Forschungsbericht 2020 - Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik

Holm 15A und das massereichste Schwarze Loch im nahen Universum

Autoren
Kianusch Mehrgan, Jens Thomas
Abteilungen
Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik, Garching
Zusammenfassung
Galaxien werden zum Zentrum hin heller. Dennoch zeigen einige besonders massereiche Galaxien  ein relatives Sterndefizit im Zentrum. In der Riesengalaxie Holm 15A haben wir gleichzeitig ein besonders lichtschwaches Zentrum entdeckt. und mit 40 Milliarden Sonnenmassen das größte bisher beobachtete Schwarze Loch gefunden. Diese Entdeckung bietet die Möglichkeit, die Masse von Schwarzen Löchern in Riesengalaxien aus dem Sterndefizit abzuschätzen. Vermutlich sogar bis in Entfernungen, in denen die direkte Messung der Masse eines Schwarzen Lochs im Moment nicht möglich ist.

Welche Galaxien haben die größten Schwarzen Löcher? Auch wenn Galaxien im Allgemeinen zum Zentrum hin heller werden, haben die massereichsten unter ihnen ein Sterndefizit im Zentrum. Die Riesengalaxie Holm15A hat ein besonders ausgeprägtes Defizit und hier fanden wir mit 40 Milliarden Sonnenmassen das größte bisher beobachtete Schwarze Loch. Die lichtschwachen Zentren von Riesengalaxien geben einen entscheidenden Hinweis auf die Masse der Schwarzen Löcher -- sogar in Entfernungen, in denen eine direkte Massenbestimmung im Moment nicht möglich ist.

Die Galaxie Holm 15A befindet sich im Zentrum des Galaxienhaufens Abell 85, der etwa 700 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt ist (Abb. 1). Die Galaxie ist außergewöhnlich groß [1]. Allein die Sterne dieser Galaxie ergeben eine Masse von mehr als zwei Billionen Sonnen. Dennoch erscheint das Zentrum dieses gigantischen Sternsystems im Teleskop eher diffus und lichtschwach [2]. In kleineren Galaxien mit kleineren Schwarzen Löchern wie unserer Milchstraße nimmt die Dichte der Sterne zum Zentrum hin immer mehr zu: Kleinere Schwarze Löcher sind also von hellen galaktischen Kernen umgeben. Doch bei den allergrößten Galaxien wie Holm 15A verhält es sich genau andersherum: Obgleich ihre Zentren immer noch der hellste Teil dieser Galaxien sind, gibt es einen kleinen, für Riesengalaxien charakteristischen inneren Bereich, der sehr viel lichtschwächer ist als man es aufgrund der Verteilung des Lichts im Rest der Galaxie erwarten würde. In den Zentralregionen dieser Galaxien scheint Licht Licht zu fehlen – manchmal so viel Licht wie von Milliarden von Sonnen [3].

Schwarze Löcher werden zu Sternschleudern

Diesen Unterschied in der Struktur der Galaxien erklärt man mit unterschiedlichen Entwicklungsstadien. Galaxien können durch Kollision und Verschmelzen mit kleineren Galaxien wachsen. Bei jeder solchen Kollision sinken die Schwarzen Löcher der beiden Galaxien ins Zentrum des neu entstehenden Systems. Dort bilden sie zunächst ein rotierendes Paar. Damit sie schließlich zu einem neuen, massereicheren Schwarzen Loch verschmelzen können, müssen sie erst ihren überschüssigen Drehimpuls abgeben. Ohne ein umgebendes Medium, das den Drehimpuls aufnehmen kann, würden sie als Paar sehr lange weiterkreisen. Stehen die verschmelzenden Galaxien am Ende ihrer Entwicklungsgeschichte, so ist ihr Vorrat an frei verfügbarem Gas in der Umgebung aufgebraucht, und der Drehimpuls wird stattdessen an die umgebenden Sterne abgegeben. Dabei werden Sterne, deren Flugbahnen nahe genug an das rotierende Paar heranführen, aus dem Zentrum herausgeschleudert. Dieser Prozess funktioniert ähnlich wie die Fly-by-Manöver, mit denen Raumsonden  beim Vorbeiflug an einem Planeten Energie gewinnen.

Auf diese Weise können Milliarden von Sternen aus dem Zentrum der entstehenden Galaxie herausfliegen. In kleineren Galaxien, in denen noch nicht alles Gas aufgebraucht ist, kann ein temporäres Sterndefizit, wenn es denn entsteht, mit der Zeit durch die Geburt neuer, junger Sterne wieder ausgeglichen werden. Aber in den Riesengalaxien bleiben die Zentralregionen, wenn sie einmal ihre Sterne verloren haben, immer arm an Sternen.

Der Einflussbereich Schwarzer Löcher und die umgebenden Sterne

Unsere Studien der letzten Jahre haben gezeigt, dass die abgegrenzten, diffusen inneren Bereiche von Riesengalaxien ein direktes Abbild der Einflusssphäre des Schwarzen Lochs sind. Sie markieren also genau den Bereich der Galaxie, in dem die Gravitation zuerst durch das rotierende Paar und später durch das verschmolzene Schwarze Loch dominiert ist [4]. Weil massereiche Schwarze Löcher - bevor sie verschmelzen - viel mehr Gravitationsenergie freigeben als massearme, und weil die Schwarzen Löcher in großen Galaxien besonders massereich sind [5], sind die Kerne der größten Galaxien besonders lichtschwach und ausgedehnt (Abb. 2).

Massenbestimmung des Schwarzen Lochs in Holm 15A

Eine vorläufige photometrische Analyse von Holm 15A hatte bereits gezeigt, dass das Schwarze Loch eine Einflusssphäre haben müsste, deren Durchmesser in etwa dem Abstand der Sonne zum Zentrum unserer Milchstraße entspricht. Mit unseren neuen, sehr präzisen Beobachtungen von Holm 15A mit dem Multi Unit Spectroscopic Explorer (MUSE) am VLT und dem Wide-Field Imager am Wendelstein-Observatorium der LMU  München konnten wir ein Schwarzes Loch im Zentrum dieser Galaxie nachweisen und seine Masse genau bestimmen: Sie entspricht der Rekordmasse von 40 Milliarden Sonnen [2]. Noch nie wurde ein Schwarzes Loch mit einer so großen Masse direkt beobachtet. Damit bestätigte sich auch die Größe der Einflusssphäre des Schwarzen Lochs aus der ursprünglichen photometrischen Analyse. Das Schwarze Loch selbst ist dagegen vergleichsweise klein, aber immer noch etwa fünfmal so groß wie die Umlaufbahn des Pluto um unsere Sonne.

Für die Massenbestimmung des Schwarzen Lochs  verwenden wir eine aufwendige numerische Analysemethode der Bewegungen der Sterne. Diese Technik basiert auf Phasenraummodellen der Galaxie. Man setzt sie aus vielen tausend Sternbahnen zusammen, die auf modernsten Hochleistungsrechnern simuliert werden. Mit Hilfe der Sternbahnen lässt sich der innere Aufbau einer Galaxie und ihre Massenverteilung besonders genau aus den Beobachtungen ableiten. Bei der Entwicklung und Anwendung dieser Methode spielt das MPE eine weltweit führende Rolle.

Der nächste Schritt: die Entwicklung Schwarzer Löcher

Um das Wachstum der Schwarzen Löcher und die Wechselwirkung mit der Entwicklung der Galaxien zu verstehen, müssen wir weit in die Vergangenheit zurückblicken. Das heißt in der Astronomie immer, dass wir weit entfernte Objekte beobachten wollen. Die spektroskopischen Signale, die man braucht, um die Bewegung der Sterne zu messen, werden dabei immer schwächer. Durch die Messung in Holm 15A hat sich bestätigt, dass man die Existenz sehr massereicher Schwarzer Löcher in großen Galaxien durch eine genaue photometrische Analyse der Sternverteilung ableiten kann. Mit einer gewissen Unsicherheit gelingt dies sogar auch für ihre Masse. Photometrische Analysemethoden haben eine größere Reichweite und erlauben daher neue Beobachtungsansätze bei der Erforschung der Entwicklung von Schwarzen Löchern.

Literaturhinweise

Kluge, M.; Neureiter, B.; Riffeser, A.; Bender, R.; Goessl, C.; Hopp, U.; Schmidt, M.; Ries, C.; Brosch, N.
Structure of Brightest Cluster Galaxies and Intracluster Light
Astrophysical Journal Supplement 247, 34 (2020)
Mehrgan, K.; Thomas, J.; Saglia, R.; Mazzalay, X.; Erwin, P.; Bender, R.; Kluge, M.; Fabricius, M.
A 40 Billion Solar-mass Black Hole in the Extreme Core of Holm15A, the Central Galaxy of Abell 85
Astrophysical Journal 887, 19 (2019)
Kormendy, J.; Bender, R.
Correlations between Supermassive Black Holes, Velocity Dispersions, and Mass Deficits in Elliptical Galaxies with Cores
Astrophysical Journal Letters 691, 142 (2009)
Thomas, J.; Ma, C.P.; McConnell, N.; Greene, J.; Blakeslee, J.; Janish, R.
A 17-billion-solar-mass black hole in a group galaxy with a diffuse core
Nature 532, 340 (2016)
Saglia, R.; Opitsch, M.; Erwin, P.; Thomas, J.; Beifiori, A.; Fabricius, M.; Mazzalay, X.; Nowak, N.; Rusli, S.; Bender, R.
The SINFONI Black Hole Survey: The Black Hole Fundamental Plane Revisited and the Paths of (Co)evolution of Supermassive Black Holes and Bulges
Astrophysical Journal 818, 47 (2016)
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