Forschungsbericht 2020 - Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns
Der Mitochondrien–Mikroben Konflikt
Mitochondrien: Mehr als zelluläre Kraftwerke
Mitochondrien sind ein wesentlicher Teil der Zelle. Am bekanntesten sind sie dafür, die für Zellen erforderliche Energie zu erzeugen. Heute wissen wir, dass Mitochondrien weitere wesentliche Funktionen erfüllen. Zum Beispiel setzen sie Metabolite frei, die regulieren, wie DNA gepackt und gelesen wird, um RNA und Proteine herzustellen. Mitochondrien produzieren darüber hinaus Metabolite, die zur Herstellung wichtiger zellulärer Bausteine, wie Lipide, oder für die Regulierung der Zelldifferenzierung benötigt werden. Mitochondrien können sich in der Zelle bewegen, miteinander verschmelzen oder sich teilen - Prozesse, die für ihre Funktion wichtig sind. Angesichts ihrer fundamentalen Rolle ist es daher keine Überraschung, dass Mikroben Strategien entwickelt haben, um verschiedene Aspekte der mitochondrialen Funktion zu beeinflussen.
Doch anders als in einer gesunden werden Mitochondrien in einer infizierten Zelle als Ziel für Mikroben, als Signalplattform oder als Reservoire für Gefahrensignale wahrgenommen [1, 2]. Dies misst der Tatsache wenig Bedeutung bei, dass Mitochondrien als zelluläre Kraftwerke auch große Konsumenten zellulärer Nährstoffe sind, was bedeutet, dass es eine signifikante Überschneidung in der Menge derjenigen Metabolite gibt, die sowohl von Mitochondrien als auch intrazellulären Mikroben verbraucht werden. Diese Konkurrenz bedingt nämlich eine entgegengesetzte Beziehung zwischen der Gesundheit der Mitochondrien und dem mikrobiellen Wachstum - und damit einen Mitochondrien-Mikroben-Konflikt.
Toxoplasma gondii als Versuchsobjekt
In meiner Forschungsgruppe sind wir daran interessiert zu verstehen, wie Mitochondrien Mikroben erkennen und auf sie reagieren sowie die Mechanismen zu definieren, mit denen Mitochondrien das Wachstum von eindringenden Mikroben einschränken. Wir verwenden den Parasiten Toxoplasma gondii als Erregermodell, und zwar aus zwei Gründen: Mitochondrien bewegen sich während einer Infektion mit bestimmten Viren, Bakterien und Parasiten wie T. gondii zu der Vakuole, in der sich die Mikroben im Inneren der Zelle vermehren, hin und umschließen diesen vollständig - ein Hinweis darauf, dass die sie die Infektion tatsächlich wahrnehmen und darauf reagieren. Zweitens ist Toxoplasma ein äußerst erfolgreicher Parasit, der rund 1/3 der Weltbevölkerung und bis zu 70% der über 70-jährigen Einwohner in Deutschland infiziert. Die Erweiterung unseres Verständnisses darüber, wie Mitochondrien auf eine Toxoplasma-Infektion reagieren, könnte neue Wege für eine Therapie aufzeigen [3].
Wir haben kürzlich gezeigt, dass Mitochondrien Zellen aktiv gegen Toxoplasma verteidigen, indem sie um die für das Wachstum von Toxoplasma wichtigen Lipide konkurrieren [4]. Bemerkenswert ist, dass eine einfache Verbesserung der Fähigkeit der Mitochondrien, Fette abzubauen, das Wachstum der Parasiten einschränkte. Da diese Abwehr wahrscheinlich zur Entstehung mikrobieller Gegenmaßnahmen geführt hat, fragten wir als nächstes: Wie reagieren die Mitochondrien auf Toxoplasma-Angriffe?
Denkbar ist, dass die äußere Mitochondrienmembran (Outer Mitochondrial Membrane; OMM) alle Signale von den beziehungsweise an die Mitochondrien koordiniert, dadurch mehrere Programme einschließlich des Stoffwechsels beeinflusst und so in Kontakt mit der sich bildenden Vakuole des Parasiten steht [5]. Darüber hinaus könnten die Mitochondrien auf einen solchen Angriff mit einer Remodellierung ihrer OMM reagieren. Um unsere Hypothese zu prüfen, betrachteten wir Zellen unter dem Mikroskop, die grün fluoreszierendes Protein (green fluorescent protein; GFP) in der OMM exprimierten und mit Toxoplasma Zellen infiziert waren, die wiederum rot fluoreszierendes Protein (RFP) exprimierten. Bemerkenswerterweise beobachteten wir in mit Toxoplasma infizierten Zellen große kugelförmige Strukturen, die wir als SPOTs (structures positive for outer mitochondrial membrane; Strukturen, die positiv für die äußere Mitochondrienmembran sind) bezeichneten und die aus der OMM heraustraten (Abb. 1). Wir stellten fest, dass die SPOTs mit fortschreitender Infektion an Größe zunahmen, einen Durchmesser von 1-10 mm hatten und keinerlei Bestandteile anderer mitochondrialer Kompartimente enthielten.
Da mehr als 1.000 mitochondriale Proteine vorab im Zytosol hergestellt und nachfolgend in die Mitochondrien importiert werden, wäre es möglich, dass SPOTs deswegen gebildet werden, um Toxoplasma-induzierten Proteinstress abzuschwächen. Toxoplasma könnte nämlich den Import genau dieser Proteine stören, was zur Anhäufung von aggregationsanfälligen Proteinen im Zytosol führt, die am Ende für die Zelle toxisch sein können. Wenn SPOTs tatsächlich eine mitochondriale Strategie zur Bewältigung eines solchen Stresses wären, dann würden wir Folgendes erwarten: 1) SPOTs müssten aggregationsanfällige Proteine enthalten, und 2) die Konzentration solcher Proteine müsste während der Infektion vermindert werden. In der Tat zeigten nachfolgende Experimente, dass SPOTs Proteine enthalten, von denen vorhergesagt wird, dass sie zur Aggregation neigen, und dass die Konzentration dieser Proteine während der Infektion vermindert wird. Wir fanden, dass der Verlust dieser Proteine eine Maschinerie im Wirt erforderte, die in Qualitätskontrollwege eingebunden ist. Die SPOTs scheinen also eine mitochondriale Antwort auf die Infektion zu sein, um mit dem Proteinimportstress fertig zu werden.
Ausblick
Dank der Untersuchung des intrazellulären Konflikts zwischen Toxoplasma und Mitochondrien haben wir neue kugelförmige Strukturen identifiziert, die wir als SPOTs bezeichnen und die dazu dienen, Proteotoxizität abzuschwächen, welche durch die Hemmung des mitochondrialen Proteinimports verursacht wird. Da die mitochondriale Funktion und Integrität mit zunehmendem Alter abnehmen, könnte die SPOT-Bildung ein therapeutisches Ziel sein, um die mitochondriale Gesundheit und/oder die Infektionsresistenz zu verbessern.