Forschungsbericht 2020 - Max-Planck-Institut für Meteorologie

Ein neuer Meilenstein in der Schließung des Ozean-Kohlenstoffbudgets

Autoren
Landschützer, Peter; Keppler, Lydia
Abteilungen
Ozean im Erdsystem
Zusammenfassung
Dem Ozean fällt eine entscheidende Rolle in unserem Klimasystem zu: Er absorbiert gemittelt über die letzten zehn Jahre  etwa 23 Prozent der menschengemachten jährlichen CO2-Emissionen. Neue, beobachtungsbasierte Abschätzungen mittels neuronaler Netzwerke deuten jedoch auf starke Schwankungen in der CO2-Aufnahme auf dekadischen Zeitskalen hin. Insbesondere das Südpolarmeer spielt dabei eine entscheidende Rolle.

Der Ozean an unserer Seite gegen den Klimawandel

Der Ozean entzieht der Atmosphäre zurzeit jährlich etwa 2,5 Petagramm (1 Pg = 1015 g) Kohlenstoff in Form von Kohlenstoffdioxid (CO2) und speichert es in der Tiefe. Dies entspricht etwa 23 Prozent der jährlichen CO2-Emissionen durch den Menschen. Über die gesamte industrielle Zeitperiode gerechnet ist der Ozean für die Aufnahme von etwa 30 Prozent aller anthropogenen Emissionen verantwortlich [1]. Dieses Ausmaß der sogenannten Kohlenstoffsenke zeigt den unerlässlichen Ökosystemservice, den uns der Ozean leistet. Die CO2-Aufnahme geschieht jedoch zu einem bitteren Preis: Das CO2, das der Ozean aufnimmt, senkt seinen pH-Wert, und der Ozean „versauert“ langsam.

Vom Datenpunkt zur globalen Karte – Wie neuronale Netzwerkmethoden neue Erkenntnisse liefern

Historisch betrachtet verstehen wir den zeitlichen Verlauf sowie die geographischen Variationen in der CO2-Aufnahme im Ozean besser als auf dem Land. So wurde über viele Jahre die ozeanische CO2-Aufnahme zusammen mit CO2-Emissionsdaten sowie der CO2-Wachstumsrate in der Atmosphäre dazu benutzt, um die Landsenke annähernd abzuschätzen und so das globale Kohlenstoffbudget zu schließen. Ursprünglich beruhte die Berechnung der ozeanischen Aufnahme auf Ozean-Biogeochemie-Modellen. Doch in der jüngsten Vergangenheit haben neue Datenanalysemethoden für Aufmerksamkeit gesorgt. Die neuen Methoden basieren auf neuronalen Netzwerken und ermöglichen neue, auf Messungen basierende Abschätzungen zum Ozean als Kohlenstoffsenke und ihrer Variabilität.

Seit der Surface Ocean CO2 Atlas (SOCAT) [2] vor etwazehn Jahren online ging und jährlich mehrere Millionen Daten des globalen CO2-Partialdrucks an der Meeresoberfläche zur Verfügung stehen, erlebt die Ozean-Biogeochemie einen Aufschwung. Mittlerweile beinhaltet SOCAT über 25 Millionen CO2-Daten von verschiedensten Messplattformen. Ein Problem hat sich damit jedoch grundsätzlich nicht verändert: Weite Teile des Ozeans sind unbeobachtet, wodurch klassische statistische Interpolationen der Daten scheitern.

Wie lässt sich  also die CO2-Aufnahme über den Ozean global abschätzen? Hier kommen neuronale Netzwerke ins Spiel. CO2 an der Meeresoberfläche lässt sich direkt bisher nicht autonom, etwa durch Satelliten oder Roboter, messen. Daher benötigt man Schiffe für diese Messungen,; doch dieses Methode beeinflusst wiederum sehr stark die geographische und saisonale Verteilung der Daten. Andere Umweltparameter wie etwa die Temperatur an der Oberfläche des Ozeans, welche Einfluss auf das Kohlenstoffsystem haben, lassen sich jedoch über Satellitendaten ableiten und sind daher global hochaufgelöst verfügbar. Neuronale Netzwerke können nun den Zusammenhang zwischen diesen hochaufgelösten Umweltparametern und den CO2-Messungen an der Meeresoberfläche herstellen, und verwenden diesen Zusammenhang, um hochaufgelöste Felder von CO2 an der Meeresoberfläche zu rekonstruieren. Neuronale Netzwerke füllen also die Datenlücken [3].

Der Ozean als variable Kohlenstoffsenke

Erste Ergebnisse lieferten erstaunliche Erkenntnisse. So zeigten die Rekonstruktionen basierend auf neuronalen Netzwerken, dass die Schwankungen um den durch menschliche Eingriffe hervorgerufenen Trend in der Kohlenstoffsenke „Ozean“ größer sind als bisher angenommen, besonders auf dekadischen Zeitskalen. Hier spielen vor allem die hohen Breiten eine entscheidende Rolle, während sich die Variabilität in den Tropen auf kürzeren Zeitskalen abspielt [3]. Eine Region, die besonders auffällt, ist das Südpolarmeer (das Meer um die Antarktis). Allerdings wurden dort aufgrund der harschen Bedingungen besonders wenige Messdaten erfasst.  Diese Schwankungen in der CO2-Aufnahme des Ozeans finden sich auch in lokalen Zeitreihen von Messungen etwa in der Drake-Passage und südlich von Tasmanien wieder. Eine besonders starke Zunahme der CO2-Aufnahmevon 2001 bis 2011 sollte ein neues Rätsel werden.

Gesättigt oder wieder erstarkt? – Das Rätsel um das Südpolarmeer

Anfang der 2000er Jahre führten mehrere Studien vor, dass sich durch den Klimawandel die Westwinde im Südpolarmeer verstärken und polwärts verschieben. Regional führt das dazu, dass CO2, welches im tiefen Ozean gespeichert war, durch den erhöhten Auftrieb wieder an die Ozeanoberfläche transportiert wird und dadurch zurück in die Atmosphäre gelangt. Es war sogar von einer möglichen Sättigung der CO2-Senke im Südpolarmeer die Rede. Doch neue Erkenntnisse, basierend auf neuronalen Netzwerken, zeigten, dass diese Sättigung nicht von langer Dauer war. Gegen 2011 war die CO2-Aufnahme im Südpolarmeer wieder im Bereich jenes Wertes, den man durch den erhöhten CO2-Gehalt in der Atmosphäre erwarten würde [4].

Natürlich oder vom Menschen verursacht?

Seither versuchen viele Studien diese dekadischen Schwankungen zu erklären. Mögliche Erklärungen reichen von internen Prozessen wie Schwankungen in der oberen Umwälzzirkulation über Asymmetrien in den Westwinden im Zusammenhang mit Variabilität in stratosphärischem Ozon bis hin zu extern getriebenen Prozessen wie dem Ausbruch des Vulkans Pinatubo. Zusätzlich bedeuten die Schwankungen, die dem anthropogenen Trend überlagert sind, dass in einzelnen Jahren bestimmte Schwellenwerte, etwa in der Übersäuerung der Meere, früher erreicht werden als durch den Trend allein. Nur wenn wir den gegenwärtigen Kohlenstoffkreislauf und seine Variabilität verstehen, können wir gute Klimavorhersagen treffen und damit einen Beitrag zur Erreichung künftiger Klimaziele leisten.

Ein Blick in die Zukunft

Das Beispiel der CO2-Aufnahme zeigt das Potential der neuronalen Netzwerkmethoden in den Ozeanwissenschaften. Viele weitere relevante Umweltparameter wie etwa Sauerstoff, Nährstoffe oder der gelöste Kohlenstoff im tiefen Ozean sind ähnlich spärlich beobachtet. Jedoch kann unser Prozessverständnis mit neuen und erweiterten Methoden basierend auf neuronalen Netzwerken dazu beitragen, dass wir demnächst den vierdimensionalen Ozean (Zeit und Raum) vollständig rekonstruieren können [5].

Literaturhinweise

Friedlingstein, P.; Jones, M. W.; O’Sullivan, M.; Andrew, R. M.; Hauck, J.; Peters, G. P.; Peters, W.; Pongratz, J.; Sitch, S.; Le Quéré, C.; Bakker, D. C. E.; Canadell, J. G.; Ciais, P.; Jackson, R. B.; Anthoni, P.; Barbero, L.; Bastos, A.; Bastrikov, V.; Becker, M.; … Zaehle, S.
Global Carbon Budget 2019

Earth System Science Data, 11(4), 1783–1838. 2019.
https://doi.org/10.5194/essd-11-1783-2019

Bakker, D. C. E.; et al. (92 Autoren)
A multi-decade record of high-quality fCO2 data in version 3 of the Surface Ocean CO2 Atlas (SOCAT)
Earth Syst. Sci. Data, 8, 383-413. 2016.
doi:10.5194/essd-8-383-2016
Landschützer, P.; Gruber, N.; Bakker, D. C. E.
Decadal variations and trends of the global ocean carbon sink
Global Biogeochemical Cycles, 30, 1396-1417. 2016
doi:10.1002/2015GB005359
Keppler, L.; Landschützer, P.
Regional Wind Variability Modulates the Southern Ocean Carbon Sink
Scientific Reports, 9, 7384. 2019
doi: 10.1038/s41598-019-43826-y
Keppler, L.; Landschützer P.; Gruber, N.; Lauvset, S.; Stemmler, I.
Seasonal Carbon Dynamics in the Near-Global Ocean

Global Biogeochemical Cycles. 2020
doi: 10.1029/2020GB006571

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