Forschungsbericht 2020 - Max-Planck-Institut für Radioastronomie

Einsteins glücklichster Gedanke auf dem Prüfstand

Autoren
Freire, Paulo;  Kramer, Michael
Abteilungen
Radioastronomische Fundamentalphysik
Zusammenfassung
Äußerst präzise Messungen der Bewegung eines schnell drehenden Pulsars in einem Dreifachsternsystem bieten einen zuverlässigen Prüfstand für eine einfache, aber grundlegende Vorhersage der Allgemeinen Relativitätstheorie: Die Schwerkraft beeinflusst alle Objekte mit der gleichen Beschleunigung, ohne Rücksicht auf ihre Zusammensetzung, Dichte oder die Stärke ihres eigenen Gravitationsfelds. Die Allgemeine Relativitätstheorie hat diesen Test, bislang einen der härtesten überhaupt, erneut überstanden. Außerdem schränkt er denkbare alternative Gravitationstheorien stark ein.

Die Universalität des freien Falls (UFF) bildet die Grundlage der Allgemeinen Relativitätstheorie (ART) von Albert Einstein. Sie besagt, dass alle Körper unabhängig von ihrer Masse und Zusammensetzung die gleiche Gravitationsbeschleunigung erfahren. Wenn die UFF korrekt ist, wird sie zu einem einzigartigen Merkmal der Schwerkraft: Im Gegensatz zu allen anderen Grundkräften zieht die Schwerkraft alle materiellen Objekte mit der gleichen Beschleunigung an. Das bedeutet andererseits, dass Einsteins Theorie falsch wäre, wenn Experimente die UFF widerlegen können. Wenn die Ergebnisse der Experimente die UFF dagegen mit großer Genauigkeit bestätigen, setzen sie damit für alternative Theorien der Schwerkraft enge Grenzen, die in Konkurrenz zur ART zum Beispiel für die Erklärung solcher Phänomene wie Dunkler Materie und Dunkler Energie vorgeschlagen werden.

Astronomische Tests als Schlüssel

Die Frage, ob Objekte sich im gleichen Gravitationsfeld mit identischer Beschleunigung bewegen, ist schwierig zu beantworten, wenn es sich um astronomische Objekte mit großer Masse handelt, die durch die Gravitation selbst zusammengehalten werden. Nach der ART gilt die UFF auch für solche selbstgravitierenden Körper. Dies ist als das starke Äquivalenzprinzip bekannt. Sollte es Abweichungen vom starken Äquivalenzprinzip geben, so sollten sie proportional zur Gravitationsbindungsenergie des Objekts auftreten: Dies ist die Energie, die nötig wäre, um es aus seinem eigenen Gravitationsfeld herauszulösen.

Die Gravitationsbindungsenergie hat zur Folge, dass der Körper etwas leichter ist als die Gesamtsumme der Massen der Teilchen, aus denen er besteht. Im Falle der Erde entspricht die schwere Massenenergie etwa -2,77·1012 Tonnen oder etwa -0,000000000464 % der Gesamtmasse der Erde. Dieser Anteil ist umso größer, je kompakter ein Körper ist.

Neutronensterne und Pulsare

Die kompaktesten bekannten Himmelskörper sind Neutronensterne. Sie vereinen in einer Kugel von nur etwa 20 Kilometer Durchmesser etwa die Masse der Sonne. Damit erreichen Neutronensterne zentrale Dichten von mehr als einer Milliarde Tonnen im Volumen eines Zuckerwürfels. Ihre Gravitationsbindungsenergie ist wahrhaftig kolossal: Sie beträgt etwa -40000 Erdmassen oder etwa 10 % ihrer eigenen Masse! Daher ist in Theorien, die eine Verletzung des starken Äquivalenzprinzips in Bezug auf die Eigengravitation der Objekte vorhersagen, das Ausmaß dieser Verletzung hier generell wesentlich stärker als bei allen anderen Objekten.

Neutronensterne können in zwei engen, gegenüberliegenden Kegeln Strahlung aussenden. Sind die Kegel gegenüber der Rotationsachse geneigt, so nehmen wir diese Strahlung gepulst wahr, sofern die Strahlungskegel zufällig bei jeder Umdrehung die Erde überstreichen. Sie erscheinen uns als „kosmische Leuchttürme“. Die Vermessungen ihrer Pulse erlaubt es, die Bewegung der Pulsare mir großer Genauigkeit zu verfolgen.

Für Tests des starken Äquivalenzprinzips beobachten wir seit langem mit unserem 100-m-Radioteleskop in Effelsberg Systeme aus Pulsaren und Weißen Zwergen. Letzteres sind Körper mit etwa einer Sonnenmasse und der Größe der Erde. Ihre Gravitationsbindungsenergie ist also rund eine Milliarde Mal geringer als die von Pulsaren. Wir untersuchen nun, ob beide Objekt durch das Gravitationsfeld der Milchstraße gleich stark beschleunigt werden. Weil diese Beschleunigung aber relativ gering ist, suchten wir nach einem System, das in einem stärkeren äußeren Gravitationsfeld beschleunigt wird, zum Beispiel dem eines nahen Sterns.

Ein Pulsar in einem Dreifachsternsystem

Im Jahr 2014 fanden US-Radioastronomen einen Pulsar namens PSR J0337+1715, der zusammen mit zwei Weißen Zwergen ein Dreifachsternsystem bildet. Dieses System erwies sich als der gesuchte Prüfstand.

Dieser Pulsar ist ein Neutronenstern mit 1,44 Sonnenmassen, der sich 366 Mal pro Sekunde um die eigene Achse dreht. Der leichtere der beiden Weißen Zwergsterne umkreist den Pulsar mit einer Umlaufdauer von 1,6 Tagen, der massereichere, weiter entfernte Weiße Zwerg umkreist das innere Binärsystem alle 327 Tage (Abbildung 2).

An diesem System wurden zwei Tests der UFF mit völlig unterschiedlichen Datensätzen, Beobachtungssystemen und Verarbeitungsmethoden durchgeführt. Den ersten Test realisierten die Entdecker des Dreichfachsystems [1]. Der zweite gelang einem Forschungsteam unter der Leitung von Guillaume Voisin (Jodrell Bank Centre for Astrophysics/UK und Observatoire de Paris) zusammen mit unserer Gruppe am MPIfR. Mit dem Nançay-Radioteleskop erfolgten Messungen über einen Zeitraum von etwa sechs Jahren. Danach konnten wir zeigen, dass der Neutronenstern und die Weißen Zwerge sich mit einer Genauigkeit von zwei Teilen pro Million mit gleicher Beschleunigung in einem Schwerefeld bewegen. Dieses Ergebnis [2] übertrifft den ersten Test in drei wichtigen Aspekten:

  • Er liefert einen schärferen Grenzwert für einen Unterschied in der Schwerebeschleunigung zwischen dem Pulsar und seinem inneren Begleiter.
  • Dieser Unterschied wird genauso behandelt wie alle anderen Parameter bei der Datenanalyse, und im Gegensatz zum vorherigen Test wurden keine großen systematischen Probleme bei der Zeitmessung festgestellt. Dies machte die Interpretation dieses früheren Tests und die Quantifizierung seiner Unsicherheiten zu einer Herausforderung.
  • Unser Test lieferte eine bessere Einsicht in die Eigenschaften von Neutronenstern-Materie. Hierzu trug die erste Beobachtung der Kollision zweier Neutronensterne durch die Ligo/Virgo-Gravitationswellen-Observatorien bei. Diese Verbesserung ist besonders wichtig im Hinblick auf die Abgrenzung der ART gegenüber alternativen Gravitationstheorien.

Die Experimente mit PSR J0337+1715 zeigen, dass Einsteins geniale Einsicht auch bei so extremen kosmischen Objekten wie Neutronensternen zutrifft. Vielleicht mehr als in allen vorhergehenden Studien zeigt dieses Ergebnis, dass Einsteins „glücklichster Gedanke“ tatsächlich eine fundamentale Aussage über die Gravitation und die innere Funktion der Natur darstellt.

Danksagung:  Wir danken Norbert Wex und Norbert Junkes für die Hilfe mit dem Originaltext.

Literaturhinweise

Archibald, A. M., Gusinskaia, N. V., Hessels, J. W. T., Deller, A. T., Kaplan, D. L., Lorimer, D. R., Lynch, R. S., Ransom, S. M., Stairs, I. H.

Universality of free fall from the orbital motion of a pulsar in a stellar triple system
 
Nature, 559, 73 (2018)

Voisin, G.,  Cognard, I., Freire, P. C. C. Wex, N., Guillemot, L., Desvignes,G., Kramer, M., Theureau, G.

An improved test of the strong equivalence principle with the pulsar in a triple star system
 
Astronomy & Astrophysics 638, A24 (2020)
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