Orang-Utan Mütter helfen ihren Kindern beim Lernen

Eine neue Studie zeigt, dass sich Orang-Utan Mütter aktiv am Fertigkeitserwerb Ihrer Jungtiere beteiligen

8. Dezember 2021

Orang-Utans sind ausgezeichnete Mütter. So bleiben sie bis zu dessen zehnten Lebensjahr in engem und ständigem Kontakt mit ihrem Jungtier, was, abgesehen vom Menschen, bedeutend länger als bei den meisten Säugetieren ist. Wie beim Menschen lernen Orang-Utans die Fertigkeiten, die sie zum Überleben brauchen von ihren Müttern bis sie dann mit ungefähr zehn Jahren die Unabhängigkeit im Nahrungserwerbs erlangen. Dazu müssen sie unteranderem lernen, welche Futtermittel wann und wo gefunden werden können und wie sie gefressen werden. Im Gegensatz zum Menschen sind Orang-Utan Mütter jedoch nicht dafür bekannt im Lernprozess ihrer Jungtiere involviert zu sein. So galten sie bislang als passive Rollenmodelle und nicht als aktive Lehrer. Dies war jedoch bevor ein Forscherteam des Max-Planck-Institutes für Verhaltensbiologie in Konstanz nun Hinweise für eine aktive Beteiligung von Orang-Utan Müttern im Fertigkeitserwerb ihrer Jungtiere gefunden hat. Bei der Nahrungsbeschaffung stimmen Orang-Utan Mütter ihr Verhalten auf das Alter und Fertigkeitsniveau ihrer Jungtiere ab, was diesen dann beim Lernen neuer Fertigkeiten hilft. Die Studie bringt neue Erkenntnisse über die Evolution des Lehrverhaltens, dem sogenannten “Teaching” beim Menschen.

Das Forscherteam untersuchte, wie junge Orang-Utans ihre Fertigkeiten zum Nahrungserwerb erlernen. Orang-Utan-Mütter stillen ihre Jungtiere für acht bis neun Monate und somit länger als die meisten Säugetiere. Bis zur Entwöhnung müssen junge Orang-Utans viel lernen, unteranderem das Erkennen und Verarbeiten von mehr als 200 verschiedenen Nahrungsmitteln, wobei viele davon komplexe und koordinierte Verarbeitungsschritte brauchen, bevor sie gefressen werden können. So können zum Beispiel die meisten Blätter und Blüten ohne Verarbeitung direkt gefressen werden, wohingegen Baumrinde zuerst vom Baumstamm entfernt und dann mit den Zähnen abgeschabt werden muss, bevor die Tiere an die essbaren Teile gelangen. Für die verarbeitungsintensivsten Nahrungsmittel werden Werkzeuge benutzt, unter anderem Stöckchen, die zu kleinen Bürsten verarbeitet und dann zum Extrahieren von Honig aus Bienenstöcken gebraucht werden.

Bisherigen Studien zufolge erlernen junge Orang-Utans diese komplexen Fertigkeiten, indem sie bei ihren Müttern abschauen. Jungtiere schauen ihren Müttern beim Fressen genau zu, insbesondere wenn es sich um ein komplexes Futtermittelt handelt. Zudem fordern sie ihre Mütter während Futterinteraktionen dazu auf, etwas vom Nahrungsmittel abzugeben – sprich sie betteln, in dem sie versuchen, das Nahrungsmittel aus den Händen oder dem Mund der Mutter zu nehmen. Warum dieser Lernprozess scheinbar so einseitig ist, blieb bis anhin ein Rätsel. “Es hat uns immer verwundert, dass die Mütter in diesen Futterinteraktionen so passiv schienen”, sagt Caroline Schuppli vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie, die die Studie leitete. “Mütter verbringen so viel Zeit mit ihren Jungtieren und haben eine so enge Bindung, und doch schienen sie nicht aktiv am Fertigkeitserwerb ihrer Jungtiere beteiligt.”

Die Lösung des Rätsels wurde durch einen Mangel an Daten erschwert. “Frühere Studien konzentrierten sich jeweils auf den Standpunkt der Jungtiere”, sagt Schuppli, “und so wussten wir nicht viel über die Bedeutung der Rollenmodelle." Für die Studie hat Schuppli mit Forschern der Universität Zürich, Schweiz, der Universitas Nasional in Indonesien und dem Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig zusammengearbeitet mit dem Ziel, die Rolle der Mütter im Lernprozess zu erforschen.

Daten zur Mutter-Kind-Beziehung

Orang-Utan Mütter helfen ihren Kindern beim Lernen

https://www.youtube.com/watch?v=b5jrX_Dnji8

Das Forscherteam analysierte 1300 Futterinteraktionen zwischen 27 Sumatra Orang-Utan Jungtieren und ihren Müttern, die zwölf Jahre lang im Suaq Balimbing Forschungsgebiet in Sumatra erhoben worden waren. Für jede Interaktion hielten die Forschenden fest, ob die Mutter dem Jungtier erlaubte, das Nahrungsmittel zu nehmen oder ihm dies verwehrte – sprich, ob die Mütter das Betteln tolerierten. Dann analysierten die Forscher, ob die Toleranz der Mutter vom Alter des Jungtieres und den Eigenschaften des Futtermittels abhängt.

Die Resultate zeigen, dass Orang-Utan-Mütter ihren Jungtieren während diesen Futterinteraktionen Lernmöglichkeiten schaffen, in dem sie ihre Toleranz dem Alter der Jungtiere und somit deren Fertigkeitsniveau sowie der Schwierigkeit des erbettelten Futters anpassen. Die Mütter sind während der Zeit, in der die Jungtiere das Erkennen und Verarbeiten des jeweiligen Nahrungsmittels erlernen, am tolerantesten. Zudem zeigen sie bei Nahrungsmitteln, die schwierig zu verarbeiten sind, die höchste Toleranz. So geben die Mütter ihrem Nachwuchs zum Beispiel Nahrungsmittel, für die Werkzeuge gebraucht werden, ehesten ab und tun dies während der gesamten Entwicklungszeit ihrer Jungtiere. Blätter hingegen, die einfach gepflückt und direkt gefressen werden können, teilen die Mütter nur bis zu einem bestimmten Alter mit ihren Jungtieren.

Aktiv am Lernen beteiligt

Die Erkenntnisse der Studie deuten darauf hin, dass Orang-Utan-Mütter aktiver am Fertigkeitserwerb ihrer Jungtiere beteiligt sind als angenommen . Jedoch tun sie dies auf eine reaktive und nicht proaktive Art. Interessanterweise kam aktives Teilen des Futtermittels sehr selten vor. Das bedeutet, dass Orang-Utan Jungtiere beim Lernen die Initiative selbst ergreifen müssen. Damit unterscheiden sich Orang-Utans grundsätzlich von uns Menschen, wo aktives Lehren eine zentrale Rolle spielt und Rollenmodelle generell sehr proaktiv sind. Orang-Utan Mütter unterscheiden sich diesbezüglich auch von Schimpansen-Müttern, die etwas proaktiver zu sein scheinen. “Die Resultate unserer Studie geben neuen Einblick in die Faktoren, die der Evolution von Lehren, dem sogenannten „Teaching” zugrunde liegen”, sagt Schuppli. “Teaching kommt im Tierreich zwar selten vor aber in bemerkenswert unterschiedlichen Arten. Unsere neuen Erkenntnisse zeigen, dass Orang-Utans zumindest einige, wenn nicht alle der kognitiven, ökologischen und sozialen Voraussetzungen für Teaching besitzen."

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