Wann empfinden wir ein Geschäft als moralisch verwerflich?

Eine Studie untersucht die psychologischen Gründe für Ablehnung

22. Juli 2021

Viele Menschen finden es moralisch unzulässig, Organe, Kinder oder Doktortitel auf dem freien Markt zu handeln. Doch was macht einen Verkauf in den Augen der Öffentlichkeit moralisch verwerflich? Und was wird kollektiv am meisten abgelehnt? Diesen Fragen sind Forschende des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung und des Robert Koch-Instituts nachgegangen. Die Ergebnisse bieten neue Ansatzpunkte für politische Interventionen.

Wären Sie bereit, eine Niere zu verkaufen oder sich für ein Date bezahlen zu lassen? Falls nicht, sind Sie damit nicht allein. Viele Menschen finden solche Geschäfte moralisch verwerflich. Doch was steht psychologisch dahinter? Welche Eigenschaften einer Transaktion lehnen Menschen am meisten ab? Diesen Fragen ging ein Forschungsteam des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung und des Robert Koch-Instituts nach.

„Unser Ziel war es, die psychologischen Triebkräfte aufzudecken, die Menschen dazu bringen, solche Transaktionen als verwerflich zu empfinden“, sagt Christina Leuker, Erstautorin und Wissenschaftlerin am Robert Koch-Institut sowie assoziierte Wissenschaftlerin im Forschungsbereich Adaptive Rationalität am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. „Wenn wir wissen, was eine Markttransaktion in den Augen der Öffentlichkeit moralisch verwerflich macht, können wir besser vorhersagen, wie die Menschen auf denkbare neuartige Transaktionen, wie beispielsweise im Bereich der menschlichen Gentechnik, reagieren.“

Um die Psychologie der moralischen Ablehnung zu beleuchten, führte das Team zwei Online-Befragungen in Großbritannien durch, in denen insgesamt mehr als 1500 Befragte 51 Markttransaktionen hinsichtlich ihrer Verwerflichkeit und weiterer Merkmale bewerteten. Zu diesen Merkmalen zählte zum Beispiel, dass eine Transaktion als abstoßend oder als schädlich für die Gesellschaft empfunden wurde, dass sie die Befragten wütend machte oder dass sie fanden, das Geschäft könnte die Würde der Verkaufenden beeiträchtigen oder Ausbeutung begünstigen.

Die Ergebnisse der Studien zeigen, dass die Befragten sehr ähnliche Dinge ablehnten. Die stärkste kollektive Ablehnung lösten der Verkauf von Jagdrechten für gefährdete Tiere, der Verkauf von Frauen zur Heirat und der Verkauf von Wahlrechten aus. Darüber hinaus konnten die Forschenden fünf psychologische Aspekte identifizieren, die dem Gefühl der Ablehnung zugrunde zu liegen scheinen. Eine davon war die moralische Empörung. Je moralisch empörender eine Transaktion wahrgenommen wurde, desto mehr Ablehnung und Wut empfanden die Befragten und ordneten die Transaktion als gesellschaftsschädigend ein. Damit einhergehend sank die Empathie mit den an der Transaktion beteiligten Personen.

Neben der moralischen Empörung fand das Forschungsteam vier weitere Aspekte, die stark mit Ablehnung verbunden zu sein scheinen: die Unmöglichkeit das gehandelte Gut in einen monetären Wert zu übersetzen, die Ausbeutung benachteiligter Personen durch die Transaktion, unbekannten Risiken für die Verkaufenden, unvorhersehbare Konsequenzen einer Transaktion und das Bedürfnis nach Regulierung. Bei genauerem Hinsehen zeigte sich, dass sich am Grad der moralischen Empörung auch der gewünschte Bedarf an Regulierung vorhersagen lässt: So wurden viele Transaktionen, die große moralische Empörung auslösten, mit einem starken Bedürfnis nach Regulierung verbunden.

Die Forschenden betonen, dass ihr Ansatz neue Möglichkeiten für politische Interventionen bieten kann. „Transaktionen, die ein ähnliches Maß an öffentlicher Ablehnung hervorrufen, können dies aus sehr unterschiedlichen Gründen tun, und das hat Auswirkungen auf politische Interventionen“, sagt Ralph Hertwig, Direktor des Forschungsbereichs Adaptive Rationalität am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. „Wenn zum Beispiel der Hauptgrund für die Ablehnung einer Transaktion die potenzielle Ausbeutung von benachteiligten Personen ist, kann eine wirksame politische Reaktion darauf ausgerichtet sein, gefährdete Personen zu schützen. Im Falle einer Transaktion, bei der unbekannte Risiken die Hauptursache für Ablehnung sind, könnte sich die Politik darauf konzentrieren, potenzielle Risiken zu reduzieren und klar zu kommunizieren.“

Das Forschungsteam identifizierte auch Unstimmigkeiten zwischen der Ablehnung einer Transaktion und der aktuellen Rechtslage. „So empfanden zum Beispiel die Befragten in Großbritannien den Handel mit Kohlendioxidemissionen und den Verkauf von Genehmigungen zur Jagd seltener Tiere als höchst verwerflich, obwohl beides in ihrem Land legal ist“, sagt Christina Leuker. „Solche Unstimmigkeiten könnten ein Grund für politische Entscheidungsträger sein, diese Transaktionen neu zu bedenken.“

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