Atomkerne in der Quantenschaukel

Eine extrem genaue Kontrolle von Kernanregungen eröffnet Wege zu ultrapräzisen Atomuhren und leistungsstarken Kernbatterien

17. Februar 2021

Von Atomuhren über sichere Kommunikation bis zu Quantencomputern: Diese Entwicklungen basieren auf der immer besseren Kontrolle des Quantenverhaltens von Elektronen in Atomhüllen mit Hilfe von Laserlicht. Nun gelang es Physikern des Max-Planck-Instituts für Kernphysik in Heidelberg erstmals, Quantensprünge in einem Atomkern analog mit Röntgenlicht kontrolliert zu steuern. Im Vergleich zu den Elektronensystemen sind nukleare Quantensprünge extrem, mit bis zu millionenfach höheren Energien und unfassbar kurzen Zeptosekunden-Vorgängen. Eine Zeptosekunde ist der Billionste Teil einer Milliardstel Sekunde. Als Lohn winken tiefe Einblicke in die Quantenwelt, ultrapräzise Kernuhren oder Kernbatterien mit enormer Speicherkapazität. Das Experiment erforderte eine ausgefeilte Röntgen-Blitzanlage, die eine von Jörg Evers geleitete Heidelberger Gruppe im Rahmen einer internationalen Kooperation entwickelt hat.

Einer der großen Erfolge der modernen Physik ist die immer genauere Kontrolle von dynamischen Quantenprozessen. Sie ermöglicht ein vertieftes Verständnis der Quantenwelt mit ihren Seltsamkeiten, überdies ist sie ein Treiber neuer Quantentechnologien. Und doch ist die kohärente Kontrolle, wie sie im Fachjargon heißt, bislang – aus der Perspektive der Atome gesehen – oberflächlich geblieben: Es sind nämlich die Elektronen in der äußeren Hülle der Atome, deren Quantensprünge per Laser immer besser steuerbar geworden sind. Doch auch die winzigen Atomkerne selbst seien Quantensysteme, erläutert Christoph Keitel, in denen die Kernbausteine Quantensprünge zwischen verschiedenen Quantenzuständen machen können.

Energiereiche Quantensprünge für Kernbatterien

„Neben dieser Analogie zu den Elektronenhüllen gibt es aber Riesenunterschiede“, erklärt der Direktor am Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg: „Die haben uns so begeistert!“ Quantensprünge zwischen verschiedenen Quantenzuständen sind eigentlich Sprünge auf einer Art Energieleiter. „Und die Energien dieser Quantensprünge sind oft um sechs Größenordnungen größer als in der Elektronenhülle“, sagt Keitel. In einen einzigen Quantensprung, den ein Kernbaustein macht, lässt sich somit bis zu millionenfach mehr Energie hinein pumpen – oder umgekehrt wieder herausholen. Das hat zum Beispiel die Idee von Kernbatterien hervorgebracht, mit einer nie dagewesenen Speicherkapazität.

Noch sind solche technischen Anwendungen reine Zukunftsvisionen. Aktuell geht es in der Forschung darum, diese Quantensprünge erst einmal gezielt adressieren und steuern zu können. Dies erfordert entsprechend präzise kontrolliertes, energiereiches Röntgenlicht. Über zehn Jahre hat das Heidelberger Team an einer solchen Experimentiertechnik gearbeitet. Nun kam sie erstmals zum Einsatz.

Genaue Frequenzen ermöglichen ultrapräzise Kernuhren

Die Quantenzustände von Atomkernen bieten noch einen weiteren wichtigen Vorteil gegenüber den Elektronenzuständen. Im Vergleich zur Höhe der elektronischen Quantensprünge sind sie viel schärfer definiert. Da sich dies nach den Gesetzen der Physik direkt in genauere Frequenzen umrechnet, lassen sie sich im Prinzip zu Messungen mit extremster Präzision einsetzen. Zum Beispiel könnte das die Entwicklung ultragenauer Kernuhren ermöglichen, gegen die sich die heutigen Atomuhren wie alte Pendeluhren ausmachen würden. Neben technischen Anwendungen solcher Uhren, etwa in der Navigation, ließen sich damit vor allem die Grundlagen der heutigen Physik noch viel genauer überprüfen. Dazu zählt die fundamentale Frage, ob die Naturkonstanten wirklich konstant sind. Allerdings erfordern solche Präzisionstechniken die Steuerung der Quantenübergänge in Kernen.

Das Prinzip der Heidelberger Experimentiertechnik klingt zunächst recht einfach. Sie setzt Pulse, sprich Blitze, aus energiereichem Röntgenlicht ein, welche aktuell die Europäische Synchrotron-Strahlenquelle ESRF Grenoble liefert. Diese Röntgenpulse splittet das Experiment in einer ersten Probe so auf, dass hinter dem Rest des ersten Pulses ein zweiter Teilpuls zeitverzögert hinterher läuft. Beide treffen nacheinander auf eine zweite Probe, das eigentliche Untersuchungsobjekt.

Aufeinander abgestimmte Lichtblitze verstärken oder schwächen die Anregung

Der erste Puls ist sehr kurz und enthält ein breites Frequenzgemisch. Wie ein Schrotschuss regt er so einen Quantensprung im Kern an, beim ersten Experiment war dies ein spezieller Quantenzustand im Kern des Eisen-Atoms. Der zweite Puls ist viel länger und hat dafür eine präzise auf den Quantensprung abgestimmte Energie. So kann er gezielt die von Puls 1 ausgelöste Quantendynamik manipulieren. Die Zeitspanne zwischen beiden Pulsen ist verstellbar. So kann das Team einstellen, ob der zweite Puls für den Quantenzustand eher konstruktiv oder destruktiv wirkt.

Diesen Kontrollmechanismus vergleichen die Heidelberger Physiker mit einer Schaukel: Mit dem ersten Puls schubst man sie an, und je nachdem, in welcher Phase ihres Schwingens man ihr den zweiten Schubser verpasst, schwingt sie danach noch weiter aus oder wird abgebremst.

Pulskontrolle auf wenige Zeptosekunden genau

Doch was einfach klingt, ist eine technische Herausforderung, die jahrelange Forschungsarbeit erforderte. Eine kontrollierte Veränderung der Quantendynamik in einem Atomkern setzt voraus, dass die Verzögerung des zweiten Pulses auf der unvorstellbar kurzen Zeitskala von wenigen Zeptosekunden stabil ist. Denn nur dann wirken die beiden Pulse kontrollierend zusammen.

Eine Zeptosekunde ist der Billionste Teil einer Milliardstel Sekunde – eine Dezimalzahl mit zwanzig Nullen nach dem Komma, bevor eine Eins kommt. In einer Zeptosekunde schafft es Licht nicht einmal, ein Prozent eines mittleren  Atoms zu durchqueren. Wie kann man sich das auf unsere Welt bezogen vorstellen? „Wenn man sich das Atom so groß wie die Erdkugel vorstellt, dann entspräche das etwa der Entfernung zwischen Heidelberg und Karlsruhe“, vergleicht Jörg Evers, der das Projekt initiiert hat.

Die Probe wird um 45 Billionstel Meter verschoben

Verzögert wird der zweite Röntgenpuls durch eine winzige Verschiebung der ersten Probe. Auch in ihr befanden sich bei dem Experiment Eisen-Kerne mit dem passenden Quantenübergang. „Die Kerne speichern selektiv Energie aus dem ersten Röntgenpuls für eine kurze Zeitspanne, in der die Probe schnell um etwa eine halbe Wellenlänge des Röntgenlichts verschoben wird”, erklärt Thomas Pfeifer, Direktor am Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg. Das entspricht ungefähr 45 Billionstel Meter. Danach sendet die Probe den zweiten Puls aus.

Die Physiker vergleichen das mit zwei Stimmgabeln, die unterschiedlich weit von einem Kracher entfernt sind. Dessen Knall trifft zuerst auf die nähere Stimmgabel, bringt sie zum Schwingen, läuft dann weiter und erreicht die zweite Stimmgabel. Inzwischen sendet die erste, nun angeregte Stimmgabel selbst Schall aus, der verzögert bei der zweiten Gabel ankommt. Je nach Verzögerungszeit verstärkt dieser Schall die Schwingungen der zweiten Gabel oder dämpft sie – genau wie bei dem zweiten Schaukel-Anstubsen, und beim Anregen der Kerne. 

Mit diesem Experiment gelang Jörg Evers, Christoph Keitel und Thomas Pfeifer mit ihrem Team vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Kooperation mit Forschern vom Desy in Hamburg und dem Helmholtz-Institut/Friedrich-Schiller-Universität in Jena erstmals der Nachweis kohärenter Kontrolle von Kernanregungen. Neben Synchrotronanlagen wie am ESRF bieten neuerdings Freie-Elektronen-Laser wie der European XFEL am Desy starke Quellen für Röntgenstrahlung sogar in Laserqualität. Das eröffnet dem noch jungen Forschungsgebiet der nuklearen Quantenoptik eine dynamische Zukunft.

RW

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