Rotierende Kräfte bringen Embryos in Form

Dresdner Forscher entdecken, wie ein Protein Rotationskräfte erzeugt, die für die Entwicklung von Tieren wichtig sind

Von außen betrachtet sieht unser Körper symmetrisch aus. Wenn man jedoch einen Blick ins Innere wirft, sind unsere Organe keineswegs symmetrisch angeordnet. Das Herz zum Beispiel befindet sich auf unserer linken Seite. Diese Unterschiede, die als Links-Rechts-Asymmetrie bezeichnet werden, bilden sich schon in der frühen Entwicklung eines Embryos aus, und sind entscheidend dafür, dass sich ein Embryo ordentlich und korrekt entwickeln kann. Forscher haben in früheren Studien herausgefunden, dass Drehmomente, also Kräfte die Drehungen bewirken, bei der Entstehung von Links-Rechts-Asymmetrien eine wichtige Rolle spielen. Nun haben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für molekulare Zellbiologie und Genetik, des Biotechnologischen Zentrums der Dresden und des Exzellenzclusters Physik des Lebens an der TU Dresden die an der Erzeugung von Drehmomenten beteiligten Proteine identifiziert und deren Zusammenspiel erklärt.

Ein sich entwickelnder Organismus braucht Achsen zur Orientierung: Wo befindet sich der obere und der untere Teil des Körpers, wo die Rückseite und die Vorderseite? Eine dritte Achse definiert, wohin die linke und die rechte Seite gehört. Während das Äußere unseres Körpers weitgehend links-rechts-symmetrisch ist, sind unsere inneren Organe links-rechts-asymmetrisch angeordnet. Diese Links-Rechts-Asymmetrie entsteht bereits während der frühen Entwicklung eines Embryos und kann sogar innerhalb einzelner embryonaler Zellen beobachtet werden. Diese Brechung der zellulären Links-Rechts-Symmetrie wird durch den Zellkortex bestimmt, ein feines Netzwerk aus Aktinfilamenten und Myosin-Motorproteinen direkt unter der Zellmembran.

Als Reaktion auf die Aktivität von Myosin-Motoren führt der Kortex Bewegungen auf zellulärer Ebene durch, und setzt sich kollektiv in Bewegung. Interessanterweise führt der Kortex eine Drehbewegung durch: gegenüberliegende Hälften der embryonalen Zellen vollführen Drehungen mit entgegengesetztem Drehsinn. Diese gegenläufigen Rotationen wiederum erwirken das Kippen einiger Zellen, und führen damit zum Bruch der Links-Rechts-Symmetrie des gesamten Organismus. Diesen Mechanismus hat das Forschungslabor von Stephan Grill, Direktor am Max-Planck-Instituts für molekulare Zellbiologie und Genetik und Sprecher des Exzellenzclusters Physik des Lebens, in früheren Studien identifiziert.

Moleküle erzeugen Drehmomente

Aus der Physik ist bekannt, dass Drehbewegungen als Reaktion auf Rotationskräfte oder Drehmomente entstehen. Was bisher nicht geklärt war, ist, welche Moleküle für die Entstehung von aktiv erzeugen Drehmomenten verantwortlich sind. Dieser Frage ist nun der Postdoktorand Teije Middelkoop in der Forschungsgruppe von Stephan Grill, in Zusammenarbeit mit Forschern des California Institute of Technology und des Massachusetts Institute of Technology nachgegangen. Teije Middelkoop vermutete, dass zwei Proteingruppen an der Entstehung von Drehmomenten beteiligt sind: Formin-Proteine, die helfen Aktinfilamente zu erzeugen, und Myosin-Motorproteine, die an Aktinfilamenten ziehen. Da Aktinfilamente molekulare Kabel mit rechtshändigem Helix-Twist sind, könnten diese beiden Proteine prinzipiell Rotationskräfte auf molekularer Ebene erzeugen, doch ob und wie diese beiden Proteintypen zusammenspielen war unklar. Teije Middelkoop erklärt: „Mit fluoreszierender Konfokalmikroskopie fanden wir heraus, dass die gegenläufigen Strömungen im Kortex des Fadenwurms Caenorhabditis elegans zunahmen, wenn mehr Formin vorhanden war. Sobald wir die Menge an Formin im Fadenwurm reduzierten, sahen wir auch weniger Drehbewegungen im Zellkortex.”

Außerdem fanden die Forscher heraus, wie Myosin und Formin zusammenarbeiten: Während Myosin notwendig ist, um die notwendigen Kräfte zu erzeugen, analog zum Motor eines Autos, agiert Formin wie ein Lenkrad und sorgt dafür, dass die von Myosin erzeugen Kräften rotierende Ströme und Zellbewegungen bewirken. Stephan Grill fasst zusammen: „Diese Erkenntnisse sind ein weiteres Beispiel für den Brückenschlag zwischen der  Physik und der Biologie, wie er schon lange hier am Standort Dresden in idealer Weise vollzogen wird. Wir haben Biologen und theoretische Physiker auf dem Campus, die in der Lage sind, die Physik biologischer Prozesse interdisziplinär zu beleuchten. Und das spannende an dieser Studie ist, dass wir nun die dem Embryonalwachstum zugrundeliegenden physikalischen Kräfte und Drehmomente ein Stück weit besser verstehen.”

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht