Glücksgefühl und die Evolution der Hirngröße

Serotonin kann im fötalen menschlichen Gehirn als Wachstumsfaktor für Stammzellen agieren, die die Hirngröße bestimmen

Im Laufe der menschlichen Evolution vergrößerte sich das Gehirn – insbesondere in einem bestimmten Teil, dem Neokortex, der es uns ermöglicht, zu sprechen, zu träumen und zu denken. Auf der Suche nach den Gründen für diese Expansion haben Forscher des Max-Planck-Instituts für molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden, zusammen mit Kollegen des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden, bereits eine Reihe von molekularen Akteuren ausfindig gemacht. Diese Akteure agieren typischerweise Zell-intern in den sogenannten basalen Vorläuferzellen, den Stammzellen im sich entwickelnden Neokortex, die eine zentrale Rolle bei dessen Expansion spielen. Die Forscher berichten nun von einer anderen, neuartigen Rolle des Glücksgefühl-Neurotransmitters Serotonin, von dem bekannt ist, dass er im Gehirn Zufriedenheit, Selbstvertrauen und Optimismus bewirkt. Er agiert Zell-extern als Wachstumsfaktor für basale Vorläuferzellen im sich entwickelnden Neokortex des Menschen, aber nicht der Maus. Aufgrund dessen trug das aus der Plazenta stammende Serotonin wahrscheinlich zur evolutionären Expansion des menschlichen Neokortex bei.

Das Forscherteam von Wieland Huttner am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik, einem der Gründungsdirektoren des Instituts, hat in vielen Studien die Ursache für die evolutionäre Expansion des menschlichen Neokortex untersucht. Eine neue Arbeit aus seinem Labor konzentriert sich in diesem Zusammenhang auf die Rolle des Neurotransmitters Serotonin. Serotonin wird oft als Glücksgefühl-Neurotransmitter bezeichnet, weil es Signale zwischen Nervenzellen überträgt, die zu Wohlbefinden und Glück beitragen. Eine mögliche Rolle solcher Neurotransmitter während der Gehirnentwicklung ist jedoch noch nicht im Detail erforscht worden. Im sich entwickelnden Embryo bildet die Plazenta Serotonin, das dann über den Blutkreislauf ins Gehirn gelangt. Dies gilt sowohl für Menschen als auch für Mäuse. Die Funktion dieses von der Plazenta stammenden Serotonins im sich entwickelnden Gehirn ist jedoch bisher ungeklärt.

Der Postdoktorand Lei Xing in der Huttner-Forschungsgruppe untersuchte während seiner Doktorarbeit in Kanada Neurotransmitter. Als er danach seine Forschungsarbeit in Dresden aufnahm, war er neugierig darauf, ihre Rolle im sich entwickelnden Gehirn zu erforschen. Lei Xing berichtet: „Ich nutzte Datensätze, die bereits von der Gruppe erarbeitet worden waren, und fand heraus, dass der Serotoninrezeptor HTR2A im Neokortex des fötalen Menschen gebildet wurde, jedoch nicht im Neokortex der embryonalen Maus. Serotonin muss an diesen Rezeptor binden, um eine Signalübertragung auszulösen. Ich fragte mich, ob dieser Rezeptor einer der Schlüssel zur Frage sein könnte, warum Menschen ein größeres Gehirn haben.“ Um dies zu erforschen, veranlassten die Forscher die Bildung des HTR2A-Rezeptors im embryonalen Neokortex der Maus. „Tatsächlich fanden wir heraus, dass Serotonin durch die Aktivierung dieses Rezeptors eine Kette von Reaktionen auslöste, die zur Bildung von mehr basalen Vorläuferzellen im sich entwickelnden Gehirn führte. Mehr basale Vorläuferzellen können dann die Bildung kortikaler Nervenzellen steigern, was den Weg zu einem größeren Gehirn ebnet“, fährt Lei Xing fort.

Bedeutung für die Entwicklung und Evolution des Gehirns

„Zusammenfassend kann man sagen, dass unsere Studie eine völlig neue Rolle von Serotonin aufzeigt, nämlich als Wachstumsfaktor für basale Vorläuferzellen in hoch entwickelten Gehirnen wie insbesondere dem menschlichen. Unsere Daten legen nahe, dass Serotonin bei der Expansion des Neokortex während der Entwicklung und in der menschlichen Evolution eine Rolle spielt“, fasst Wieland Huttner, der die Studie leitete, zusammen. Er fährt fort: „Eine gestörte Signalübertragung von Serotonin sowie eine gestörte Bildung oder Mutation seines Rezeptors HTR2A wurden bei verschiedenen neurologischen und psychiatrischen Entwicklungsstörungen wie dem Down-Syndrom, der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) und dem Autismus beobachtet. Unsere Ergebnisse könnten erklären, wie Fehlfunktionen von Serotonin und seines Rezeptors während der fötalen Hirnentwicklung zu angeborenen Störungen führen können. Diese Erkenntnisse könnten neue Ansätze für Therapien nahelegen.“

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