Pionierin des Artenschutzes

Jana Wäldchen vom Max-Planck-Institut für Biochemie über die britische Biodiverstitätsforscherin Georgina Mace

Die britische Biologin Georgina Mary Mace (1953-2020) gilt als Wegbereiterin des Naturschutzes. Die gebürtige Londonerin erforschte mehr als 35 Jahre lang die Ursachen und Folgen des Artenschwunds. Einer ihrer Forschungsschwerpunkte lag dabei auf den Auswirkungen des Klimawandels auf biologische Vielfalt und Ökosysteme. In ihrer Arbeit konzentrierte sie sich besonders auf Politik und die Entscheidungsfindung bei Schutzmaßnahmen. 1988 wurde Georgina Mace mit einer Neukonzeption der „Roten Liste gefährdeter Tier- und Pflanzenarten“ der Weltnaturschutzunion (IUCN) beauftragt. Ihr Entwurf war in vielerlei Hinsicht radikal, da sie erstmals wissenschaftliche Kriterien auf Basis der Populationsbiologie entwickelte, um Bewertungen zu standardisieren. Heute gilt die Rote Liste als meistgenutzte und vertrauenswürdigste Quelle für die Beurteilung von Trends in der globalen Biodiversität. Sie ist inzwischen auf mehr als 120.000 Tier-, Pflanzen- und Pilzarten angewachsen; etwa 32.000 davon sind derzeit als gefährdet gelistet. 

Nach ihrem Bachelor-Abschluss in Zoologie an der University of Liverpool promovierte Mace 1979 in Biologie an der University of Sussex. Nach einem Postdoc-Aufenthalt an der Smithsonian Institution in Washington kehrte sie nach Großbritannien zurück und arbeitete für die Zoological Society of London. Von 2006 bis 2012 leitete sie das Centre for Population Biology am Imperial College London und wechselte dann als Gründungsdirektorin des Zentrums für Biodiversität und Umweltforschung (CBER) an das University College London. Am 19. September 2020 starb sie im Alter von 67 Jahren.

Frau Wäldchen, was fasziniert Sie besonders an Georgina Mace?

Ihre Liebe zur biologischen Vielfalt und ihr Glaube an einen Wertewandel in der Gesellschaft, der es ermöglicht, die biologische Vielfalt zu erhalten und im Einklang mit der Natur zu leben. Frau Mace betrieb richtungsweisende Grundlagenforschung auf dem Feld der Biodiversität und nutzte dieses Wissen für den Naturschutz. Sie setzte sich für die Idee ein, dass unser Wohlergehen vom Schutz der Biodiversität abhängt und dass wir ihren Verlust nicht länger akzeptieren können, nur, weil er angeblich notwendig für den Fortschritt ist.  Anstatt jedoch nur auf die bereits verlorenen Lebensräume und Arten hinzuweisen, betonte sie immer wieder, wie wichtig es für die Natur und für unsere eigene Zukunft ist, dass wir alle zusammenarbeiten und jetzt sofort handeln, um die verbleibende Artenvielfalt zu schützen.

Wie wichtig sind Maces Beiträge zur Biodiversität, Ökologie und Naturschutzbiologie heute?

Frau Mace revolutionierte die Art und Weise, wie wir den anhaltenden, rapiden Verlust der biologischen Vielfalt messen und quantifizieren können. Ihre Forschungen trugen dazu bei, die Naturschutzbiologie in eine Wissenschaft zu verwandeln. Sie lieferte die Grundlagen, um die Muster des Biodiversitätsverlusts über Arten und Ökosysteme hinweg systematisch und analytisch zu vergleichen und zu bewerten, jenseits von einigen wenigen charismatischen Arten. Die Rote Liste der Weltnaturschutzunion (IUCN) ist heute die meistgenutzte Quelle, um Trends in der globalen Biodiversität zu beurteilen.  Georgina Mace entwickelte dafür erstmals wissenschaftliche Kriterien, um die Bewertungen zu standardisieren, basierend auf der Theorie der Populationsbiologie. So zeigte sich erstmals, dass Tausende von Arten und deren Lebensräume ein gefährlich hohes Aussterberisiko haben. Frau Mace betonte stets die Bedeutung der biologischen Vielfalt innerhalb von Artengemeinschaften und deren Lebensräumen und zeigte, dass sowohl häufige als auch seltene Arten sowie deren Wechselwirkungen zu schützen sind. 

Im Millennium Redoxsystem Assessment, das 2001 veröffentlicht wurde, war Frau Mace koordinierende Hauptautorin für den Bereich Biodiversität. Ziel dieser Studie war es, die Verlustrate der biologischen Vielfalt zu quantifizieren und aussichtsreiche Schutzmaßnahmen zu erarbeiten, insbesondere angesichts der Bedrohung durch den Klimawandel. Der anhaltende Biodiversitätsverlust konnte jedoch bisher nicht gestoppt werden.

In den letzten Jahren widmete sich Georgina Mace dann vermehrt der Frage, welche Bedeutung die Vielfalt des Lebens für das Wohlergehen des Menschen hat. Sie plädierte dafür, dass die Wirtschaft die biologische Vielfalt als "natürliches Kapital" wertschätzen muss, von dem unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden abhängen. Als Wissenschaftlerin wirkte sie bei der Festlegung der Naturschutzpolitik in Großbritannien mit und zeigte einmal mehr, wie wichtig wissenschaftliche Erkenntnisse für politische Entscheidungen sind.

Frau Wäldchen, warum sind Sie Wissenschaftlerin geworden?

Ich habe direkt nach meinem Abitur an der Fachhochschule in Eberswalde Landschaftsnutzung und Naturschutz studiert. Fachhochschulen in Deutschland sind in Studium und Lehre gegenüber Universitäten mehr praxis- und anwendungsorientiert ausgerichtet. Das Konzept hat mir damals gefallen, weil ich schon immer anwendungsorientiert arbeiten wollte. Während meines Studiums fand ich jedoch immer mehr Gefallen an wissenschaftlicher Tätigkeit. Während meiner Diplomarbeit wurde mir dann klar, dass ich promovieren möchte. Am Max-Planck-Institut für Biogeochemie gab mir Professor Schulze, Gründungsdirektor des Instituts, „trotz“ FH-Abschluss die Möglichkeit, eine Doktorarbeit zu beginnen. Das war mein Einstieg in die Wissenschaft. Meine Motivation war anfangs vor allem Neugierde und die Suche nach einer neuen Herausforderung. Heute finde ich in der Wissenschaft die Freiheit das zu tun, wofür ich brenne.  Der anwendungsorientierte Ansatz nimmt bei mir dabei weiterhin einen wichtigen Stellenwert ein.

Die Pflanzenbestimmungs-App, Flora Incognita, zu deren Entwicklung Sie maßgeblich beigetragen haben, wurde inzwischen mehr als eine Million Mal heruntergeladen und mit dem Thüringer Forschungspreis prämiert.

Sie bereiten diese App jetzt für Schulen vor, und es soll auch eine „Spiel-App“ geben. Können Sie dazu mehr erzählen?

Die Flora Incognita App soll die Bestimmung von Pflanzenarten erleichtern. Ich denke, es ist uns gelungen, ein generationsübergreifendes Bestimmungstool zu entwickeln. Sie kann sowohl von der 70-jährigen Oma als auch vom 10-jährigen Enkel genutzt werden. Mein Anliegen war jedoch von Anfang an, die App noch besser an verschiedene Nutzergruppen anzupassen. Dieses Jahr beginnen wir mit den Kindern. Mit fachlicher Hilfe von Kolleg*innen der Biologiedidaktik an der LMU München werden derzeit die Pflanzensteckbriefe der häufigsten Arten im kindgerechtem Stil angepasst. Zusätzlich sollen kurze Videos zu den Pflanzen integriert werden. Diese Steckbriefe lassen sich dann über die Einstellungen in der App freischalten. 

Unabhängig von der Flora Incognita App findet der von uns entwickelte Bestimmungsservice auch in anderen Bereichen immer mehr Anwendung. Zum Beispiel arbeiten Kolleg*innen der Universität Würzburg an einer Spiel-App, bei der die Nutzer*innen Pflanzen suchen, um virtuell angelegte Bienenstöcke zu füttern. Die Identifizierung der Pflanzen erfolgt durch unseren Bestimmungsservice. Die Nutzer*innen erfahren durch die App auf spielerische Art und Weise mehr über die Wechselwirkungen zwischen Blüte und Bestäuber. Vielleicht ist das ein erster Schritt, um in Zukunft nicht nur Pokemons, sondern auch Pflanzen in der Natur digital zu sammeln.

Wie kamen Sie auf die Idee, die Vorteile Künstlicher Intelligenz für den Erhalt biologischer Vielfalt zu nutzen?

Die Idee war wirklich eine „Lagerfeueridee“, die gemeinsam mit zwei Kolleginnen aus dem Institut im Jahr 2011 entstanden ist. Ich hatte damals noch kein Smartphone und es gab auch noch keine derartige Bestimmungsapp. Ich fragte mich, ob es nicht möglich ist, die Pflanzenbestimmung zu vereinfachen und somit für Jeden zugänglich zu machen. Ich fing an, wissenschaftliche Studien zu lesen. Dabei merkte ich schnell, dass schon seit vielen Jahren daran gearbeitet wurde, jedoch ausschließlich im Informatikbereich. Die Ergebnisse waren damals noch nicht sehr vielversprechend. Die Wissenschaftler*innen arbeiteten nur mit sehr kleinen Datensätzen und analysierten Bilder unter künstlichen Bedingungen, aufgenommen im Labor mit einfarbigem Hintergrund weit davon entfernt, in der Natur angewandt zu werden.

Das wiederum weckte in mir den Ehrgeiz, die automatische Bestimmung zu verbessern und vor allem in die breite Anwendung zu bringen. Mit Professor Mäder von der TU Ilmenau fand ich einen Projektpartner, der die Idee begeistert aufnahm. Der gemeinsame Forschungsantrag wurde positiv begutachtet und wir konnten 2014 dieses interdisziplinäre Projekt starten.

Können Sie sich weitere ähnliche Projekte vorstellen?

Definitiv. Ich möchte weiterhin bei der Entwicklung von Methoden und Technologien mitwirken, die ein effizientes, schnelles und automatisiertes Monitoring von Biodiversität in verschiedenen Lebensräumen und Landschaften ermöglichen. Die Überwachung der biologischen Vielfalt ist entscheidend, um den Artenrückgang und/oder das Aussterben von Arten rechtzeitig zu erkennen, Managementmaßnahmen festzulegen oder auch die Wirksamkeit von Praktiken zum Erhalt der biologischen Vielfalt zu quantifizieren. Digitale Lösungen werden in diesem Bereich immer wichtiger. Gleichzeitig ist die Biodiversitätsforschung wie andere Zweige der Biologie und der Biogeowissenschaften, in die Welt von "Big Data" eingetreten. Mit Hilfe von immensen Datenmengen und zunehmender Rechenleistung werden wir in Zukunft noch besser Vorhersagen zu Umweltveränderungen und deren Auswirkungen auf die Biodiversität treffen können. Ich freue mich, dass ich in den nächsten Jahren weiterhin die Möglichkeit habe, an genau dieser Schnittstelle zu arbeiten.

Der Anteil von Frauen in der Wissenschaft liegt weltweit nur bei 30 Prozent. Die zahlenmäßige Unterrepräsentanz von Frauen in der Forschung ist also auch heute noch allgegenwärtig, vor allem in den MINT-Fächern (Mathematik, Ingenieurswesen, Naturwissen- und Technikwissenschaften).

Welche Faktoren tragen Ihrer Meinung nach zu dieser Diskrepanz bei?  Was ist ihrer Meinung nach notwendig, damit sich mehr Mädchen für naturwissenschaftliche und technische Disziplinen begeistern und MINT- Berufe anstreben?

Ich finde es wichtig, dass Interesse und Selbstvertrauen schon in der Schule geweckt werden. Mein Biologielehrer in der 10. Klasse hat mich damals nicht nur für die  Biologie begeistert, sondern mir auch das nötige Selbstvertrauen gegeben, um mich in der Oberstufe in diesen Bereich zu vertiefen. Gerade die letzten beiden Schuljahre waren prägend für meinen weiteren Lebensweg. Ich würde mir wünschen, dass Lehrer*innen Mädchen bestärken, in der Schule technische Fächer zu belegen. Gleichzeitig finde ich auch Programme hilfreich, die Mädchen die Möglichkeit geben, ein Schnupperstudium in einen technischen Fach oder an einer technischen Universität zu machen. Auch Rollenvorbilder im privaten Bereich sind wichtig. Unsere Gesellschaft kann nur gewinnen, wenn auch Frauen in die klassischen Männerdomänen strömen. Ob Klimakrise, Digitalisierung oder auch die aktuelle Coronapandemie – MINT-Berufe sind zukunftsträchtig, und wir brauchen dafür zunehmend qualifiziertes Personal. Hier können wir auf qualifizierte, motivierte Frauen einfach nicht mehr verzichten.

Brauchen wir einen Strukturwandel im Wissenschaftsbetrieb, um den Frauenanteil zu erhöhen?

Ich kann nur aus eigener Erfahrung berichten. Ich habe mich in meinem bisherigen wissenschaftlichen Umfeld sehr wohlgefühlt. Während meiner Doktorarbeit habe ich mit Kolleginnen zusammengearbeitet, mit denen mich bis heute eine innige Freundschaft verbindet. Das Institut gab mir die Möglichkeit, mein eigenes Projekt einzuwerben und eine Arbeitsgruppe zu leiten. Ich leite eine wirklich tolle Gruppe und erhalte viel Zuspruch von Kolleg*innen innerhalb des Instituts, aber auch von außerhalb. Ichhabe es auch bisher sehr gut geschafft Familie und Beruf zu vereinbaren.

Ich denke jedoch, wir brauchen verschiedene Typen von Wissenschaftler*innen: Die großen Netzwerker, die gemeinsam großartige Ideen entwickeln und umsetzen, aber auch diejenigen, die sich eher in kleinen Gruppen entfalten können. Letztere scheinen mir manchmal etwas im heutigen Wissenschaftssystem unterzugehen, was ich sehr schade finde.

Und ich denke, dass ich für viele engagierte Kolleginnen in meinen Alter spreche, wenn ich sage, dass wir in der Wissenschaft langfristige Perspektiven für unterschiedliche Karriereziele brauch

Halten Sie MentorInnen-Programme und/ oder Frauennetzwerke für sinnvoll? Gibt es Angebote, um Hürden für Frauen in der wissenschaftlichen Entwicklung zu überwinden, die Ihrer eigenen Erfahrung nach hilfreich sind?

Mentoring an den Universitäten und in wissenschaftlichen Forschungsinstitutionen wie der Max-Planck-Gesellschaft sind sinnvoll, um junge Frauen auf ihrem Karriereweg zu unterstützen.

Welche Vorbilder sehen Sie für Frauen in der Wissenschaft?

Meine persönlichen Vorbilder sind Menschen, die ihre Arbeit lieben und bei denen man die pure Begeisterung für ihr Forschungsfeld spürt., Wissenschaftler*innen, die zur Lösung aktueller gesellschaftlicher Herausforderungen beitragen und Wissenschaftler*innen, die auch einen Teil ihrer Arbeit darin sehen, ihre Erkenntnisse eine breiten Öffentlichkeit zu vermitteln. Das gilt für alle Forschenden, unabhängig davon, auf welcher Karrierestufe sie sich befinden.

Welchen Rat würden Sie jungen Frauen geben, die eine wissenschaftliche Laufbahn in Erwägung ziehen?

Bleibt einfach so wie Ihr seid und folgt euren Herzen. Lasst Euch nichts einreden, und vor allem:  Redet Euch nicht selbst ein, dass Ihr es nicht schafft. Habt Selbstvertrauen, Durchhaltevermögen und verliert nie die Liebe zu Eurem Beruf.

TR

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