Heinrich-Wieland-Preis 2021 für Thomas Boehm

Der Max-Planck-Direktor wird für seine Forschung zur Entwicklung und Evolution des Immunsystems geehrt

21. Oktober 2021

Der Heinrich-Wieland-Preis geht in diesem Jahr an den Freiburger Immunbiologen Thomas Boehm vom Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik. Mit dem international renommierten und mit 100.000 Euro dotierten Forschungspreis würdigt die Boehringer Ingelheim Stiftung Boehms bahnbrechende Beiträge für unser heutiges Verständnis der Entwicklung und Evolution des Immunsystems bei Wirbeltieren.

Im Fokus der Forschung von Thomas Boehm stehen vor allem die Entwicklung und Funktion des Thymus, der T-Zellen sowie die Evolution der adaptiven Immunität. Anhand eines beeindruckenden Spektrums von Modellorganismen gelang es Thomas Boehm allgemeine Konstruktionsprinzipien der zellulären Immunität bei Wirbeltieren zu entdecken, wodurch er bestehende Paradigmen veränderte und völlig neue Perspektiven auf die adaptive Immunität eröffnete.

Im Thymus werden Zellen aus dem Knochenmark zu T-Zellen entwickelt, die dann Krankheitserreger bekämpfen. Boehm konnte zeigen, dass der Transkriptionsfaktor Foxn1 für die Entwicklung des Thymus und folglich für die Immunität von Wirbeltieren notwendig ist. „Mit diesen Erkenntnissen war es zum ersten Mal möglich, die Entwicklung von T-Zellen nicht nur zu beschreiben, sondern sie auch mit genetischen Methoden zu untersuchen. Mit diesem wichtigen Vorstoß hat Thomas Boehm bereits als Nachwuchsforscher die Immunologie tiefgreifend verändert“, sagt F.-Ulrich Hartl, Vorsitzender des Auswahlkomitees des Heinrich-Wieland-Preises.

Konstruktionsprinzipien des Immunsystems entschlüsselt

In Studien, die sich der Evolution des Thymus widmeten, entdeckte er in kieferlosen Wirbeltieren das lange gesuchte Thymus-Äquivalent und beendete damit eine hundertjährige Debatte über die Natur des Immunsystems in dieser Wirbeltierlinie. Mithilfe vergleichender Untersuchungen stammesgeschichtlich unterschiedlichster Modellorganismen von Neunaugen, über Haie bis hin zum Menschen konnte er den evolutionären Verlauf der genetischen Netzwerke rekonstruieren, die die Entwicklung der T-Zellen steuern, gemeinsame Eigenschaften der Immunsysteme aller Wirbeltiere identifizieren und Grundlagen ihrer Anpassungsfähigkeit herausarbeiten.

Paradigmenwechsel in der evolutionären Immunologie

In einer neueren Studie konnte Thomas Boehm zeigen, dass Tiefsee-Anglerfische Schlüsselkomponenten ihrer adaptiven Immunität ausgeschaltet haben, wie z. B. die RAG-Gene, die den Aufbau von Antigenrezeptoren steuern. Das Abschalten der adaptiven Immunität galt bisher als unmöglich, denn man nahm an, dass sich angeborenes und adaptives Immunsystem im Laufe der Wirbeltier-Evolution untrennbar eng miteinander verzahnt hatten. Diese immunogenetische Anpassung der Fische ermöglicht es den Männchen, sich dauerhaft mit ihren viel größeren weiblichen Partnern zu paaren, eine Form des Gewebe-Chimärismus, die sonst in der Natur unbekannt ist. Diese Ergebnisse zeigen, dass die Koevolution von angeborener und adaptiver Immunität auch zu einem abrupten Ende kommen kann, wodurch ein zentrales Paradigma der evolutionären Immunologie durchbrochen wird. Gleichzeitig deuten die Erkenntnisse auch darauf hin, dass sich neue Formen der angeborenen Immunität entwickeln können, um Wirbeltiere vor Infektionen zu schützen, was für ein besseres Verständnis der Organtransplantation von Bedeutung sein könnte.

Das Neunauge ist ein Sonderfall unter den Wirbeltieren, denn es besitzt keine Thymusdrüse. Dort lernen die T-Zellen des Immunsystems normalerweise Krankheitserreger zu erkennen. Thomas Boehm möchte wissen, wie das Neunauge trotzdem mit Bakterien und Viren fertig wird.

Immunsystem - Schule für T-Zellen

Das Neunauge ist ein Sonderfall unter den Wirbeltieren, denn es besitzt keine Thymusdrüse. Dort lernen die T-Zellen des Immunsystems normalerweise Krankheitserreger zu erkennen. Thomas Boehm möchte wissen, wie das Neunauge trotzdem mit Bakterien und Viren fertig wird.
https://www.youtube.com/watch?v=6sI9VlJqXaM
Die Preisverleihung findet am 21. Oktober im Anschluss an ein wissenschaftliches Symposium der Stiftung statt. Bei der englischsprachigen Veranstaltung im Schloss Nymphenburg in München wird zudem der Preisträger des Jahres 2020, Professor Craig M. Crews von der amerikanischen Universität in Yale, geehrt.

Symposium und Preisverleihung

Der Wieland-Preisträger auf der Berlin Science Week

Als ein besonderes Highlight nimmt Thomas Boehm als Wieland-Preisträger 2021 am 2. November im Rahmen der Berlin Science Week an einer digitalen Podiumsdiskussion für die breite Öffentlichkeit teil. Von 16 bis 17 Uhr wird er zusammen mit dem Philosophen Professor Markus Gabriel von der Universität Bonn unter dem Titel „Hoffnungsträger Immunforschung – eine Perspektive für den verwundbaren Menschen?“ ein interdisziplinäres Gespräch führen.

Berlin Science Week - Podiumsdiskussion: Hoffnungsträger Immunforschung

 

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