Forschungsbericht 2020 - Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme
Tropfenphysik in lebenden Zellen
![Abb. 1: An Zellorganellen erinnernde Tropfen in einer Petrischale. Anders als in Zellen, in denen die Organellen aus Proteinen und anderen Makromolekülen bestehen, sind die abgebildeten Tropfen aus Öl, Alkohol und Wasser und sind angefärbt mit Lebensmittelfarbe. Unerwarteterweise liegt beiden eine ähnliche Physik zugrunde.](/16156609/original-1658302491.jpg?t=eyJ3aWR0aCI6MjQ2LCJvYmpfaWQiOjE2MTU2NjA5fQ%3D%3D--13c845c210821e41b048195fce5d2f7adbfdd437)
Zellen schaffen es, eine große Anzahl komplexer biochemischer Prozesse zu kontrollieren und damit komplexe biologische Abläufe, wie zum Beispiel die Zellteilung, zu realisieren. Dies erfordert die Organisation bestimmter biochemischer Prozesse in Raum und Zeit, wobei den Organellen, sozusagen den Organen der Zelle, die entscheidende Rolle zukommt. Organellen wie die Mitochondrien oder der Zellkern sind durch Membranen von ihrer Umgebung getrennt. So können sie in ihrem Inneren die biochemischen Bedingungen zu erzeugen, die für die biologischen Prozesse der Organelle von Bedeutung sind. Interessanterweise gibt es aber auch Organellen, die nicht von einer Membran umhüllt sind. Doch wie schaffen es Organellen ohne begrenzende Membran, geeignete Bedingungen für biochemische Prozesse zu erzeugen? Genau hierbei kommt die Physik der Phasentrennung ins Spiel ([1], [2] Abb. 1).
Die Bedeutung von Tropfendynamik während der asymmetrischen Zellteilung
Die asymmetrische Zellteilung ist ein entscheidender Prozess bei der Entstehung komplexer Organismen, da sie die Entstehung neuer Zelltypen und Asymmetrien von Geweben ermöglicht. Während der asymmetrischen Zellteilung werden molekulare Komponenten unterschiedlich auf die Tochterzellen verteilt, wodurch quasi zwei unterschiedliche Typen von Tochterzellen entstehen. Ein Beispiel ist die embryonale Keimzelle des Fadenwurms, bei der die sogenannten P-granula-Tropfen während der asymmetrischen Zellteilung an nur eine Tochterzelle weitergegeben werden (Abb. 2a). Diese asymmetrische Aufteilung ist entscheidend für die Bildung neuer Keimzellen und damit für die Fruchtbarkeit des entstehenden Organismus.
![Abb. 2: Phasenseparation im Konzentrationsgradienten. (a) P-granula (grün) in C. elegans Embryonen zeigen Eigenschaften physikalischer Tropfen. Während der asymmetrischen Zellteilung werden diese an einem Zellende positioniert. Diese Positionierung wird durch einen gegenläufigen Proteingradienten (blau) erzeugt. (b) Links der Auflösungsgrenze schrumpfen Tropfen, während sie rechts der Grenze wachsen. Dadurch verursacht der Konzentrationsgradient (blau) eine Anreicherung von Tropfenmaterial auf der rechten Seite.](/16156825/original-1623686565.jpg?t=eyJ3aWR0aCI6MjQ2LCJvYmpfaWQiOjE2MTU2ODI1fQ%3D%3D--f654dacdde59e2b2465fbbf65a3ba3ff7f24279b)
Abb. 2: Phasenseparation im Konzentrationsgradienten. (a) P-granula (grün) in C. elegans Embryonen zeigen Eigenschaften physikalischer Tropfen. Während der asymmetrischen Zellteilung werden diese an einem Zellende positioniert. Diese Positionierung wird durch einen gegenläufigen Proteingradienten (blau) erzeugt. (b) Links der Auflösungsgrenze schrumpfen Tropfen, während sie rechts der Grenze wachsen. Dadurch verursacht der Konzentrationsgradient (blau) eine Anreicherung von Tropfenmaterial auf der rechten Seite.
Doch wie kann das Material der P-granula-Tropfen auf eine Seite gelangen? Interessanterweise werden P-granula gar nicht direkt transportiert. Stattdessen wachsen und schrumpfen sie unterschiedlich schnell in den jeweiligen Zellhälften. Außerdem konnten wir zeigen, dass ein spezielles Protein die Phasentrennung der P-granula beeinflusst und ein Konzentrationsgradient dieses Proteins die Positionierung der P-granula ermöglicht. Diese Tropfenpositionierung lässt sich auch im Rahmen einer Ostwald-Reifung im Konzentrationsgradienten verstehen. Ohne Konzentrationsgradienten findet klassische Ostwald-Reifung statt, bei der überall im System große Tropfen auf Kosten kleinerer wachsen. Wir konnten zeigen, dass im Fall eines Konzentrationsgradienten die Konzentration außerhalb der Tropfen sowie die Gleichgewichtskonzentrationen positionsabhängig werden [1]. Dies führt zu einer beweglichen Auflösungsgrenze, die das System zu jedem Zeitpunkt in zwei Bereiche unterteilt (Abb. 2b), in denen sich Tropfen entweder auflösen oder wachsen. Sobald diese Auflösungsgrenze am Rand des Systems angekommen ist, ist die Positionierung der Tropfen abgeschlossen. Die Physik der Tropfendynamik im Konzentrationsgradienten ist somit entscheidend für die räumliche Segregation molekularer Komponenten während der asymmetrischen Zellteilung [2].
Wie Tropfen die Biochemie der Zelle beeinflussen können
Tropfen können aber auch die biochemischen Prozesse in der Zelle beeinflussen. Das enorme Potential von Tropfen, die zelluläre Biochemie zu beeinflussen, lässt sich am Beispiel der pathogenen Proteinaggregation illustrieren. Manche Proteine tendieren zur Bildung von Aggregaten, die schädlich für die Zelle sein können und für die Ausbildung von Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson verantwortlich gemacht werden.
Wir konnten zeigen, dass Tropfen die Aggregatbildung beeinflussen [3]. Dies beruht auf der Aufteilung der aggregatbildenden Proteine zwischen Tropfen und ihrer Umgebung. Interessanterweise kann bereits eine schwache Anreicherung dieser aggregierenden Proteine im Tropfen zu einer sehr starken Anreicherung der Aggregate im Tropfen führen. In der Zelle würde dies bedeuten, dass die Aggregate vom restlichen Zytoplasma ferngehalten werden. Diese im Tropfen gefangenen Aggregate können dort dann keinen Schaden mehr anrichten und von der Zelle abgebaut werden. Tropfen können auch die Gesamtmenge der Aggregate reduzieren, wodurch sich die schädliche Wirkung auf die Zellen verringern kann. Interessanterweise können Tropfen sogar die Potenz von Medikamenten und aggregationsunterdrückenden Proteinen deutlich erhöhen [4]. In anderen Worten, Tropfen können die unterdrückende Wirkung von Medikamenten vervielfachen. Dies motiviert, neuartige Medikamente gegen Alzheimer oder Parkinson zu entwerfen, mit dem Ziel, die Anreicherung von Medikamenten in Proteintropfen zu optimieren.
Die Beeinflussung von chemischen Reaktionen durch die Lokalisierung von Reaktanzen in Tropfen scheint ein allgemeines Prinzip darzustellen,das Tropfen erlaubt, biochemische Prozesse zu organisieren. Die Frage, wie Phasentrennung biochemische Prozesse beeinflusst und verändert, steht im Zentrum vieler unserer laufenden Forschungsprojekte. Ein Beispiel hierfür ist die Frage, wie die Phasentrennung einer Mischung und ihr pH-Wert im Wechselspiel stehen. Wir konnten zeigen, dass die Phasentrennung durch neutrale pH-Werte begünstigt wird [5]. Wir fanden aber auch heraus, dass phasengetrennte Tropfen einen eigenen pH-Wert haben können, der sich von ihrer Umgebung unterscheidet. Dies ist entscheidend für die Beeinflussung von chemischen Reaktionen, die meist stark pH-anhängig sind. Dieses Beispiel verdeutlicht das besondere Potential von phasengetrennten Tropfen als Mikroreaktoren für biochemische Prozesse.