Forschungsbericht 2020 - Friedrich-Miescher-Laboratorium für biologische Arbeitsgruppen in der Max-Planck-Gesellschaft

Mithilfe kleiner Perlen das Genom entwirren

Autoren
Kučka, Marek; Su, Dingwen; Chan, Yingguang Frank
Abteilungen
Friedrich-Miescher-Laboratorium für biologische Arbeitsgruppen in der Max-Planck-Gesellschaft, Tübingen
Zusammenfassung
Genomsequenzierung ist ein Schlüssel sowohl zur Krankheitsbekämpfung als auch zum Verstehen von Biodiversität. Gängige Techniken liefern allerdings nur Sequenzinformation über ein Genfragment, ohne dessen Kontext im Genom zu betrachten. Wir haben daher haplotagging, eine präzise und kostengünstige Sequenzierungsmethode, entwickelt, bei der der Kontext der jeweiligen Sequenz erhalten bleibt. So gelang es nachzuweisen, wie ein einzelnes Gen zweier Schmetterlingsarten, die zwischen dem Amazonas und den Anden vorkommen, ein einzigartiges Flügelmuster erzeugen kann.

Buchstaben, Sätze, Bücher – wie sind Genome strukturiert?

Alle Lebensformen verfügen über einen in Nukleinsäure kodierten Bauplan, und die Dekodierung ihrer jeweiligen DNA-Sequenzen mit all ihren Variationen und Nuancen ist der Schlüssel für Überlebensformeln und Biodiversität. Auch wir Menschen sind mehr als nur ein Berg aus A, C, T und G‘s. Wir erben DNA in langen, einzelnen Ketten, und die Forschung erkennt zunehmend die Bedeutung nicht nur der Sequenz, sondern auch der Reihenfolge und Anordnung dieser Ketten.

Die heutige Herausforderung für das Verstehen von Genomstrukturen ist die Sequenzierung und gleichzeitige Identifizierung individueller Variationen zwischen Genomen – denn dies erlaubt Rückschlüsse auf die Anordnung von Sequenzabschnitten auf den Chromosomen. Dies ist leichter gesagt als getan, da aktuelle Sequenzierungstechnologien, grob klassifiziert als short- oder long-read-Sequencing, diesen Anforderungen nicht gerecht werden. Entweder müssen beim short-read Chromosomen in Milliarden kleiner DNA-Fragmente zerstört werden, was dem Lesen eines Buches mit willkürlich ausgesuchten Sätzen ähnelt, oder beim long-read sind die Ergebnisse derart übersät von Fehlern, dass artifizielle Nukleotidaustausche die natürlichen Variationen überschatten. Um weitreichende Genomstudien zu ermöglichen, haben wir daher das haplotagging, ein Verfahren zur akkuraten und kostengünstigen Klassifizierung tausender Proben, entwickelt.

Wie kleine Perlen das Genom entwirren

Haplotagging bedient sich molekularer Fingerfertigkeit: An jedes lange DNA-Fragment werden individuelle DNA-Marker gehängt, und nachfolgend werden die Fragmente für eine short-read-Sequenzierung in kleinere Fragmente zerteilt. Dank der Markersequenz kann das ursprüngliche, als „DNA-Haplotypmolekül“ bezeichnete Fragment nach der Sequenzierung rekonstruiert werden, da jedes Fragment sozusagen den gleichen Barcode trägt. Bisher waren ähnliche Verfahren oftmals von komplizierten Mikrofluidgeräten abhängig [1]. Wir jedoch konnten diesen komplexen Vorgang auf eine einzige enzymatische Reaktion herunterbrechen – und zwar durch Millionen von mikroskopisch kleinen Perlen [2, 3].

Wie isoliert und markiert man individuelle DNA-Ketten, ohne sie dabei durcheinander zu bringen? Die mikroskopisch kleinen haplotagging-Perlen sind mit unzähligen DNA-Schnipseln bedeckt, die einen jeweiligen Barcode darstellen und zusätzlich von einem Tn5 Transposase-Enzym gebunden werden (Abb. 1). Vereinfacht kann man sich vorstellen, man würde einzelne Spagetti um eine Gabel wickeln und aus dem Teller herausziehen. Dabei haftet an jeder Gabel, oder eben an jeder Perle, ein langes Stück DNA, das von der Tn5 Transposase in regelmäßigen Abständen mit einem DNA Barcode versehen und zerteilt wird, sodass die kleinen DNA Fragmente für die Sequenzierung geeignet sind.

Das Paradoxon eines vermischten Schmetterlings

Zusammen mit Kolleginnen und Kollegen von der Cambridge University, UK, haben wir haplotagging angewendet, um eine besondere Heliconius-Schmetterlingspopulation in Ecuador mit einem einzigartigem Flügelmuster zu untersuchen. Flügelmuster spielen für diese Schmetterlinge zwei wichtige Rollen. Zum einen bei der Paarung, aber vor allem zur Abschreckung von Raubvögeln. Diese sexuelle und natürliche Selektion bevorzugt auffällige und geläufige Muster. Wenn mehrere Heliconius-Arten gleichzeitig an einem Ort vorkommen, entsteht durch das Nachahmen von Flügelmustern ein gegenseitiger Schutz, der manchmal in Form sogenannter Mimicry Ringen mehr als zehn Arten umfassen kann [4]. In Ecuador kommen zwei Arten, Heliconius erato und Heiconius melpomene, in der gleichen Region vor und sind im Amazonas ab einer Höhe von 400 m bis zum Andenhochland, rund 1.300 m, zu finden (Abb. 1, siehe die Ähnlichkeit der oberen H. erato und der unteren H. melpomene Sequenzen). Während die Schmetterlinge im Tiefland auffallende rote Strahlen und ein gelbes Band auf ihren Flügeln haben, sind Schmetterlinge im Hochland durch zwei gelbe Punkte auf schwarzem Hintergrund gekennzeichnet. Mitten in der „Hybridzone“ entdeckten die Forschenden Schmetterlinge mit einer Mischung aus Strahlen mit vereinzelten oder gepaarten Bändern sowie ein neues vermischtes Flügelmuster: Zwei Bänder, wie bei den Schmetterlingen im Hochland, aber zusammen mit den Strahlen der Schmetterlinge im Tiefland (Abb. 1, Mitte).

Diese Vermischung verwirrt nicht nur uns, sondern auch Vögel, mit tödlichen Konsequenzen: Da Schmetterlinge mit normalem Warnmuster Vögel abschrecken, fressen die Tiere eher Schmetterlinge mit einzigartigen Mustern. Das wirft die Frage auf: Wenn einzigartige Muster so gefährlich sind, warum entstehen sie dann und warum ausgerechnet hier?

Um dies zu beantworten, sequenzierten wir über 600 Schmetterlinge beider Arten mit haplotagging [2]. Die daraus resultierenden Genomsequenzen zeigten eine unterschiedliche Adaptation an mehreren Stellen im Genom der Hochland- und Tieflandschmetterlinge auf, besonders bei vier Genen, die die Flügelfarben bestimmen. Entscheidend scheint, dass die aktive Hybridisierung und der Genfluss in der Hybridzone die Gene der Hochland- und Tieflandvarietäten durchmischen und so vermischte Muster entstehen. Der aktuell vorherrschende Trend in dieser Zone ist, dass die Tieflandkopie eines der vier Farbgene, WntA, nur an Orten unterhalb 820 m üblich ist, während Tieflandkopien anderer Farbgene bis zu einer Höhe von 1000 m zu finden waren. Da WntA die Anzahl der gelben Bänder auf dem Vorderflügel kontrolliert, verursachte diese Diskrepanz im Genfluss ein Muster mit zwei Bändern und Strahlen. Obwohl das Muster untypisch ist, dient es dennoch als Warnsignal, weshalb man eine gegenseitige Nachahmung (Mimikry) zwischen beiden Arten beobachten kann, die nahezu Spiegelbilder sind (Abb. 1; [2]). Dieses Ergebnis zeigt, wie eine kleine Verschiebung des Genflusses eine neue Schmetterlingsart hervorbringen kann – und wie schnell Biodiversität entstehen kann.

Literaturhinweise

Zheng, G.X.Y. et mult. al.
Haplotyping germline and cancer genomes with high-throughput linked-read sequencing
Nature Biotechnology 34, 303-311 (2016)
Meier, J.I.; Salazar, P.A.; Kučka, M.; Davies, R.W.; Dréau, A.; Aldás, I.; Box Power, O.; Nadeau, N.J.; Bridle, J.R.; Rolian, C.; Barton, N.H.; McMillan, W.O.; Jiggins, C.D.; Chan, Y.F.
Haplotype tagging reveals parallel formation of hybrid races in two butterfly species
Proceedings of the National Academy of Sciences USA 118: e2015005118 (2021)
Davies, R.W.; Kučka, M.; Su, D.; Shi, S.; Flanagan, M.; Cunniff, C.M.; Chan, Y.F.; Myers, S.
Rapid genotype imputation from sequence with reference panels
Nature Genetics (2021)
Wallbank, R.W.R.; Baxter, S.W.; Pardo-Diaz, C.; Hanly, J.J.; Martin, S.H.; Mallet, J.; Dasmahapatra, K.K.; Salazar, C.; Joron, M.; Nadeau, N.; Owen McMillan, W.; Jiggins, C.D.
Evolutionary novelty in a butterfly wing pattern through enhancer shuffling
PLoS Biology 14: e1002353 (2016)
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