Ausgezeichnete Diagnose von Hirntumoren

Hai Yan und Andreas von Deimling erhalten den International Prize for Translational Neuroscience 2021

23. August 2021

Krebs ist nicht gleich Krebs, allein im Gehirn kommen über 100 verschiedene Tumortypen vor. Diese voneinander zu unterscheiden ist mitunter schwierig, aber unerlässlich für eine wirkungsvolle Behandlung. Die Gertrud-Reemtsma Stiftung zeichnet dieses Jahr zwei Forscher mit dem International Prize for Translational Neuroscience aus, die die Diagnostik von Gehirntumoren entscheidend verbessert haben. Dadurch kann die Krebserkrankung eines Patienten genauer eingeordnet und die Therapie angepasst werden. Hai Yan von der Duke University School of Medicine war maßgeblich an der Identifizierung zweier Tumorproteine beteiligt, die typisch für bestimmte Untergruppen von Gliomen sind. Andreas von Deimling von der Universität Heidelberg hat mit seiner Gruppe Antiköper entwickelt, die an diese veränderten Proteine binden und dadurch eine Klassifizierung der Tumore auf Molekülebene ermöglichen. Der mit 60.000 Euro dotierte International Prize for Translational Neuroscience – früher K.J. Zülch-Preis – wird am 26. August in Köln verliehen.

Krebszellen vermehren sich unkontrolliert und können so gesunde Zellen verdrängen und Gewebe zerstören. Damit hören die Gemeinsamkeiten aber auch schon auf, denn die unkontrollierte Zellteilung kann verschiedene Ursachen haben. Entsprechend müssen Krebserkrankungen unterschiedlich behandelt werden. Je genauer dabei die Eigenschaften der jeweiligen Krebszellen bekannt sind, umso gezielter können die entarteten Zellen bekämpft werden.

Die Klassifizierung von Gehirntumoren beruhte bislang hauptsächlich auf der mikroskopischen Untersuchung von Gewebeproben. Dabei werden die Proben angefärbt und das Aussehen der Zellen miteinander verglichen. Der Ursprung und die molekularen Eigenschaften von Krebszellen, die für die weitere Therapie oft ausschlaggebend sind, werden bei dieser Art der Diagnostik nicht immer sichtbar. Daher konnten die verschiedenen Tumortypen teilweise nicht eindeutig voneinander abgegrenzt werden.

Hai Yan hat die Eigenschaften der häufigsten Gehirntumortypen erforscht, der sogenannten Gliome. Unterformen dieser unheilbaren Gliazelltumoren bilden typische veränderte Proteine. Yan und seine Kooperationspartner haben entdeckt, dass die Proteine IDH1 und IDH2 in bestimmten Formen dieser Tumore verändert sind und an einer Stelle eine vertauschte Aminosäure aufweisen. Dadurch unterscheiden sich die Tumorzellen von normalen Körperzellen, aber auch von anderen Tumorunterformen, in denen die Proteine in ihrer natürlichen Form vorliegen.

Hai Yan hat herausgefunden, dass sich eine Untergruppe von Gliomen schlicht anhand der Verteilung der beiden mutierten Proteine von anderen abgrenzen lässt. Seine Partner und er identifizierten damit diagnostische Biomarker, die die Unterscheidung verschiedener Untergruppen von Gliomen deutlich verbessert. Die Weltgesundheitsorganisation hat die von ihnen entdeckten Tumortypen in die Klassifizierung von Tumoren des zentralen Nervensystems aufgenommen. Daneben untersuchten Yan und sein Team auch, wie sich die veränderten Proteine auf den Stoffwechsel und die Unsterblichkeit der Tumorzellen auswirken. Auf diesen Erkenntnissen beruhen maßgeschneiderte Therapien gegen diese Gliom-Typen.

Antikörper gegen mutiertes IDH1-Protein

Andreas von Deimling beschäftigt sich ebenfalls mit diagnostischen Markern von Hirntumoren. Er hat mit seinem Team einen Antikörper entwickelt, der an mutiertes IDH1-Protein bindet. Der hochspezifische Antikörper erkennt die Mutation und bindet nur dann an das Protein, wenn genau diese Veränderung vorliegt. Mit bisherigen Färbemethoden für Gewebeproben ließen sich normales und mutiertes IDH1 dagegen nicht unterscheiden.

Mit Hilfe des Antikörpers lassen sich Unterformen der Gliome, sogenannte Astrozytome und Oligodendrogliome, zweifelsfrei diagnostizieren und von anderen Gehirntumorarten abgrenzen. Der patentierte Antikörper wird inzwischen weltweit routinemäßig in der Gehirntumordiagnostik eingesetzt. Daneben kann der Antikörper aber auch verwendet werden, um Tumore genauer zu erforschen. Mit seiner Hilfe können Forscher die Tumorzellen und ihre direkte Umgebung im Gehirngewebe sichtbar machen. Dies erlaubte bereits wichtige Einblicke in Entstehung und Fortschreiten dieser Tumorerkrankungen.

Von Deimling hat mit seinen Kollegen außerdem ein Diagnosesystem entwickelt, das sich auf das DNA-Methylierungsmuster in den Tumorzellen stützt. Dabei handelt es sich um chemische Veränderungen im Erbgut, anhand derer ermittelt werden kann, aus welchem Zelltyp des Gehirns ein Tumor ursprünglich entstanden ist. In den stark veränderten Krebszellen ist dies oft nicht mehr klar zu bestimmen. Für eine wirkungsvolle Therapie gegen die entarteten Zellen ist die Herkunft aber von großer Bedeutung.

Die Preisträger

Hai Yan studierte an der Peking University Health Science Center Medizin, an der er 1991 zum Dr. med. promovierte. Anschließend ging er an das College of Physicians and Surgeons der Columbia University, New York und erlangte 1996 seinen  Ph.D. im Fachgebiet Molekular- und Zellbiologie. Für weitere Forschungsaufenthalte ging er 1997 an das Howard Hughes Medical Institute der Johns Hopkins University und 2003 an das Duke University Medical Center, an dem er inzwischen Professor für Pathologie und Neuroonkologie ist.

Andreas von Deimling studierte Medizin in Freiburg und begann 1988 seine klinische Ausbildung im Universitätskrankenhaus Zürich, Schweiz. Für weitere Forschungen ging er 1990 an das Neuro-Oncology Department of the Massachusetts General Hospital und 1992 an das Institut für Neuropathologie der Universität Bonn. 1998 wurde er Direktor der Neuropathologie in der Charité der Humboldt University in Berlin. 2007 ging er nach Heidelberg und wurde dort Direktor für Neuropathologie an der Universität Heidelberg und Direktor der Klinischen Kooperationseinheit Neuropathologie am Deutschen Krebsforschungszentrum.

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