Enzym schaltet virusähnliche Sequenzen stumm

Methyltransferase Dnmt1 ist nicht nur für „Instandhaltung“ zuständig

2. Juli 2021

Oft lässt sich die Biologie nicht eindeutig kategorisieren. Auch ein Enzym, dem Forschende bisher eine klare Aufgabe zugedacht hatten, wächst über sich hinaus. Es erhält nicht nur den epigenetischen Zustand des Genoms aufrecht, sondern kann virusartige Erbgutabschnitte gezielt stumm schalten.

Es ist die verbotene Abteilung in der Bibliothek des Lebens: Manche Teile des Erbguts enthalten schädliche Informationen. Methyltransferase-Enzyme versehen diese mit chemischen Warnhinweisen, die daraufhin von der Zelle ignoriert werden. Wie Bibliothekare, die Warnungen auf Bücher kleben, hängen sie kleine Kohlenstoffpäckchen (Methylgruppen) an das DNA-Molekül, lassen dessen Sequenz dabei aber unangetastet. Die Enzyme wirken also epigenetisch.

Jahrzehntelang galt eine klare Arbeitsteilung: Die Methyltransferasen Dnmt3a und Dnmt3b fahnden nach passenden Erbgutabschnitten und dekorieren diese mit Methylgruppen. Das Schwesterenzym Dnmt1 ergänzt chemische Markierungen dort, wo nach einer Zellteilung nur eine Seite des DNA-Strangs methyliert ist oder wo diese verloren gegangen sind.

Dass es so einfach nicht ist, verdeutlicht nun die Forschungsgruppe um Alexander Meissner vom Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in einer neuen Arbeit. Demnach kann Dnmt1 über seine Servicepflichten hinaus im Genom der Maus gezielt bestimmte Sequenzen ansteuern und dort Methyl-Markierungen anbringen.

Markierungen legen Erbgutabschnitte still

Die befruchtete Eizelle verliert ihre Methylierung während der ersten Zellteilungen, bis sich der frühe Embryo in ein Bläschen verwandelt hat. „Während der Entwicklung der Maus finden wir am Erbgut des Bläschenkeims wenig Methylgruppen, doch 72 Stunden später ist die DNA schon wieder hochgradig methyliert“, sagt Meissner. „Daher haben wir uns diese interessanten Zeitpunkte genauer angesehen.“

Warum schalten Zellen überhaupt bestimmte DNA-Abschnitte ab? Die Methylierung bestimmt, welche genetischen Programme laufen sollen. Es gibt aber einen anderen gravierenden Grund, erklärt Meissner: „In den meisten Genomen – also auch denen von Menschen und Mäusen – verbergen sich tausende virusähnliche Sequenzen, die sich über die Jahrmillionen im Erbgut ihrer Wirte verewigt haben.“

Schutz vor den schlummernden Viren im Erbgut

Die virusähnlichen Sequenzen sind die auch als „springende Gene“ bezeichneten Transposons. Sie haben die Fähigkeit, sich spontan zu vervielfältigen und an einer beliebigen Stelle der DNA zu integrieren. Transposons haben sich im Genom ausgebreitet und machen etwa 40 Prozent des Erbmaterials in Mäusen und Menschen aus. „Methylierung hält diese potenziell schädlichen Erbgutabschnitte in Schach“, sagt Chuck Haggerty, Doktorand und einer der Erstautoren der Studie. „Wenn ein Transposon oder Virus mitten in ein Gen springt, könnte das dessen Funktionen beeinträchtigen“, sagt der Forscher. „Und wenn sich Transposons unkontrolliert im Genom ausbreiten dürften, könnte das dessen Integrität gefährden.“

„Uns fiel auf, dass die DNA-Methylierung von Embryonen selbst dann noch zunahm, als wir Dnmt3a und 3b genetisch ausschalten“, sagt Haggerty. In der Zellkultur wiederholten die Forschenden dieses Experiment und deaktivierten zusätzlich Dnmt1, wodurch die Methylierung kam zum Erliegen kam. Nach kurzer Zeit verlor das Genom fast alle Kohlenstoffmarkierungen. “Interessanterweise nahm die Methylierung zu, als wir Dnmt1 wieder anschalteten – obwohl dann gar keine partiellen Markierungen zum Instandhalten mehr vorhanden waren“, sagt der Wissenschaftler. Damit war der Nachweis war erbracht, dass das Dnmt1-Enzym DNA von neuem, „de novo“, methylieren kann.

Das Enzym zeigt eine besondere Vorliebe für DNA-Sequenzen, die eine bestimmte Sorte Transposons enthalten, die unter Nagetieren weit verbreitet sind. Bei den „Intracisternal A Particles“ (IAP) handelt es sich um Retrotransposons, deren Lebenszyklus stark an Retroviren wie das humane Immunschwäche-Virus (HIV) erinnert. Die Zelle liest die retrovirale Sequenz von der DNA ab und erzeugt dabei RNA-Moleküle, die den Bauplan für Proteine enthalten. Darunter ist ein Enzym, das aus RNA wieder DNA macht sowie eines, das diese DNA in das Erbgut des Zelle einbaut.

Dnmt1 steuert sehr gezielt auf die IAP-Sequenzen im Genom der Mäusezellen zu, sagt Haggerty: „Einige Abschnitte hat es bis zu 18 Prozent methyliert – ein sehr hoher Wert für ein Enzym, dem diese Fähigkeit nicht zugetraut wurde.“ Die Forschenden haben bereits ein paar Hinweise darauf entdeckt, auf welche Art Dnmt1 an sein Ziel gelangt. In Zellkulturversuchen identifizierten sie weitere Proteine, zu denen das Dnmt1-Enzym hingezogen wird und die bekannt dafür sind, mit Retrotransposons zu interagieren.

Kopien erschweren Sequenzierung

Bei der Untersuchung der Retrotransposons stießen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schnell an die Grenzen konventioneller Technik. „Bei der traditionellen Sequenzierung untersuchen wir relativ kurze DNA-Fragmente“, sagt die Bioinformatikerin Helene Kretzmer, ebenfalls Erstautorin der Arbeit. „Wir suchen nach Überlappungen und Gemeinsamkeiten in den Abschnitten und puzzlen sie zusammen. Da die Sequenzen der Retrotransposons tausende Male im Genom vorkommen und sich dabei stark ähneln, lässt sich oft nicht eindeutig sagen, wo sie genau hingehören.“

Die Forschenden verwendeten daher ein Sequenzierungsverfahren, bei dem der Erbgutfaden in vergleichsweise lange Bruchstücke zerlegt und diese durch wenige Nanometer messende Poren auf einem Chip gefädelt werden. „Während wir bei konventionellen Methoden mit Fragmenten von etwa 150 bis 300 Basen arbeiten, überspannen wir mit der Sequenzierung mit Nanoporen 10.000 bis 30.000 Basen, also ein ganzes Transposon“, sagt Kretzmer. „Für die Analyse der Methylierung von repetitiven Sequenzen ist diese Methode derzeit so gut geeignet wie keine andere.“

Abgeschlossenes Kapitel

„Natürlich ist die Hauptaufgabe von Dnmt1 zweifelsohne immer noch der Erhalt der Methylierung“, sagt Meissner. „Über das gesamte Genom betrachtet ist die de-novo-Aktivität des Enzyms zwar gering. Wir haben nun gezeigt, dass sie in bestimmten Bereichen offenbar deutlich höher sein kann.“

In letzter Zeit hatten andere Forschungsgruppen vermehrt Hinweise darauf gefunden, dass das Enzym DNA von selbst methyliert. Die neue Arbeit konkretisiert diesen Verdacht. „Wir beenden eine jahrelange Debatte und hinterfragen damit manche Klassifizierung von DNA-Methyltransferasen“, sagt Meissner. „Gleichzeitig fangen wir ein neues Kapitel an, indem wir fragen: In welchen anderen Zusammenhängen könnte die de-novo-Aktivität von Dnmt1 noch biologische Relevanz haben?“

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