Hangtest für Sunrise III

Das ballongetragene Sonnenobservatorium bereitet sich auf den nächsten Forschungsflug vor

Das Sonnenobservatorium Sunrise III, das im Frühsommer nächsten Jahres die Sonne an einem Heliumballon aus einer Höhe von 35 Kilometern beobachten wird, hat heute am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen einen wichtigen Meilenstein erreicht: Erstmals konnten die wissenschaftlich-technischen Teams eine Messung mit Sonnenlicht durchführen. Beim sogenannten „Hangtest“ öffnete sich das riesige Tor der MPS-Ballonhalle, um dem Observatorium so den direkten Blick in die Sonne zu ermöglichen. Der Test ist ein wichtiger Teil der aktuellen Vorbereitungen für den mehrtägigen Stratosphärenflug im nächsten Jahr. Dabei wird das Observatorium wertvolle Messdaten aus der unteren Atmosphäre der Sonne, der Chromosphäre, einfangen.

Gegen 10.45 Uhr öffnete sich das neun Meter hohe Tor zur Ballonhalle des MPS am Justus-von-Liebig-Weg in Göttingen. Mithilfe des Hallenkrans hatten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zuvor die sieben Meter hohe Strebenkonstruktion, das in seiner Flugkonfiguration Sonnenteleskop, wissenschaftliche Instrumente, ein System zur Bildstabilisierung und die Bordelektronik enthält, im Innern der Halle bis kurz vor die riesige Öffnung transportiert. Strahlender Sonnenschein - es kann losgehen.

Etwa sieben Monate vor dem geplanten Start der Mission Sunrise III sind die Vorbereitungen am MPS in vollem Gange. Fast alle Subsysteme sind funktionsbereit: das Teleskop, das mit seinem 1-Meter-Hauptspiegel das Herzstück von Sunrise III bildet; die Instrumente SUSI (Sunrise UV Spectropolarimeter and Imager) und SCIP (Sunrise Chromospheric Infrared Spectro-Polarimeter), die vom MPS sowie von einem japanischen Konsortium unter Leitung des National Astronomical Observatory of Japan entwickelt und gebaut wurden; das System zur Bildstabilisierung des Leibniz-Instituts für Sonnenphysik in Freiburg; und die gesamte Bordelektronik. Die sieben Meter hohe Gondel wurde in den vergangenen Wochen vom Applied Physics Laboratory der amerikanischen Johns Hopkins Universität angeliefert, vor Ort in Göttingen zusammengebaut und mit Teleskop und Instrumenten gekoppelt.

„Mit den aktuellen Tests prüfen wir, ob alle Systeme von Sunrise III reibungslos zusammenarbeiten und können gegebenenfalls noch nachbessern und verfeinern“, sagt Andreas Lagg vom MPS, Sunrise III-Projektmanager. „So können wir bereits am Boden die Abläufe für die späteren Messungen während des Fluges perfektionieren.“ Während Raumsonden typischerweise die lange Anreise durchs All zur Inbetriebnahme der wissenschaftlichen Instrumente nutzen, muss Sunrise III mit einem deutlich knapperen Zeitplan auskommen. „Der Flug dauert nur wenige Tage. Nach dem Start wollen wir deshalb so schnell wie möglich mit den wissenschaftlichen Messungen beginnen“, sagt Achim Gandorfer, Sunrise III-Projektwissenschaftler. 

In der Ballonhalle beginnt das Sunrise III-Team nun mit dem ersten Teil des Hangtests, dem sogenannten Pointing: Das Observatorium soll sich – wie während des Fluges erforderlich – selbsttätig zur Sonne ausrichten. Überwacht und kontrolliert wird dieser Vorgang aus 6000 Kilometern Entfernung von Ingenieurinnen und Ingenieuren der Johns Hopkins Universität in den USA. „Wegen der Corona-Pandemie konnten viele unserer internationalen Partner beim Einbau ihrer Hardware-Beiträge nicht hier vor Ort sein und selbst Hand anlegen“, meint Gandorfer. „Stattdessen mussten wir ihren Rat und ihre Expertise per Videokonferenz einbeziehen. Beim Hangtest gehen wir nun ähnlich vor.“

Gegen 11.05 Uhr ist die kontinentenumfassende Aufgabe erfolgreich abgeschlossen: Sunrise III schaut perfekt ausgerichtet in die Sonne. Zum ersten Mal öffnet nun das Sunrise III-Team die Abdeckung, die den 1-Meter-Hauptspiegel im Innern des Teleskops bisher geschützt hat. Sonnenlicht fällt auf den empfindlichen Spiegel und wird von dort erstmals zu den wissenschaftlichen Instrumenten weitergeleitet, die oberhalb des Teleskops angebracht sind. Nun beginnt der zweite Teil des Hangtests, die Inbetriebnahme und das Kalibrieren der Instrumente kann beginnen. „Keine künstliche Lichtquelle kann das Sonnenlicht für diese Messungen ersetzen“, so Andreas Lagg.

Bis zum Frühjahr nächsten Jahres bleibt dem wissenschaftlich-technischen Teams für die weitere Inbetriebnahme Zeit. Wenn die Schneemassen jenseits des Polarkreises langsam schmelzen, reist Sunrise III in Einzelteile zerlegt und sicher in Kisten verpackt per Lastwagen zum Startplatz, der Raketenbasis Esrange Space Center im nordschwedischen Kiruna. Startklar ist das Sonnenobservatorium am 1. Juni nächsten Jahres. Sobald die Wind- und Wetterverhältnisse in Kiruna günstig sind, hebt der mit 850 Kilogramm Helium gefüllte Ballon das sechs Tonnen schwere Observatorium auf eine Höhe von 35 Kilometern. Von dort trägt der Wind Sunrise III nach Westen; einen eigenen Antrieb hat Sunrise III nicht. Gelandet wird nach mehrtägigem Flug am Fallschirm im Norden Kanadas.

Mitternachtssonne und UV-Strahlung

„Da wir zur Sommerzeit und jenseits des Polarkreise fliegen, kann Sunrise III während des gesamten Fluges ununterbrochen auf die Sonne schauen“, sagt Missionsleiter Sami K. Solanki vom MPS über einen der Vorzüge der Mission. Auf 35 Kilometern Höhe hat das Observatorium den Großteil der Erdatmosphäre zurückgelassen, Luftturbulenzen trüben den Blick kaum. „Anders als erdgebundene Teleskope hat Sunrise III in dieser Höhe Zugang zur ultravioletten Strahlung von der Sonne“, erklärt Solanki. Dieser Teil der Sonnenstrahlung hat seinen Ursprung in erster Linie in der heißen Atmosphäre der Sonne und enthält wertvolle Informationen aus dieser Region. Da die Ozonschicht der Erdatmosphäre das ultraviolette Licht von der Sonne weitestgehend absorbiert, steht es erdgebundenen Teleskopen nicht zur Verfügung.

Die Instrumente von Sunrise III sind auf verschiedene Wellenlängenbereiche spezialisiert. Auf diese Weise blickt Sunrise III gleichzeitig auf einen Bereich von mehr als 2000 Kilometer Höhe, der sich von knapp unter der sichtbaren Oberfläche der Sonne bis in die obere Chromosphäre erstreckt. Besser als bei jedem anderen Observatorium – ganz gleich ob im Weltraum oder auf der Erde – lassen sich die Messdaten von Sunrise III aus dieser Region einer genauen Höhe zuzuordnen. So lässt sich präzise verfolgen, wie etwa kleinste Strahlungsausbrüche (Mikroflares) entstehen oder wie sich wellenartige Phänomene in der Sonnenatmosphäre ausbreiten.

„Sunrise III kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten zu verstehen, wie es der Sonne gelingt, ihre äußere Hülle auf unfassbare Temperaturen von mehr als eine Million Grad Celsius aufzuheizen“, so Solanki. „Um diese Frage zu beantworten, braucht es einen ganz besonderen Blick auf die Sonne.“

Zur Mission

Das ballongetragene Sonnenobservatorium Sunrise III ist eine Mission des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS, Deutschland). Sunrise III blickt mithilfe eines 1-Meter-Teleskops, dreier wissenschaftlicher Instrumente und eines Systems zur Bildstabilisierung aus der Stratosphäre auf die Sonne. Maßgeblich an der Mission beteiligt sind ein spanisches Konsortium unter Leitung des Instituto de Astrofísica de Andalucía (IAA, Spanien), das National Astronomical Observatory of Japan (NAOJ, Japan), das Applied Physics Laboratory der Johns Hopkins University (APL, USA) und das Leibniz-Institut für Sonnenphysik (KIS, Deutschland). Weitere Partner sind die Columbia Scientific Ballooning Facility (CSBF) der NASA sowie die Swedish Space Corporation (SSC). Sunrise III wird unterstützt von der Max-Planck-Förderstiftung.

 

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