Eine Schwarze Witwe im Weltall

9. Juni 2021

Das Rätsel um eine seit zwei Jahrzehnten bekannte Gammaquelle ist endlich gelöst. Die Strahlung stammt von einem extrem schnell rotierenden Neutronenstern – einem Pulsar, der zu einem Doppelsternsystem gehört. Für diese Entdeckung hat das Rechenprojekt Einstein@Home die über einen Zeitraum von zehn Jahren gesammelten Daten des Weltraumobservatoriums Fermi durchsucht. Das intensive Studium dieses Pulsars und seines Begleiters offenbarte ein Sternsystem der Extreme.

Text: Lars Nieder, Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik

Wenn einem massereichen Stern zum Ende seines Lebens der Brennstoff ausgeht, explodiert er als Supernova. Während er dabei seine äußeren Schichten ins All schleudert, kollabiert sein Inneres unter der eigenen Schwerkraft. Ist der ursprüngliche Stern nicht allzu schwer, verwandelt sich der Kern in einen Neutronenstern. Ein solches Objekt besteht aus extrem dichter und teilweise exotischer Materie, hat einen Durchmesser von rund 20 Kilometern und besitzt mehr Masse als unsere Sonne und damit eine unvorstellbar hohe Dichte: Ein Teelöffel eines Neutronensterns würde auf der Erde Milliarden Tonnen wiegen.

Von den bisher bekannten Neutronensternen verrieten sich mehr als 2800 als sogenannte Pulsare. Denn rotierende Neutronensterne senden von ihren magnetischen Polen gebündelte Strahlung über weite Teile des elektromagnetischen Spektrums aus. Überstreicht ein solcher Lichtkegel zufällig die Erde, blinkt der Stern am irdischen Himmel wie ein kosmischer Leuchtturm. Die große Mehrheit der bekannten Pulsare ließ sich im Radiobereich aufspüren. Doch bei mittlerweile 250 Pulsaren gelang dies auch anhand ihrer hochenergetischen Gammastrahlung.

Derartige Gammapulsare beobachtet das Teleskop an Bord des NASA-Satelliten Fermi. Mit einer relativ kleinen Sammelfläche von einem Quadratmeter empfängt es von typischen Gammapulsaren nur einmal pro Tag ein Photon. Wenn vorab nicht bereits aus Radiobeobachtungen bekannt ist, wie schnell der Pulsar rotiert, ist das Blinken im Gammabereich schwer zu finden. Der Grund: Typische Pulsare drehen sich in der Zeit zwischen der Messung zweier Gammaphotonen Millionen Mal um die eigene Achse.

Begleitstern erschwert die Suche

Zudem variiert der Abstand zwischen Erde und Pulsar durch die Bahnbewegung unseres Planeten um die Sonne. Diese Abstandsschwankungen sowie die endliche Lichtgeschwindigkeit verändern den Zeitraum zwischen zwei eintreffenden Pulsen. Hat der Pulsar außerdem noch einen Begleitstern, verkompliziert die daraus resultierende Eigenbewegung des Pulsars die Suche weiter.

Um einen solchen Gammapulsar mit Begleiter zu entdecken, müssen wir die Eigenschaften bestimmen, die den Neutronenstern und das Doppelsternsystem beschreiben. Dafür haben wir neue Methoden entwickelt, mit denen wir diese Parameter systematisch und möglichst rechen­ effizient testen. Können wir den Begleitstern im sichtbaren Licht beobachten, so lassen sich die Suchbereiche für einige Parameter zusätzlich vorab eingrenzen.

In engen Doppelsternsystemen erhitzen die Pulsare durch ihre energiereiche Strahlung manche Begleitsterne auf der ihnen zugewandten Seite ganz erheblich. Dadurch verdampft Material von der Oberfläche des Partners, der sich langfristig vollständig auflösen kann. Daher stammt auch der Spitzname solcher Objekte: Schwarze-­Witwe­-Pulsare. Schwarze Witwen sind Spinnen, deren größeres Weibchen nach der Paarung das Männchen tötet und verspeist. Dass der Pulsar-­Begleiter einseitig heißer ist, lässt sich mit Teleskopen im sichtbaren Licht beobachten und dazu nutzen, bestimmte Eigenschaften des Sterns – etwa seine Umlaufdauer um den gemeinsamen Schwerpunkt des Systems – zu messen.

Entdeckungstour mit dem Rechner

Eine seit 20 Jahren bekannte Gammastrahlen­-Quelle im Sternbild Schlangenträger war schon lange von besonderem Interesse. Einige Astronomen haben hier ein wie oben beschriebenes System aus einem Pulsar und einem normalen Stern vermutet. Deswegen gab es eine Reihe von Beobachtungen optischer Teleskope, mit deren Hilfe wir unsere Suche in den Daten von Fermi auf bestimmte Bereiche einschränken konnten. Dennoch mussten wir noch 1017 (also Hundert Millionen Milliarden) verschiedene Parameter­-Kombinationen ausprobieren, um mögliche Pulsationen aufzuspüren.

Eine solche Suche würde auf einem normalen Computer selbst im günstigsten Fall immer noch mehr als ein halbes Jahrhundert dauern. Deshalb bedienten wir uns der immensen Rechenleistung von Einstein@Home. Dieses Projekt wurde im Jahr 2005 ins Leben gerufen und basiert auf der Teilnahme von Freiwilligen, die brachliegende Rechenzeit auf ihren Computern, Tablets oder Smartphones spenden. Auf diese Weise werden sehr aufwendige wissenschaftliche Analysen ermöglicht. Jeder und jede kann im Rahmen dieser Citizen Science astronomische Entdeckungen machen.

Schwarze Witwen gibt es nicht nur im Tierreich sondern auch im Weltall. Welche Geheimnisse verraten diese über die Entstehung unserer Galaxie? Was haben Supercomputer und Bildschirmschoner mit der 'Jagd' nach Schwarzen Witwen zu tun? Genau darum geht es in diesem Video mit YouTuber Doktor Whatson.

Schwarze Witwen im Weltall

Schwarze Witwen gibt es nicht nur im Tierreich sondern auch im Weltall. Welche Geheimnisse verraten diese über die Entstehung unserer Galaxie? Was haben Supercomputer und Bildschirmschoner mit der 'Jagd' nach Schwarzen Witwen zu tun? Genau darum geht es in diesem Video mit YouTuber Doktor Whatson.
https://www.youtube.com/watch?v=QXaprEunJWc

Dazu werden die Daten in kleinere Pakete unterteilt, die dann von den etwa 35.000 Computern der im Schnitt rund 22.000 Freiwilligen durchforstet werden. Zusammen erreichen sie eine geschätzte Rechenleistung, die jener von einem der 25 schnellsten Supercomputer der Welt entspricht. Tatsächlich erledigte Einstein@Home unsere Suche binnen knapp zwei Wochen und spürte den Schwarze-­Witwe­-Pulsar PSR J1653-­0158 auf. Sowohl er selbst als auch das Doppelsternsystem, in dem er sich befindet, sind in vielerlei Hinsicht etwas ganz Besonderes.

Aus den Beobachtungen des Begleitsterns im sichtbaren und des Pulsars im Gammalicht gelang es uns, viele Eigenschaften zu ermitteln. So dreht sich der Pulsar mehr als 500­-mal pro Sekunde um die eigene Achse und weist eine Masse auf, die doppelt so groß ist wie die unserer Sonne. Der langsam verdampfende Begleiter besitzt nur etwa ein Prozent der Sonnenmasse, ist aber sechsfach dichter als Blei. Dieses sehr ungleiche Paar umkreist sich in nur 75 Minuten und damit schneller als alle vergleichbaren Systeme. Weiterhin konnten wir aus den Langzeitbeobachtungen ableiten, dass das Magnetfeld des Pulsars zwar vielfach stärker als alle künstlich auf der Erde hergestellten Magnetfelder ist, für einen Neutronenstern aber außergewöhnlich schwach erscheint.

Nachdem wir den Gammapulsar auf diese Weise genau charakterisiert hatten, suchten wir erneut und sehr gründlich nach Radiostrahlung. Doch obwohl wir dazu einige der weltweit größten und empfindlichsten Teleskope einsetzten, konnten wir keine Radiowellen nachweisen. Der wahrscheinlichste Grund dafür ist, dass das vom Begleitstern abgedampfte Material diese langwellige Strahlung vollständig verschluckt. Für das hochenergetische Gammalicht hingegen stellt es kein Hindernis dar.

PSR J1653-­0158 ist erst der zweite schnell rotierende Pulsar, der sich nicht im Radiobereich beobachten lässt. Seine Entdeckung legt nahe, dass es weitere spannende Pulsare wie diesen in unserer Galaxis gibt, die wir nur anhand ihrer Gammastrahlung entlarven können. Wir sind daher zuversichtlich, dass wir zukünftig mit unseren Methoden weitere bisher unerkannte Pulsare in Doppelsternsystemen finden werden. Und wir glauben, dass das Citizen­-Science­-Projekt Einstein@Home dabei wertvolle Dienste leistet.

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