Forschungsbericht 2020 - Max-Planck-Institut für Eisenforschung GmbH

Die Wasserstoff-Task Force – Von der Produktion, Speicherung und Nutzung des kleinsten Atoms

Autoren
Best, James; Duarte, Jazmin; Gault, Baptiste;  Hickel, Tilmann;  Mianroodi, Jaber;  Ponge, Dirk; Rabe, Martin; Rohwerder, Michael; Scheu, Christina; Souza Filho, Isnaldi
Abteilungen
Computergestütztes Materialdesign, Grenzflächenchemie und Oberflächentechnik, Mikrostrukturphysik und Legierungsdesign, Struktur und Nano-/Mikromechanik von Materialien, Max-Planck-Forschungsgruppe Nanoanalytik und Grenzflächen, Max-Planck-Institut für Eisenforschung GmbH, Düsseldorf
Zusammenfassung
Der industrielle Einsatz von Wasserstoff gilt als zukunftsweisend. Doch welche materialwissenschaftlichen Herausforderungen ergeben sich bei der Produktion, Speicherung und Nutzung? Am MPIE untersuchen wir in einem interdisziplinären Team mit verschiedenen Methoden, wie sich Wasserstoff durch effektivere Elektrolyse produzieren lässt, wie sich Wasserstoffatome im Material aufspüren lassen und wie verhindert wird, dass Materialien durch Wasserstoff verspröden. Zudem arbeiten wir daran, Eisenerze durch Wasserstoff statt Kohlenstoff zu reduzieren und so CO2-Emissionen zu vermeiden.

Wasserstoff (H) statt fossiler Brennstoffe: Wie lässt sich Wasserstoff umweltschonend herstellen, seine Risiken bannen und industriell nutzen? Am MPI für Eisenforschung (MPIE) forschen wir genau daran.

Wie wird grüner Wasserstoff produziert?

Um Wasserstoff herzustellen, muss Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff zerlegt werden. Damit Produkt und Herstellung „grün“ also ökologisch sind, nutzt man Solarenergie in sogenannten Photoelektronen. Photoelektroden sind Solarzellen und Elektrolyseure in einem. Sie helfen, Wasser durch Solarenergie zu spalten, werden aber wegen ihrer Instabilität nicht industriell genutzt. Wir haben eine beleuchtete Rasterdurchflusszelle entwickelt, mit der sich erstmals beobachten direkt lässt, wie sich Photoelektroden zersetzen.

Mit Rastertransmissionselektronenmikroskopen und Atomsonden lassen sich die Oberflächenveränderungen an den Elektroden erklären. Nun arbeiten wir daran, den Zersetzungsprozess zu verhindern und so Wasser CO2-frei zu spalten. Zudem lässt sich Wasser auch in großen Mengen anhand spezifischer effizienterer Katalysatoren, beispielsweise auf Basis von Mangan, spalten. Dazu untersuchen wir Katalysator-Oberflächen mittels Spektroskopie und beobachten dabei, wie die aktiven Schichten wachsen und sich verändern. So lassen sich die ablaufenden Prozesse verstehen, und darauf basierend bessere Katalysatoren entwickeln.

Wie findet man das kleinste Atom?

Metalle verspröden durch freien Wasserstoff. Um Wasserstoff zu nutzen, müssen Legierungen wasserstoff-resistent sein oder durch Beschichtungen geschützt werden. Dazu muss man Wasserstoff im Material aufspüren und wissen, wie er die Materialeigenschaften beeinflusst. Dabei kann man sich die Metallstruktur wie ein Gebilde aus Legosteinen vorstellen. Wasserstoff setzt sich zwischen den Steinen ab oder bewegt sich zwischen ihnen. Mit der Atomsonde können wir die chemische Zusammensetzung der Materialien atomgenau bestimmen und sehen, ob, wo und wie viele Wasserstoffatome sich im Material anhäufen. Dabei hilft die Dichtefunktionaltheorie. Damit lässt sich  vorhersagen, wo sich Wasserstoff absetzt. So können wir in neuen Materialien Fallen bilden, um Wasserstoff an unkritischen Stellen einzufangen, und so verhindern, dass Materialien verspröden.

Auch der Blick auf die Oberfläche der Materialien ist wichtig. Mit der Kelvinsonde messen wir die lokale Wasserstoffaktivität auf der Oberfläche. Dazu bringen wir einen Palladiumfilm von 100 Nanometern auf die Probe auf. Da Wasserstoff in Stahl ein höheres chemisches Potential hat als in Palladium, dient der Film als Falle, der Wasserstoff aus dem unteren Material aufnimmt. Auf der Oberfläche der Palladiumschicht, die mit einem dünnen Wasserfilm bedeckt ist, bildet sich eine H-Elektrode, aus deren Potential sich die vom Stahl in das Palladium übergegangene Menge an Wasserstoff ableiten lässt. Dieses Potential lässt sich genauestens mittels  Raster-Kelvinsonden-Kraftmikroskopie messen. Dadurch lässt sich die Verteilung der H-Aktivität an der Oberfläche bestimmen, oder auch die Permeationsrate durch eine Barriereschicht, wie man sie für Wasserstofftanks benötigt.

Wie wird Wasserstoff gespeichert und transportiert?

Einerseits verspröden herkömmliche Legierungen, wenn Wasserstoff eindringt. Andererseits diffundiert Wasserstoff aus Materialien hinaus. Dadurch lässt sich das Element nur ineffizient in Tanks speichern oder über Pipelines transportieren. Am MPIE entwickeln wir Beschichtungen, um Legierungen zu schützen und Speicher- und Transportbehälter damit auszukleiden. Zusätzlich haben wir ein Verfahren entwickelt, mit dem sich Proben mit H beladen lassen und sich gleichzeitig beobachten lässt, wie sich dadurch die mechanischen Eigenschaften des Materials ändern. So imitieren wir das Werkstoffverhalten im industriellen Einsatz.

Zusätzlich sind Werkstoffe nötig, die ohne Beschichtung auskommen. Gerade bei Lagerung und Transport von H sind hohe Festigkeiten erforderlich, um Leichtbau durch verringerte Wandstärken und dadurch verringertem Materialeinsatz zu unterstützen. Es gilt: je höher die Belastung bei hochfesten Werkstoffen, desto höher die Gefahr der H-Versprödung. Dies hängt von Defekten in der Mikrostruktur ab, und von Bestandteilen, die bereits gebildete Risse stoppen können. Dazu  führen wir Zugversuche mit H-beladenen Proben durch, um Schwachstellen im Gefüge zu erkennen. Durch Verfeinerung der Mikrostruktur lässt sich die Versprödung verhindern. Dies ähnelt dem Verfahren zur Entwicklung von von H-resistenten Legierungen speziell für Flugzeugturbinen am MPIE. Diese Legierungen arbeiten bei 1200°C. Könnte man Flugzeuge mit H betanken, würde man vier Prozent der gesamten CO2-Emissionen der EU einsparen.

Wie nutzt man Wasserstoff für CO2-freie Industrieprozesse?

Rund 25 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen durch Industrieprozesse stammen aus der Stahlindustrie: Eisenerz wird mit Kohlenstoff erhitzt, um reines Eisen zu erhalten. Dabei entsteht als Abfallprodukt CO2. Die Reduktion von Eisenerz ist ein komplexer Prozess mit chemischen Reaktionen, Phasenumwandlungen, mechanischer Deformation und Defekten auf verschiedenen Längen- und Zeitskalen. Wir arbeiten daran, bei der Eisenerzreduktion C durch H zu ersetzen. Unsere Experimente zeigen, dass der Austausch durch die inhärente Kinetik limitiert ist. Unsere Arbeit basiert auf Phasenfeldmodellierung und kann die optimalen Bedingungen zur Eisenerzreduktion unter Beachtung von Energiekosten, Reaktionskinetik, Temperatur und Druck vorhersagen. Alternativ ließe sich Wasserstoffplasma einsetzen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich die Eisenproduktion verdoppeln und gleichzeitig Energie einsparen lässt. Zusätzlich analysieren wir die mechanischen Eigenschaften von Eisenerz mittels Rasterelektronenmikroskopie. Basierend auf dem Verständnis der Bruchzähigkeit teilreduzierter Erze können wir energieeffiziente Verfahren entwickeln, die Wasser anstelle von CO2 abwerfen.

Alle Abteilungen des MPIE sind Teil der Wasserstoff-Task-Force. Jede wendet ihre eigenen Methoden an, um den Wasserstoffzielen näher zu kommen.

Literaturhinweise

Zhang, S.; Ahmet, I.; Kim, S. H.; Kasian, O.; Mingers, A. M.; Schnell, P.; Kölbach, M.; Lim, J.; Fischer, A.; Mayrhofer, K. J. J.; Cherevko, S.; Gault, B.; van de Krol, R.; Scheu, C.
Different Photostability of BiVO4 in Near-pH-Neutral Electrolytes
ACS Applied Energy Materials 3, 10, 9523-9527 (2020)

DOI: 10.1021/acsaem.0c01904

Breen, A. J; Stephenson, L. T.; Sun, B.; Li, Y.; Kasian, O.; Raabe, D.; Herbig, M.; Gault, B.
Solute hydrogen and deuterium observed at the near atomic scale in high-strength steel

Acta Materialia 188, 108–20 (2020)
DOI: 10.1016/j.actamat.2020.02.004

Sun, B.; Krieger, W.; Rohwerder, M.; Ponge, D.; Raabe, D.
Dependence of hydrogen embrittlement mechanisms on microstructure-driven hydrogen distribution in medium Mn steels

Acta Materialia 183, 313-328 (2020)
DOI: 10.1016/j.actamat.2019.11.029

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