Forschungsbericht 2021 - Max-Planck-Institut für Kernphysik

Nachglühen von Gammastrahlenausbrüchen: erzwingen TeV-Photonen ein Umdenken?

Autoren
Reville, Brian
Abteilungen
Theorie astrophysikalischer Plasmen
Zusammenfassung

Nach rund einem Jahrzehnt der Suche nach sehr energiereicher Gammastrahlung aus dem Nachglühen von Gammastrahlenausbrüchen ist deren Nachweis nun endlich gelungen. Diese weit entfernten Quellen lassen sich nur schwer beobachten, da das Universum für so energiereiche Photonen über kosmologische Distanzen hinweg wenig durchsichtig ist. Dennoch folgten auf unsere erste Entdeckung 2018 rasch weitere. Die Ergebnisse stellen das übliche Modell auf den Prüfstand und offenbaren mögliche Schwachpunkte. Das sichert der Erforschung von Gammaausbrüchen bei sehr hohen Energien eine glänzende Zukunft.
 

Gammastrahlenausbrüche (engl.: Gamma Ray Bursts - GRBs) sind die energiereichsten Ereignisse im Universum, die wir heute kennen. Vermutlich stehen sie mit der Verschmelzung oder Geburt von kompakten Objekten wie Schwarzen Löchern oder Neutronensternen in Zusammenhang. Dabei konzentrieren sich in extrem kurzer Zeit große Energiemengen in einer vergleichsweise geringen Masse von Teilchen. Die Materie wird auf ultra-relativistische Geschwindigkeiten beschleunigt, die der Lichtgeschwindigkeit erstaunlich nahe kommen. Dies macht GRBs und insbesondere ihr Nachglühen zu wertvollen Laboratorien für plasma- und teilchenphysikalische Studien unter extremen Bedingungen.

Gammastrahlenausbrüche: Blitz und Nachglühen

Das früheste Stadium eines GRB entdecken in der Regel speziell dafür entwickelte Satelliteninstrumente. Sie messen den Blitz (die prompte Emissionsspitze), der bei Photonenenergien in der Größenordnung von 100 Kiloelektronenvolt auftritt. Dieser Ausbruch kann zwischen weniger als einer Sekunde (kurze GRBs) und mehreren Sekunden bis Minuten (lange GRBs) dauern; in seltenen Fällen wurden auch extrem lange GRBs von mehreren Stunden beobachtet. Auf diesen Blitz folgt ein länger andauerndes Nachglühen, das vermutlich von einer Schockwelle herrührt, die das relativistisch expandierende Material der Explosion in das umgebende Medium treibt (siehe Abbildung 1). Das Nachglühen von GRBs trägt entscheidend zu unserem heutigen Verständnis dieser weit entfernten Ereignisse bei, und zwar sowohl im Hinblick auf ihre kosmologischen Ursprünge als auch auf die Identifizierung eines möglichen Zusammenhangs zwischen bestimmten Klassen von GRBs und dem Tod massereicher Sterne in Form von Supernova-Explosionen.

Anders als für die prompte Phase sind die theoretischen Modelle für das Nachglühen wesentlich besser entwickelt, da für die Dynamik und Entwicklung der Druckwelle eine bekannte analytische Lösung vorliegt [1]. Dies bietet einen zuverlässigen Rahmen, innerhalb dessen sich die Modelle zur Teilchenbeschleunigung aufbauen und ihre Parameter einschränken lassen, die zur Erklärung der Beobachtungen bei vielen verschiedenen Wellenlängen erforderlich sind.

Ultrahochenergetische kosmische Strahlung

Gewöhnlich zeigt sich das Nachglühen im Radio- und Röntgenbereich, was keine Anwesenheit von extrem energiereichen Teilchen voraussetzt. Andererseits gelten GRBs und ihr Nachglühen als mögliche Produzenten der energiereichsten Teilchen im Universum, der so genannten ultrahochenergetischen kosmischen Strahlung (UHECR). Man nimmt an, dass der Großteil der kosmischen Strahlung in unserer Galaxis aus Supernova-Überresten stammt, obwohl bisher nur eine Handvoll solcher Quellen mit bodengestützten Gammastrahlen-Observatorien entdeckt wurde. Der Nachweis hochenergetischer Gammastrahlen von mehr als 100 Gigaelektronenvolt bis zu einigen Teraelektronenvolt (TeV) im Nachglühen von GRBs mit diesen Instrumenten [2-4] bestätigt, dass dort Teilchen vorhanden sind mit Energien, die mindestens denen in Supernova-Überresten entsprechen. Beobachtungen des Nachglühens rücken somit Fragen nach den Grenzen der Teilchenbeschleunigungsmechanismen in den Fokus.

Bis heute gibt es keinen Beobachtungsnachweis dafür, dass UHECRs in den Ausströmungen von GRBs erzeugt werden. Sie sind jedoch eines der wenigen astrophysikalischen Systeme mit ausreichender Leistung, um den auf der Erde beobachteten Fluss zu erklären. Die plausibelste Theorie für die Erzeugung von UHECRs ist, dass die Teilchen Energie gewinnen, indem sie die Schockfront wiederholt hin und her durchqueren. Dies setzt jedoch dafür günstige Bedingungen in der Nähe der Schockfront selbst voraus. Da sich diese physikalischen Bedingungen in irdischen Laboratorien nicht herstellen lassen, sind wir auf umfangreiche numerische Simulationen angewiesen, um den notwendigen Einblick in die komplexen plasmaphysikalischen Prozesse zu erhalten, die bei diesen relativistischen Schocks ablaufen. Im letzten Jahrzehnt hat sich ein insgesamt konsistentes Bild herausgebildet, und die durch diese Simulationen gewonnenen Erkenntnisse führten uns zu theoretischen Modellen der Teilchenbeschleunigung, die anhand von Beobachtungen überprüfbar sind [5].

Jüngste Beobachtungen fordern Theorie heraus

Die jüngste Entdeckung des nahe gelegenen GRB 190829A [4] durch das High Energy Stereoscopic System – das sind fünf atmosphärische Tscherenkow-Teleskope in Namibia – bietet die beste Gelegenheit, bestehende Theorien kritisch zu überprüfen. Das Ereignis geschah in einer Entfernung von nur einer Milliarde Lichtjahren von der Erde, und wir konnten seine Entwicklung nach dem ersten Ausbruch drei Nächte lang beobachten. So erhielten wir einen einzigartigen zeitlich und nach unterschiedlichen Energien aufgelösten Datensatz. Interessanterweise scheinen die Daten sowohl im Röntgen- als auch im Gammabereich für dieses GRB-Nachglühen nicht zu den üblichen Modellannahmen zu passen [4,5]. Dies weist auf eine Lücke in unserem Wissen hin, auch wenn abzuwarten bleibt, ob diese Erkenntnisse auf jedes GRB-Nachglühen zutreffen. GRB 190829A könnte völlig einzigartig sein, und die Emission wäre von einer zusätzlichen, bisher unerforschten Komponente dominiert gewesen. Um diese Fragen zu klären, sind zukünftige Beobachtungen im Bereich der sehr energiereichen Gammastrahlung erforderlich, ergänzt von Messungen bei mehreren anderen Wellenlängen (siehe Abbildung 2).

Die jüngsten Entdeckungen mit aktuellen Instrumenten deuten darauf hin, dass die Observatorien der nächsten Generation in der Lage sein werden, uns eine zuverlässige Datenbasis zu liefern, auf der wir neue theoretische Modelle testen und verfeinern können. Die Lösung der Diskrepanzen, die sich jetzt zeigen, kann möglicherweise zu unerwarteten Entdeckungen führen. Dies macht die Zeit für GRB-Beobachter und -Theoretiker sehr spannend.

Literaturhinweise

Blandford, R. D.;  McKee, C. F.
Fluid dynamics of relativistic blast waves
The Physics of Fluids, 19, 1130, (1976)
H.E.S.S. Collaboration
A very-high-energy component deep in the Gamma-ray Burst afterglow
Nature 575, 464–467 (2019)
MAGIC Collaboration
Teraelectronvolt emission from the γ-ray burst GRB 190114C
Nature 575, 455–458 (2019)
H.E.S.S. Collaboration
Revealing x-ray and gamma ray temporal and spectral similarities in the GRB 190829A afterglow
Science 372, 1081 (2021)
Huang, Z. Q.; Kirk, J. G.; Giacinti, G.; Reville, B.
The implications of TeV detected GRB afterglows for acceleration at relativistic shocks
The Astrophysical Journal, 925, 182 (2022)
 

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht