Blick in die Sternenfabrik von Galaxien

Astronomen beobachten, wie sich der Vorrat an Baumaterial für Sonnen im Lauf der kosmischen Geschichte verändert hat

Astronomen haben einen „Bohrkern“ ins Universum getrieben und untersucht, wie sich der Vorrat an molekularem Wasserstoffgas – dem Rohstoff für die Sternentstehung – in den vergangenen gut zehn Milliarden Jahren verändert hat. Dabei nutzte das Team um Fabian Walter vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg das Observatorium ALMA. So wurde der vermutete Zusammenhang zwischen der schwankenden Menge des molekularen Wasserstoffs und der Entstehungsrate von Sternen während der kosmischen Geschichte beobachtet.

Im Lauf von vielen Milliarden Jahren sind in den Galaxien sehr viel Sterne entstanden. Als Baumaterial gilt kühles Gas aus Wasserstoffmolekülen, welches sich aus atomaren Wasserstoff bildet. Damit molekulares Gas in ausreichenden Mengen zur Verfügung steht, muss das atomare Wasserstoffreservoir immer wieder aufgefüllt werden. Tatsächlich gibt es in den riesigen Räumen zwischen den Galaxien einen gewaltigen Vorrat – warmes intergalaktisches Plasma, das mehr als 90 Prozent des gesamten Wasserstoffs im Universum enthält. Verfolgen die Astronomen, wie sich dieser Vorrat mit der Zeit verändert, erfahren sie etwas über die Produktionsgeschichte von Sternen.

Nun sind Teleskope so etwas wie Zeitmaschinen, denn wegen der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit bedeutet ein Blick in die Ferne gleichzeitig eine Reise in die Vergangenheit. Wollen die Forschenden etwa wissen, wie die durchschnittlichen Eigenschaften des Universums vor einer Milliarde Jahren aussahen, schauen sie sich Objekte an, die gerade so weit entfernt sind, dass ihr Licht eine Milliarde Jahre gebraucht hat, um uns zu erreichen.

Wiederholen die Astronomen solche Untersuchungen für unterschiedlich große Distanzen – entsprechend unterschiedlichen kosmischen Epochen –, dann liefert ein solcher „Bohrkern“ eine durchschnittliche Geschichte des Weltalls. Zwar werden die Details von Region zu Region variieren, aber das auf diese Weise erhaltene Gesamtbild der kosmischen Entwicklung sollte die Evolution des Universums als Ganzes wiedergeben.

Für die Studie des Teams um Fabian Walter vom Heidelberger Max-Planck-Institut für Astronomie erwies sich das Hubble Ultra-Deep Field (UDF) als besonders wichtiger Bohrkern: In dieser kleinen Region am Himmel, nur ein Zehntel des scheinbaren Durchmessers des Vollmondes groß, hat das Weltraumteleskop Hubble zwischen 2003 und 2004 Hunderte von Bildern mit einer Belichtungszeit von fast 16 Tagen aufgenommen, die anschließend zu einer Gesamtaufnahme kombiniert wurden.

Das Ultra-Deep Field zeigt noch Galaxien, deren Licht rund 13 Milliarden zu uns unterwegs war. Und es zeichnet ein stimmiges Bild der Sternentstehungsgeschichte: Demnach nahm die Sternproduktion nach dem Urknall bis zu einem regelrechten Boom vor etwa zehn Milliarden Jahren immer weiter zu, gefolgt von einem kontinuierlichen Rückgang der Produktionsrate. Rund die Hälfte der Sterne im Universum war bereits produziert worden, als das Universum mit 4,5 Milliarden Jahren ein Drittel seines heutigen Alters erreicht hatte. Später flaute der Babyboom unter den Sternen ab. Aber warum der Anstieg und der spätere Rückgang?

Um diese Frage zu beantworten, haben sich Fabian Walter und seine Kollegen angeschaut, wieviel Rohstoff für die Sternentstehung – also molekularer Wasserstoff – in den verschiedenen kosmischen Epochen verfügbar war. Dazu nutzte die Gruppe das ALMA-Observatorium in Chile, das bis zu 50 große (Sub-)Millimeter-Teleskope mithilfe der Interferometrie kombinieren kann. Dabei werden die einzelnen Antennen zusammengeschaltet und so die Detailauflösung, vor allem aber die Empfindlichkeit der Beobachtungen extrem erhöht.

In dem Projekt „ALMA Spectroscopic Survey in the Hubble Ultra-Deep Field“ (ASPECS) nahmen die Astronomen für jeden Ort im Hubble-Feld zwei Spektren auf, welche die Intensität des empfangenen Lichts bei Wellenlängen zwischen 1,1 und 1,4 Millimeter sowie zwischen 2,6 und 3,6 Millimeter dokumentieren. In solchen Spektren zeigt sich das Vorhandensein von Molekülen über sogenannte Emissionslinien. Aus deren Intensität lässt sich indirekt darauf schließen, wieviel molekularer Wasserstoff sich in der betreffenden Region befindet.

Aus der Rotverschiebung, die für eine bestimmte Gruppe von Linien beobachtet wird, rekonstruierten die Astronomen außerdem die Entfernung des betreffenden Gases. Denn im expandierenden Universum steht diese kosmologische Rotverschiebung in direktem Zusammenhang mit der Distanz eines Objekts von uns. Auf diese Weise war ASPECS in der Lage, eine dreidimensionale Karte der Verteilung von Gaswolken anzufertigen.

So konnte das Team um Fabian Walter die Entwicklung der molekularen Wasserstoff-Vorräte in Galaxien fast über die gesamte kosmische Geschichte rekonstruieren – von etwa zwei Milliarden Jahren nach dem Urknall vor 13,8 Milliarden Jahren bis in die Gegenwart. Die Wissenschaftler berücksichtigten zusätzlich Daten über atomaren Wasserstoff und über die Gesamtmasse aller Sterne in einer bestimmten Epoche. Sie verglichen ihre Ergebnisse außerdem mit groß angelegten Simulationen der kosmischen Geschichte vom Urknall bis heute.

Die Forschenden fanden heraus, dass im Lauf der kosmischen Geschichte die Menge des molekularen Wasserstoffs bis vor etwa zehn Milliarden Jahren stetig zunahm. Dabei hatte sich der Bestand innerhalb von drei Milliarden Jahren fast verdoppelt. Diese Entwicklung war bereits durch frühere Studien angedeutet worden. Aber erst jetzt waren die Beobachtungen ausreichend genau, um sicher festzuhalten, wie die kosmische Gasdichte mit der Zeit steigt und fällt.

Der Anstieg entspricht dabei dem „Goldenen Zeitalter“ der Sternentstehung: mit reichlich Rohmaterial, das in leuchtende Sonnen verwandelt wurde, und mit der Entstehung der Hälfte aller jemals existierenden Sterne in diesem ersten Drittel der kosmischen Geschichte. In der Hochphase gab es etwa genau so viel molekularen wie atomaren Wasserstoff.

Beim Vergleich ihrer Daten mit Simulationen stellten die Astronomen fest, dass für den Boom bei der Menge molekularen Wasserstoffs mehrere Faktoren ursächlich waren. Galaxien sind sozusagen nur die sichtbare Spitze des Eisbergs – Hinweise auf zugrundeliegende Anhäufungen dunkler Materie, die mit elektromagnetischer Strahlung nicht wechselwirkt und daher für direkte Beobachtungen unsichtbar bleibt. Dunkle Materie macht etwa 80 Prozent der Gesamtmasse im Universum aus und spielt bei der Geburt von Galaxien eine wichtige Rolle.

Denn die dunkle Materie war kurz nach dem Urknall zunächst nahezu perfekt homogen im Kosmos verteilt. In der nachfolgenden Zeit hat sie sich aber aufgrund der gegenseitigen Gravitationsanziehung immer weiter verklumpt. Im heutigen Universum bildet die dunkle Materie auf einer Größenskala von Hunderten von Millionen Lichtjahren ein Netz aus Filamenten, durchsetzt von besonders dichten Bereichen, den sogenannten Halos.

Galaxien entstanden, als gewöhnliche Materie – das allermeiste davon Wasserstoffgas – durch die Schwerkraft der dunklen Materie in diese Halos hineingezogen wurde. Bei einem solchen Prozess fällt zunächst aus dem riesigen Reservoir im intergalaktischen Raum Plasma auf die Halos, das im Laufe der Zeit zu Atomen abkühlt. Dadurch wird der Vorrat an atomarem Wasserstoff innerhalb einer Galaxie aufgefüllt.

Ein Teil des atomaren Wasserstoffs fließt zum galaktischen Zentrum, wo er sich weiter abkühlt. Dann bildet sich molekularer Wasserstoff, und daraus entstehen schließlich die Sterne. Dank der ASPECS-Beobachtungen konnten Fabian Walter und seine Kollegen beschreiben, wie stark diese Gasströme in den verschiedenen Phasen der kosmischen Geschichte waren.

Blickt man in die Zukunft, dann wird die Sternenproduktion mit der Zeit immer weniger effektiv, je mehr sich das Halowachstum verlangsamt und je weniger Wasserstoffplasma auf die Galaxien gezogen wird. Gegenwärtig bilden Galaxien Sterne nur noch mit einem Zehntel der Produktionsrate des Goldenen Zeitalters.

Insgesamt ist die Zahl der Sterngeburten in den vergangenen neun Milliarden Jahren stark zurückgegangen. Auf Basis ihrer Beobachtungen sagt Walters Gruppe einen anhaltenden Trend voraus: In den nächsten fünf Milliarden Jahren werden die molekularen Gasreservoirs auf die Hälfte ihrer jetzigen Masse schrumpfen, während die Gesamtmasse der Sterne im Universum nur noch um zehn Prozent zunimmt. Schließlich wird die Sternenproduktion fast ganz zum Erliegen kommen.

In einem nächsten Schritt wollen die Astronomen mit ALMA einzelne Galaxien genauer betrachten und etwa die Struktur des molekularen Gases und Staubs in diesen Milchstraßensystemen mit der Verteilung der Sterne vergleichen und dabei Antworten finden auf Fragen wie: Gibt es einen direkten Zusammenhang? Lassen sich molekulares Gas und Staub in derselben Region wie die jungen Sterne finden? Detailliertere Beobachtungen würden zudem Informationen über Kinematik, Temperatur und Dichte des Gases liefern.

MP / HOR

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht