„Kooperationen sind Ausdruck unserer Wissenschaftsfreiheit“

Max-Planck-Präsident Martin Stratmann spricht über die neuen Leitlinien zu internationalen Kooperationen

1. Juni 2021
Internationale Kooperationen sind unerlässlich für erfolgreiche Wissenschaft; sie prägen die wissenschaftlichen Tätigkeit aller Max-Planck-Institute. Doch der Wettbewerb um die globale Führungsrolle in Wissenschaft und Forschung einerseits und kritische innenpolitische Entwicklungen wichtiger Partnerländer andererseits stellen erfolgreiche Kooperationen vor Herausforderungen. Der Max-Planck-Senat hat im März 2021 Leitlinien herausgegeben, die Forschende unterstützen sollen, international zu kooperieren – auch unter unsicheren und schwierigen Bedingungen. 

Herr Stratmann, welche Unterstützung bietet die Max-Planck-Gesellschaft ihren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, wenn diese mit anderen internationalen Partnern kooperieren wollen?

Martin Stratmann: Natürlich besteht die Unterstützung der Forschenden in der MPG primär in dem breiten Service-Angebot der Generalverwaltung, die bestrebt ist, internationale Kooperationen zu ermöglichen. In der komplexer gewordenen Welt erschien es uns aber auch wichtig, für die internationalen Kooperationen übergeordnet eine Orientierung zu geben. Diese wurde mit den „Leitlinien zur Ausgestaltung der internationalen Kooperation der Max-Planck-Gesellschaft“ formuliert, welche der Senat im März 2021 verabschiedet hat. Diese Leitlinien sollen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der MPG im Spannungsfeld von Forschungsfreiheit, Regeltreue und individueller Verantwortung dabei unterstützen, internationale Kooperationen auch unter unsicheren oder schwierigen Bedingungen erfolgreich durchführen zu können. Die Leitlinien verstehen sich als Orientierungshilfe und nicht als Erweiterung des Pflichtenprogramms von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bei der Anbahnung und Durchführung von Forschungskooperationen. Es werden keine neuen Regelungen erstellt, sondern vielmehr die bestehenden – selbst gesetzten und extern vorgegebenen – relevanten Regelungen zur Ausgestaltung internationaler Kooperationen zusammengefasst. Hierin wird auch auf die Mechanismen verwiesen, die die Grundsätze guter wissenschaftlicher Praxis oder den verantwortungsvollen Umgang mit Forschungsfreiheit und Forschungsrisiken betreffen.

Welche langfristigen Auswirkungen wird die Corona-Pandemie auf die internationale Zusammenarbeit haben?

Corona bedeutet einen erheblichen Einschnitt in die internationalen Kooperationen. Zugleich zeigt aber die Digitalisierung das Potenzial neuer innovativer und virtueller Formate des Austausches und der Kooperation. Diese können zwar die persönliche Begegnung nicht vollständigen ersetzen, schärfen aber unser Bewusstsein für eine nachhaltiges und klimaschonendes Mobilitätsverhalten in der Wissenschaft. Die Wissenschaft hat eine besondere Verantwortung, den Ausstoß von Treibhausgasen zu minimieren. Freilich darf dies nicht zu neuen Ungerechtigkeiten und exklusiven „Reisekadern“ in der Wissenschaft führen. In jedem Fall freue ich mich persönlich darauf, wenn es wieder möglich sein wird, gezielt Reisen ins Ausland durchzuführen und mit den wichtigsten internationalen Partnern in einen realen, und nicht mehr nur virtuellen persönlichen Austausch zu treten.

Warum spielen internationale Kooperationen für die Max-Planck-Gesellschaft eine so große Rolle?

Wissen und Erkenntnisse sind über unseren gesamten Globus verteilt. Zentren wissenschaftlicher Exzellenz finden sich auf allen Kontinenten. Erfolgreiche Wissenschaft und vor allem der wissenschaftliche Fortschritt bedürfen daher des grenzüberschreitenden Austausches, damit dieses weltweit verteilte Wissen und komplementäre Kompetenzen in innovative und Mehrwert stiftende Qualitäten zusammengefügt werden können. Ganz konkret zeigt sich dies daran, dass wissenschaftliche Publikationen, die in internationaler Zusammenarbeit entstehen, eine signifikant höhere Wirkung erzielen als solche, die nur im eigenen Lande hervorgebracht werden. All dies gilt in einem besonderen Maße für die Max-Planck-Institute, deren Erfolg maßgeblich auf ihrer internationalen Vernetzung beruht. Entscheidende Grundlage dafür sind die international geprägten Karrierepfade unserer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der MPG und der hohe Anteil internationaler Forscherinnen und Forscher an unseren Instituten. Darüber hinaus sichern internationale Kollaborationen unseren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern den Zugang zu herausragender wissenschaftlicher Infrastruktur in anderen Ländern. Für Forschung in bestimmten Bereichen, die aufgrund ihrer Komplexität und des erforderlichen Aufwandes nicht mehr allein national, sondern nur international durchgeführt werden können, wie in der Astrophysik beispielsweise, sind diese Zugänge unverzichtbar.

Welche Instrumente haben sich dabei als besonders erfolgreich erwiesen?

Erfolgreichstes Instrument und Grundlage der internationalen Zusammenarbeit der MPG sind die vielfältigen, von wissenschaftlichem Interesse geleiteten individuellen Kooperationen unserer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Diese Kooperationen und Kooperationsmöglichkeiten sind Ausdruck unserer Wissenschaftsfreiheit, die die Freiheit der Wahl der Forschungsthemen, -gegenstände und -methoden, der Wahl der internationalen Forschungspartner und die Freiheit der Wahl der geeigneten Formen der Zusammenarbeit umfasst. Aufbauend darauf haben wir Instrumente der internationalen Zusammenarbeit entwickelt, um unseren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weitere Optionen zu bieten, diese Kooperationen und die notwendige internationale Vernetzung zu verstärken und auf ein höheres Niveau zu bringen. Im Rahmen unserer Partnergruppen beispielsweise, werden hervorragende Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler in Ländern gefördert, die an einer Stärkung ihrer Forschung durch internationale Kooperation interessiert sind. Max Planck Center wiederum basieren auf einer bereits seit längerem bestehenden Partnerschaft. Sie sind oft der nächste Schritt hin zu einer stärkeren institutionalisierten Zusammenarbeit, bei der Nachwuchs- und Partnergruppen eingerichtet werden. Die Kooperationen der Center gehen deutlich über bilaterale individuelle Partnerschaften hinaus.

Welche Herausforderungen stellen sich bei internationalen Kooperationen?

Die Herausforderungen bei internationalen Kooperationen können ganz unterschiedlicher Natur sein – entscheidend ist letztlich, dass die Kooperationspartner ein gemeinsames Verständnis von den jeweiligen Zielen haben, also eine echte Vertrauensbasis schaffen, und dass sie sich in gegenseitigem Respekt unterschiedlicher rechtlicher und kultureller Kontexte darüber verständigen, welche gemeinsamen Rahmenbedingungen für beide Seiten gelten. Denn unsere Welt ist zwar durch die Kommunikationsmedien enger zusammengewachsen, zugleich sind aber auch neue, vor allem regulative Hürden durch den geopolitischen Wettbewerb der – auch in der Wissenschaft – weltweit wichtigsten und leistungsfähigsten Akteure entstanden. Wissenschaft hat grundsätzlich die Methoden und die Sprache, diese Hürden, freilich unter Berücksichtigung übergeordneter Interessen, zu überwinden. Dadurch spielt die Wissenschaft in internationaler Zusammenarbeit wie jeher auch eine wichtige und verantwortungsvolle Funktion bei der Vermittlung und Sicherung von Werten wie Freiheit der Forschung und Lehre, die Freiheit des akademischen Austauschs, der Wissenschaftskommunikation oder der institutionellen Autonomie.

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