Forschungsbericht 2020 - Max Planck Florida Institute for Neuroscience

Die Mutation eines Risikogens für Schizophrenie und Autismus beeinträchtigt die synaptische Funktionalität im Furchtzentrum des Gehrins

Autoren
Asede, Douglas; Bolton, M. McLean
Abteilungen
Abteilung für Funktionsstörungen neuronaler Netzwerke
Zusammenfassung
Proteine der Neurexin-Familie sind dafür verantwortlich, präsynaptische Nervenendungen mit ihren postsynaptischen Gegenstücken zu verankern. Sie sind wichtig für die Bildung und die korrekte Funktion von Synapsen. Bei manchen Schizophrenie- und Autismuspatienten fehlt aufgrund einer Genmutation ein Mitglied der Neurexin-Familie, Neurexin1α (NRXN1α). Wir konnten zeigen, dass das Fehlen von NRXN1α bestimmte Synapsen im Furchtzentrum des Gehirns, der Amygdala, stark beeinträchtigt, was zu Komplikationen beim Lernen und Verstehen von Furcht induzierenden Stimuli führt.

In der Amygdala interpretiert das Gehirn emotionale Reize

Die Amygdala besteht aus mehreren vernetzten Bereichen, die gemeinsam emotionale Reize interpretieren und Gefühlsreaktionen steuern. Sinnesinformationen von der Außenwelt fließen zuerst durch die internen Netzwerke der lateralen (LA) und später der basalen Amygdala (BA). In der basalen Amygdala werden die Sinneseindrücke mit Informationen wie dem inneren Zustand, Motivation und Erregung, die aus übergeordneten Hirnregionen stammen, in Kontext gebracht. Schlussendlich gelangen die Sinneseindrücke in die zentrale Amygdala, in der das gewünschte emotionale Verhalten eingeleitet wird [1].

Emotionen korrekt interpretieren zu können ist überlebenswichtig und erforderlich für die Teilnahme an sozialen Strukturen. Aber wenn soziale Interaktionen im Gehirn aversive Reaktionen hervorrufen, wie häufig bei Autismus, können weder soziale Normen erlernt noch Kommunikationsfähigkeiten ausgebildet werden. Werden autistische Personen mit emotionsgeladenen Gesichtsausdrücken konfrontiert, reagiert die Amygdala oft hyperaktiv, ganz besonders, wenn Angst oder Furcht wahrgenommen werden [2]. Auch bei Patienten mit paranoider Schizophrenie gibt es Hinweise auf erhöhte Amygdala Aktivität [3]. Bei paranoider Schizophrenie entwickelt sich eine lähmende Furcht vor eingebildeten Verfolgern, vermutlich weil die Relevanz von äußeren Reizen auf die eigenen Emotionen falsch interpretiert werden. Da beide Erkrankungen Störungen in Amygdala abhängigen Verhaltensweisen aufweisen, haben wir unsere Untersuchungen der neuronalen Netzwerke der Amygdala auf Mäuse fokussiert, bei denen ein Gen fehlt, das mit beiden Erkrankungen in Verbindung gebracht wird.

NRXN1α, ein mutmaßliches Risikogen für Autismus und Schizophrenie, ist wichtig für das korrekte Funktionieren der Amygdala

Sowohl Autismus als auch Schizophrenie werden durch eine Kombination von genetischen und Umweltfaktoren hervorgerufen. Eine Reihe von Genen werden mit der Entwicklung dieser Hirnstörungen in Verbindung gebracht, unter anderem NRXN1α [4]. Wir konnten zeigen, dass Mäuse, denen das NRXN1α-Gen fehlte (sogenannte NRXN1α-knockout Mäuse), Lernschwierigkeiten bei Furchtkonditionierungsaufgaben hatten. In einer dieser klassischen Amygdala abhängigen Assoziationssaufgabe soll ein akustischer Ton mit einem aversiven Reiz verknüpft werden. Nach mehreren Wiederholungen soll der Proband lernen, dass der gehörte Ton den aversiven Reiz vorhersagt [5]. Allerdings können knockout Mäuse, denen das NRXN1α-Gen fehlt, sich nicht daran erinnern, dass der akustische Ton dem unangenehmen Stimulus vorausgeht, was auf eine Fehlfunktion der Amygdala hindeutet.

NRXN1α ist notwendig, um dem präfrontalen Kortex eine Regulierung der Amygdala zu ermöglichen

Neuronale Projektionen aus dem medialen präfrontalen Kortex (mPFK) übermitteln Informationen, wie dem Fokus der Aufmerksamkeit sowie fortlaufende Prioritäten und Ziele an die basale Amygdala (BA). Mit diesen Informationen kann sie Angstreaktionen und Emotionen an die aktuelle Situation anpassen. Wir konnten die synaptischen Ströme von Neuronen in der BA mit Hilfe des elektrophysiologischen Patch-Clamp Verfahrens vermessen. Die Patch-Clamp Methodik wurde von den Max-Planck-Wissenschaftlern E. Neher und B. Sakmann entwickelt, wofür sie im Jahre 1991 den Nobelpreis erhielten.

Mittels Optogenetik konnten wir gezielt Signale an axonalen Nervenendungen aus dem mPFK stimulieren. Optopgenetik bezeichnet eine Methode, mit Lichteinstrahlung spezielle Ionenkanäle, sogenanntes Channelrhodopsin, gezielt auf- und zu zu schalten. In der Natur wurden diese besonderen Ionenkanäle von grünen Algen entwickelt, um auf Lichteinflüsse der Umwelt reagieren zu können. Nachdem wir solche Opsine mittels Gentechnik in Neuronen des mPFK exprimiert hatten, konnten wir die gewünschten Nervenzellen mit blauem Licht auf Knopfdruck aktivieren und die synaptische Reaktion in der Amygdala vermessen (Abb. 1). In Mäusen ohne das NRXN1α-Gen waren die synaptischen Schnittstellen zwischen mPFK und BA deutlich abgeschwächt, und zwar sowohl auf der prä- wie auf der postsynaptischen Seite. Diese Schwächung resultierte in einem Kontrollverlust des mPFK über die Amygdala.

Inhibitorische Neurone halten die Aktivität innerhalb Amygdala in Schach, allerdings ist diese Kontrolle in Mäusen ohne das NRXN1α-Gen stark reduziert

Innerhalb der Amygdala gibt es zwei Haupttypen von Neuronen: diejenigen, die andere Nervenzellen anregen und die, die sie inhibieren. Die inhibitorischen Nervenzellen sind wichtig, um die stete Flut von synaptischen Informationen aus anderen Bereichen des Gehirns, oder der Amygdala selbst, einzudämmen. In NRXN1α-knockout Mäusen haben wir allerdings festgestellt, dass exzitatorische Neurone in der basalen Amygdala weniger synaptische Kontakte von benachbarten inhibitorischen Neuronen erhielten, sodass die Inhibition nicht ausreichte, um die eintreffenden Signale aus dem mPFK oder der lateralen Amygdala (LA) in Schach zu halten (Abb. 2). Dieser Mangel an Unterdrückung könnte eine allgemeine Erhöhung der Amygdala Aktivität hervorrufen, was zu gesteigerten Angstgefühlen oder allgemeinem Kontrollverlust führen könnte. Hierdurch wäre es schwieriger, emotionale Situationen zu interpretieren.

Zukünftige Forschung

Wir konnten zeigen, dass synaptische Inhibition in der Amygdala stark reduziert ist. Aber werden alle Klassen von inhibitorischen Neuronen in gleichem Maß beeinflusst, oder sind nur bestimmte Arten betroffen? Um den Einfluss des fehlenden NRXN1α-Gens herauszufinden, werden wir die synaptische Inhibitionsfähigkeit einzelner Neuron-Unterarten in Mäusen mit und ohne NRXN1α-Gen untersuchen. Je besser wir spezifische Prozesse im Hirn entschlüsseln können und wie sie in Autismus- und Schizophreniemodellen verändert werden, desto besser können wir potenzielle Ziele für zukünftige Therapiemethoden voraussagen.

Literaturhinweise

Janak, P.H.; Tye, K.M.
From circuits to behaviour in the amygdala
Nature 517, 284-292 (2015)
Kliemann, D.; Dziobek, I.; Hatri, A.; Baudewig, J.; Heekeren, H.
The role of the amygdala in atypical gaze on emotional faces in autism spectrum disorders
Journal of Neuroscience 32, 9469-9476 (2012)
Pinkham, A.; Liu, P.; Lu, H; Kriegsman, M.; Simpson, C.; Tamminga, C.
Amygdala hyperactivity at rest in paranoid individuals with schizophrenia
American Journal of Psychiatry 172, 784-792 (2015)
Hu, Z.; Xiao, X.; Zhang, Z.; Li, M.
Genetic insights and neurobiological implications from NRXN1 in neuropsychiatric disorders
Molecular Psychiatry 24, 1400-1414 (2019)
Asede, D.; Joseph, A.; Bolton, M.
Deletion of NRXN1α impairs long-range and local connectivity in amygdala fear circuit
Translational Psychiatry 10, 242 (2020)
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