Benjamin List erhält den Nobelpreis für Chemie

Der Forscher wird für seine Entdeckungen auf dem Gebiet der chemischen Katalyse ausgezeichnet

Benjamin List, Direktor am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung, erhält gemeinsam mit David W.C. MacMillan von der Universität Princeton den Nobelpreis für Chemie 2021. Sie werden für ihre Arbeiten zur asymmetrischen Katalyse ausgezeichnet. Die beiden Forscher haben entdeckt, dass auch kleine organische Moleküle chemische Reaktionen vermitteln. Zuvor ging die Wissenschaft davon aus, dass ausschließlich Enzyme und Metalle, darunter oft giftige Schwermetalle oder teure und seltene Edelmetalle chemische Reaktionen beschleunigen und in eine gewünschte Richtung lenken können. Mehr noch: Die kleinen organischen Moleküle, die Benjamin List und David McMillan als Katalysatoren einführten, eignen sich für die asymmetrische Synthese: Dabei entsteht nur eins von zwei Enantiomeren - das sind Moleküle, die sich gleichen wie die linke und die rechte Hand, sich also räumlich nicht zur Deckung bringen lassen. Solche Moleküle sind an allen biologischen Prozessen beteiligt und spielen auch als medizinische Wirkstoffe eine wichtige Rolle.

Linke oder rechte Hand? Dass das ein großer Unterschied ist, erfahren wir alle, wenn wir mal mit der Hand zu schreiben versuchen, mit der wir das nicht gewohnt sind. In der Chemie ist das ähnlich. Viele Moleküle, vor allem solche, die in biologischen Prozessen mitmischen, existieren in Form von zwei Enantiomeren, die sich gleichen wie die linke und rechte Hand - deshalb heißen solche Substanzen chiral (griechisch für händisch). Wie unsere beiden Hände fünf Finger haben, sind auch diese Moleküle auf den ersten Blick gleich aufgebaut. Aber wie die Finger unserer beiden Hände sind die einzelnen Bestandteile von chiralen Molekülen spiegelbildlich angeordnet. Und gerade in der Biologie macht das oft einen großen Unterschied: So riecht die eine Variante des chemischen Stoffs Limonen nach Zitrone, die andere nach Orange. Die eine Form der Aminosäure Valin schmeckt bitter, die andere süß.

Besonders wichtig ist es in der Medizin, die unterschiedliche Wirkung von Enantiomeren zu berücksichtigen. Andernfalls können die Folgen fatal sein, wie der Contergan-Skandal Anfang der 1960er-Jahre zeigte. Die eine Form des Wirkstoffs Thalidomid wirkte beruhigend und wurde auch gegen Übelkeit während einer Schwangerschaft verabreicht. Die andere Form von Thalidomid führte allerdings zur Fehlbildungen bei Neugeborenen. In diesem Fall wird die eine Form im Körper jedoch in die andere umgewandelt, sodass es nicht geholfen hätte, nur die Variante mit der gewünschten Wirkung einzusetzen. Das ist aber der Weg, den Pharmaunternehmen gewöhnlich gehen. Allerdings erzeugen viele Katalysatoren gleichermaßen beide Formen eines chiralen Moleküls. In der asymmetrischen Katalyse, bei der nur eine der beiden Varianten entsteht, haben die Entdeckungen von Benjamin List und David MacMillan völlig neue Möglichkeiten eröffnet.

Der Anruf aus Schweden - ein Witz?

Die beiden Chemiker haben unabhängig voneinander im Jahr 2000 festgestellt, dass auch kleine, oft kostengünstige und ungiftige organische Moleküle eine chemische Reaktion ausschließlich zu einer Variante steuern können. Benjamin List hat das bei der Aminosäure Prolin beobachtet, die später bei der Produktion des HIV-Medikaments Darunavir eingesetzt wurde. Zuvor galt in der Chemie, der Biologie und der Pharmazie, dass nur Enzyme oder aufwendig gebaute Katalysatoren, die oft teure oder giftige Metalleenthalten, diese selektive Wirkung haben.

Als Benjamin List den Anruf erhielt, dass er für seine Entdeckung mit dem Nobelpreis für Chemie geehrt wird, saß er mit seiner Frau gerade in einem Amsterdamer Café. "Das Nobelkomitee hat auf meinem Handy angerufen", sagte der Chemiker. "Als wir gerade bestellen wollten, sah ich auf dem Display die Vorwahl von Schweden. Meine Frau und ich lächelten uns an und sagten ironisch: 'Da kommt der Anruf' - als Witz. Aber dann war es wirklich der Anruf. Es war ein unglaublicher Moment."

Chemie- und Pharmaindustrie setzen heute auf kleine organische Katalysatoren

"Dass der Nobelpreis für Chemie heute an Benjamin List ging, erfüllt mich mit Freude", sagt Max-Planck-Präsident Martin Stratmann. "Benjamin List hat ein neues Kapitel der Katalyseforschung mit großem Anwendungspotential aufgeschlagen. Es ist ihm erstmalig gelungen, organische Katalysatoren mit hoher Stereoselektivität zu entwickeln – ein Durchbruch, wie man ihn selten erlebt."

Die Idee, Prolin als Katalysator zu testen, kam Benjamin List eher beiläufig. Neugier hatte ihn getrieben, das mal auszuprobieren, nachdem er über einen Hinweis auf die katalytische Wirkung der Aminosäure gestolpert war. Zunächst war er aber eher skeptisch, ob das auch ein sinnvolles Experiment war: "Ich war total unsicher. Man denkt ja nicht: 'Ha! Das hab ich designt! Und nun werde ich weltberühmt!' Nein, eher: Hmm... Vielleicht war das eine ganz doofe Idee. Andere haben das sicher schon probiert und wissen auch, warum es nicht klappt...“ Doch das hatte noch keiner ausprobiert und es klappte.

Inzwischen haben die Gruppen von Benjamin List und David McMillan, aber auch viele andere Forschende weltweit unzählige organische Moleküle gefunden, die chemische Reaktionen katalysieren und dabei sehr wählerisch vorgehen, welche von zwei Varianten eines chiralen Moleküls sie erzeugen. Aber nicht nur in der chemischen Forschung hat die Entdeckung der beiden Nobelpreisträger eine Tür zu einem neuen Feld aufgestoßen, auch die chemische und die pharmazeutische Industrie setzen heute oft auf die einfachen chemischen Vermittler.

2021 zwei Nobelpreise für Max-Planck-Forscher

Benjamin List wurde 1968 in Frankfurt am Main geboren, in eine Familie mit durchaus bemerkenswerter naturwissenschaftlicher Tradition: Sein Ururgroßvater war der Chemiker Jacob Volhard, den zumindest alle Studierenden der Chemie kennen. Und Christiane Nüsslein-Volhard, selbst Max-Planck-Direktorin und Nobelpreisträgerin für Physiologie und Medizin, kann nun ihrem Neffen zum Chemie-Nobelpreis gratulieren. Benjamin List studierte an der Freien Universität Berlin und promovierte an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main. Zwischen 1993 und 2003 forschte er am Scripps Research Institute in La Jolla, USA. 2003 wechselte er dann ans Max-Planck-Institut für Kohlenforschung, zunächst als Leiter einer Forschungsgruppe und seit 2005 als Direktor der Abteilung 'Homogene Katalyse'.

Benjamin List ist bereits der zweite Max-Planck-Forscher, der 2021 mit einem Nobelpreis geehrt wird: Klaus Hasselmann, ehemaliger Direktor am Max-Planck-Institut, erhielt in diesem Jahr den Nobelpreis für Physik für seine Beiträge zur Klimaforschung. Und auch im vergangenen Jahr wurden mit Emmanuelle Charpentier und Reinhard Genzel zwei Forschende der Max-Planck-Gesellschaft mit dem höchsten Preis der Wissenschaft ausgezeichnet. "Vier Nobelpreise in nur zwei Jahren für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der MPG bestätigen in beeindruckender Weise unser herausragendes Erfolgskonzept: Große wissenschaftliche Freiheit und ausreichende, langfristig abgesicherte Ressourcen sind das Fundament auf dem die Wissenschaft gedeihen kann", sagt Martin Stratmann. "Wir erleben in diesen Tagen eine Blütezeit deutscher Wissenschaft, auf die wir alle stolz sein dürfen!"

PH

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