Forschungsbericht 2020 - Max-Planck-Institut für Neurobiologie des Verhaltens - caesar

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Autoren
E. Pascal Malkemper
Abteilungen
Assoziierte Einrichtung - Forschungszentrum caesar (center of advanced european studies and research), Bonn
Zusammenfassung
Afrikanische Graumulle verbringen ihr gesamtes Leben in unterirdischen Gangsystemen, die eine Länge von mehreren Kilometern erreichen kann. Trotz absoluter Dunkelheit findet sich die kleinen Nagetiere in diesem Labyrinth bestens zurecht. Unterstützt werden sie dabei von der außergewöhnlichen Fähigkeit, sich am Magnetfeld der Erde zu orientieren. Wir versuchen zu verstehen, wie die Rezeptoren dieses Magnetsinnes aufgebaut sind und wie magnetische Reize im Gehirn der Graumulle verarbeitet werden.

Graumulle sind sozial lebende Nagetiere, die in Afrika endemisch sind und die ihr ganzes Leben in unterirdischen Tunnelsystemen verbringen. Jeden Tag navigieren sie durch ein dreidimensionales und sich dynamisch veränderndes Tunnelsystem, das sich über mehrere Kilometer erstrecken kann. Effiziente Orientierung in diesem Tunnel-Labyrinth mit seinen Futtergründen, Futterkammern, Latrinenkammern und Schlafkammern ist für das Überleben unerlässlich. Aber wie schaffen es die Tiere sich in völliger Dunkelheit zurecht zu  finden? Graumulle besitzen eine besondere Sinnesmodalität, den Magnetsinn, welcher es ihnen erlaubt sich am Erdmagnetfeld zu orientieren. Die Funktionweise und der Aufbau der sensorischen und zentralnervösen Strukturen dieses Magnetsinns sind bisher ungeklärt.

Neuronale Aktivitätsmuster während magnetischer Orientierung

Um zu verstehen, wie Graumulle das Magnetfeld der Erde wahrnehmen, untersuchen wir die Verarbeitung der Sinneseindrücke in deren Gehirn. Zunächst möchten wir verstehen, wo im Gehirn magnetische Informationen verarbeitet werden. Üblicherweise wäre die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRI) die Methode der Wahl für eine derartige Fragestellung, aber ein MRT-Scanner erzeugt Magnetfelder, die 70.000 Mal stärker sind als das schwache Erdmagnetfeld. Aus diesem Grund verfolgen wir einen anderen Ansatz bei welchem wir die Expression bestimmter Gene (immediate early genes, IEGs) als Indikator neuronaler Aktivität heranziehen. IEGs (z.B. C-FOS) sind eine Klasse von Genen, deren Expression in vielen Neuronen aktivitäts-abhängig reguliert wird. Die Kartierung von Neuronen mit hoher IEG-Expression erzeugt somit Schnappschüsse erhöhter neuronaler Aktivität. Traditionell werden diese Experimente an  Gehirnschnitten durchgeführt, was bedeutet, dass tausende Schnitte gleichzeitig verarbeitet und analysiert werden müssen, um die Aktivität zwischen gesamten Gehirnen zu vergleichen. Als Konsequenz waren diese Ansätze stark hypothesengetrieben – das heißt sie konzentrierten sich auf wenige ausgewählte Gehirnregionen. Da sich die Magnetinformationen verarbeitenden Regionen jedoch überall im Graumullgehirn befinden können, verwenden wir eine neue Methodik zur unvoreingenommenen und globalen Messung neuronaler Aktivierung.

Für unsere Experimente haben wir einen abgeschirmten Raum errichtet, der visuelle, akustische und somatosensorische Stimulationen minimiert und durch 3D-Magnetspulen eine kontrollierte magnetische Umgebung erzeugt (Abb. 1). In einem Experiment erkunden Graumulle eine runde Arena während wir die Richtung des umgebenden Magnetfeldes kontinuierlich ändern. Anschließend analysieren wir die Gehirne mit einer Clearing-Technologie namens iDISCO+ [1]. Hierbei werden alle IEG-positiven Neuronen im Graumullgehirn fluoreszent markiert und das Gehirn anschließend optisch transparent gemacht. Lightsheet-Mikroskopie ermöglicht die anschließende Visualisierung aller markierten Neurone im intakten Gehirn (Abb. 2, [2]). Die Software ClearMap [1] kartiert alle gefärbten Zellen und ordnet sie Regionen in einem von uns erstelltem Graumull-Standardgehirn zu. Die resultierenden Hirnkarten von magnetisch stimulierten und Kontrolltieren enthalten gemittelte aktivierte Neuronenanzahlen und Standardabweichungen  und ermöglichen es uns, magnetisch aktivierte Hirnbereiche durch Voxel-Vergleiche zu identifizieren. Die Identifikation der Hirnregionen wird durch einen Graumull-Gehirnatlas unterstützt, den wir kürzlich veröffentlicht haben [3]. Um die Abdeckung zu maximieren, markieren wir verschiedene IEGs gleichzeitig mit Fluoreszenz verschiedener Wellenlängen im Rot- und Infrarotbereich. Von dieser Methodik versprechen wir uns die unvoreingenommene Identifizierung von Gehirnregionen, die an der Verarbeitung magnetischer Sinneseindrücke beteiligt sind.

Die Kompassnadel im Heuhaufen finden

In einem weiteren Projekt verfolgen wir das Ziel die Magnetrezeptoren, also diejenigen Zellen zu identifizieren, die Magnetfelder in neuronale Signale umwandeln. Verhaltensexperimente stützen die Hypothese, dass die Magnetrezeptorzellen der Graumulle Nanokristalle des stark magnetischen Eisenoxids Magnetit enthalten [4]. Wir suchen daher gezielt nach Zellen die einerseits Magnetit enthalten und andererseits mit dem Nervensystem verbunden sind. Die entsprechenden Analysen gleichen der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heufhaufen, da bereits wenige 30-50 nm Magnetitkristalle gekoppelt an einen mechanosensitiven Ionenkanal als effektiver Magnetorezeptor fungieren könnten – wie können wir derart winzige Strukturen in den Millionen Zellen eines Graumulls ausfindig machen? Erkenntnisse aus Verhaltensversuchen und das Wissen um die beteiligten Hirnregionen dienen uns als Orientierungshilfe. Mithilfe neuronaler Tracer möchten wir die Verbindungen zwischen magnetisch aktivierten Hirnbereichen und Zielgeweben in der Peripherie darzustellen. Um nanometergroße Magnetitkristalle in diesen Zielgeweben zu finden, verwenden wir verschiedene Techniken um magnetische Strukturen oder Eisen zu detektieren: (i) Quantitative Magnetresonanztomographie  (ii) Synchrotron-Röntgenfluoreszenzmikroskopie [5], (iii) Elektronen-Paramagnetresonanzmikroskopie und (iv) Elektronenmikroskopie. Durch eine systematische Suche mit diesen komplementären Methoden erhoffen wir uns die Magnetrezeptorzellen des Graumulls in den kommenden Jahren identifizieren zu können und damit den Weg für detaillierte Analysen der molekularen Grundlagen des Magnetsinnes zu ebnen.

Zusammengefasst möchten wir mit unserer Forschung Erkenntisse darüber zu gewinnen, wie ein Säugetier das Erdmagnetfeld wahrnimmt und für die Orientierung nutzt. Dieses Verständnis wird es uns erlauben, genauere Vorhersagen über die Wirkung anthroprogener Magnetfelder auf Lebewesen zu treffen. Zusätzlich erhoffen wir uns die Rezeptortechnik kopieren und auf andere Organismen übertragen zu können, um die Aktivität von Nervenzellen mithilfe von Magnetfeldern gezielt beeinflussen zu können. Auf diese Weise könnte ein kleines afrikanisches Nagetier dazu beitragen, Krankheiten mit neuronaler Dysfunktion wie Parkinson besser behandeln zu können.

Literaturhinweise

Renier, N., Adams, E.L., Kirst, C., Wu, Z., Azevedo, R., Kohl, J., Autry, A.E., Kadiri, L., Venkataraju, K.U., Zhou, Y., et al. (2016).
Mapping of brain activity by automated volume analysis of immediate early genes.
Cell 165, 1789-1802.
Malkemper, E.P., Nimpf, S., Nordmann, G.C., and Keays, D.A.(2020).
Neuronal circuits and the magnetic sense: central questions.
J. Exp. Biol. 223.
Dollas, A., Oelschläger, H.H.A., Begall, S., Burda, H., and Malkemper, E.P. (2019).
Brain atlas of the African mole-rat Fukomys anselli.
J. Comp. Neurol., 1885-1900.
Marhold, S., Wiltschko, W., and Burda, H. (1997).
A magnetic polarity compass for direction finding in a subterranean mammal.
Naturwissenschaften 84, 421-423.
Malkemper, E.P., Kagerbauer, D., Nimpf, S., Shaw, J., Pichler, P., Treiber, C.D., de Jonge, M., and Keays, D.A. (2019).
No evidence for magnetite-based magnetoreceptors in the pigeon lagena.
Curr. Biol. 29, R1-R15
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