufwändiger Computersimulationen entwickelt.

Ein Ziel dieser Optimierung war es, Energieverluste zu senken, die aus der helikalen Verformung des Magnetfeldes folgen, um ein effizient arbeitendes Fusionskraftwerk verwirklichen zu können. Dass diese Optimierung funktioniert, konnte inzwischen experimentell nachgewiesen werden [1]. Damit ist es möglich, Hochleistungsplasmen zu erzeugen mit einem – für Stellaratoren – neuen Rekord für das Produkt von Plasmadichte, -temperatur und Wärmeisolation. Obwohl die Experimente an Wendelstein 7-X noch am Anfang stehen, sind dies vielversprechende Ergebnisse auf dem Weg zu einem Stellarator-Fusionskraftwerk.

Physikalische Erkenntnisse mit technischen Entwicklungen verbinden

Die wissenschaftliche Herausforderung beim Erarbeiten eines Kraftwerkskonzepts besteht darin, die physikalischen Erkenntnisse mit aktuellen technischen Entwicklungen zu verbinden, um daraus einen ökonomisch attraktiven Kraftwerksentwurf abzuleiten. Besonders anspruchsvoll ist es, alle technischen Komponenten miteinander in Einklang zu bringen. Supraleitende Spulen, Stützstruktur, Kühlsysteme und viele weitere Systeme müssen aufeinander abgestimmt werden und genügend Platz lassen für Fernhantiertechnik während der Wartungszyklen.

Um dieses Problem zu lösen, ließen wir uns von der vierten industriellen Revolution inspirieren. Die Digitalisierung und die damit verbundene Entwicklung moderner Simulationsplattformen öffnet neue Wege, um komplexe technologische Herausforderungen virtuell darzustellen und zu bewältigen. Unser Ziel ist es, einen flexiblen digitalen Zwilling eines Fusionskraftwerks am Computer zu modellieren, mit dem man die Auswirkung neuer Technologien, physikalischer Erkenntnisse oder Unsicherheiten auf den Entwurf untersuchen kann. So könnte man eine nahezu endlose Zahl alternativer Entwürfe parallel untersuchen und die Vielversprechendsten identifizieren. Auch hohen Kostensteigerungen durch Entwurfsänderungen, die häufig im späteren Produktzyklen auftreten, ließe sich damit vorbeugen.

Für den digitalen Zwilling sind Modelle zu entwickeln, die Physik, technische Systeme sowie deren Zusammenwirken beschreiben können. Sie müssen an die zur Verfügung stehende Rechenleistung angepasst sein, um Entwurfsstudien möglichst effizient ausführen zu können. Unsere Arbeit zeigt, dass es zur Entwicklung solcher Modelle kein Standardverfahren gibt. Stattdessen sind individuell für jede Komponente innovative Lösungen zu finden. In den letzten Jahren ist es uns – weltweit erstmalig – gelungen, eine Reihe dieser Modelle für ein Stellarator-Kraftwerk zu entwickeln und in einer Simulationsplattform zusammenzuführen [2, 3].

Beispielhaft sei das Magnetsystem erwähnt: Hier ist es uns gelungen, die Materialeigenschaften von Supraleitern mit Magnetfeldrechnungen und technischen Randbedingungen, etwa den Regeln für eine Schnellabschaltung der Spulen, zu kombinieren. Das Modell erzeugt somit ein funktionstaugliches Spulensystem mit realistischen Abmessungen und Betriebseigenschaften (Abbildung 1).

Allerdings sind noch nicht alle technischen Aspekte eines Stellarator-Kraftwerks abgedeckt. Zum Beispiel arbeiten wir derzeit an Modellen, die die mechanische Spannung in den Spulen und ihrer Stützstruktur hinreichend genau vorhersagen können. Solche Spannungen entstehen vor allem durch die starken elektromagnetischen Kräfte zwischen den Spulen. Für derartige Aufgaben sind oft detaillierte Modellierungen und Simulationen nötig, von denen ausgehend wir dann wieder Rückschlüsse ziehen können, um neue effiziente Modelle zu entwickeln. Der modulare Aufbau unserer virtuellen Simulationsplattform erlaubt es aber mit geringem Aufwand, neue Modelle und Erkenntnisse einzurichten und zu untersuchen.

Zurzeit bearbeiten zahlreiche Expertengruppen an verschiedenen Forschungseinrichtungen spezielle physikalische oder ingenieurstechnische Fragen. Für den Entwurf eines Kraftwerks ist es aber letztendlich nötig, alles in einem systemischen Ansatz zusammenzuführen. Das Systemmodell des digitalen Zwillings bietet eine effiziente und zentrale Brücke, um das dezentrale Expertenwissen zu vereinen. Der digitale Zwilling weckt damit starke Synergie-Effekte in der Forschung und ist ein zentraler Anker, der länderübergreifenden Austausch fördert und Zusammenarbeiten stärkt.

Wir sind davon überzeugt, dass unsere Strategie dazu beitragen kann, die Entwicklung eines Stellarator-Kraftwerks voranzutreiben. Sein digitaler Zwilling könnte neue Wege öffnen, um schneller und kostengünstiger zur Produktion von Fusionsenergie zu gelangen.

Literaturhinweise

Beidler, C.D., Smith, H. M. et al. and the W7-X Team et al.
Demonstration of reduced neoclassical energy transport in Wendelstein 7-X
Nature 596, 221–226 (2021)
Warmer, F., Beidler, C. D., Dinklage, A., Wolf, R. and The W7-X Team
From W7-X to a HELIAS fusion power plant: motivation and options for an intermediate-step burning-plasma stellarator
Plasma Physics and Controlled Fusion 58, 074006 (2016)
Lion, J., Warmer, F., Wang, H., Beidler, C. D., Muldrew,S. I., Wolf, R. C. 
A general stellarator version of the systems code PROCESS
Nuclear Fusion 61, 126021 (2021)

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