Auszeichnung für herausragende Alzheimerforschung

Forschende werden für ihre Erkenntnisse zur Entfernung von Proteinablagerungen aus dem Gehirn und deren Bedeutung bei Demenzerkrankungen geehrt

7. September 2020

Alzheimer ist mit weltweit 50 Millionen Betroffenen die häufigste Form der Demenz. Das fortschreitende Absterben von Nervenzellen geht mit Ablagerung von verklumpten Proteinen einher, sogenannten amyloiden Plaques. Solche verklumpten Proteine können mit zunehmendem Alter häufig schlechter abgebaut und aus dem Gehirn abtransportiert werden. Die Gertrud-Reemtsma-Stiftung zeichnet dieses Jahr mit Roy Weller, Maiken Nedergaard und Mathias Jucker drei Neurowissenschaftler aus, die die Entfernung von Abfallstoffen aus dem Gehirn wie den amyloiden Plaques erforscht haben. Die Erkenntnisse der Forschenden bieten neue Ansatzpunkte für Therapien und präventive Maßnahmen bei Alzheimer und anderen neurodegenerativen Erkrankungen. Der mit 60.000 Euro dotierte „International Prize for Translational Neuroscience of the Gertrud Reemtsma Foundation“ – früher K.J. Zülch-Preis – wird am 10. September 2020 in Köln verliehen.

Die Abfallprodukte, die durch den Stoffwechsel unserer Zellen entstehen, werden über Lymphgefäße und -knoten ins Blut transportiert, in der Leber abgebaut und mit dem Urin ausgeschieden. Eine Ausnahme bildet das Gehirn, denn dort gibt es keine konventionellen Lymphgefäße. Dabei ist gerade dieses Organ sehr aktiv und verbraucht ein Viertel der gesamten Körperenergie. Entsprechend fallen große Mengen Abfallstoffe an. Funktioniert der Abtransport nicht richtig, lagern sich diese Substanzen im Gehirn ab. Dies kann zum Tod von Nervenzellen und der Entstehung einer Demenz führen.

Bei der Alzheimer-Erkrankung lagert sich das sogenannte Amyloid-b (Ab) Protein als Plaques um Nervenzellen ab und schädigt diese. Während in jungen Jahren selten amyloide Plaques im Gehirn auftreten, scheint der Abtransport der Proteine mit fortschreitendem Alter immer schlechter zu funktionieren. Roy Weller von der Universität Southampton wollte herausfinden, wie der Abtransport von Abfallstoffen im Gehirn funktioniert – und warum er mit zunehmendem Alter oft fehlschlägt. Seine Experimente haben ergeben, dass die Drainage des Gehirns entlang der Arterienwände erfolgt: Die Hirnflüssigkeit und die darin enthaltenen Abfallstoffe fließen zunächst zu den Gefäßen, von dort werden sie durch wellenförmiges Zusammenziehen der Gefäßmuskelzellen weiter zu den Lymphknoten im Hals transportiert. Die sehr engen Wege dieses einzigartigen Systems erlauben den Transport von Proteinen und Stoffwechselprodukten, ohne dass Immunzellen ins Gehirn eindringen und dort eine Entzündung auslösen können.

Da die Muskelzellen der Arterien mit der Zeit abgebaut werden, funktioniert dieser Transportweg im Alter schlechter. Zudem können die verklumpten und unlöslichen Ab-Proteine die engen Drainage-Kanäle verstopfen und so ihren Abtransport weiter verschlechtern. Eine Stärkung der Kontraktionsfähigkeit der Arterienmuskelzellen oder eine Auflösung der Ab-Proteine könnte den Abfluss von Ab aus dem Gehirn wiederherstellen und als Ansatz für eine Alzheimer-Prävention und -Therapie dienen.

Rolle von Helferzellen

Maiken Nedergaard vom Medical Center der Universität Rochester und der Universität Kopenhagen hat die Rolle der wichtigsten Helferzellen bei neuronalen Erkrankungen erforscht. Die Wissenschaftlerin konnte zeigen, dass diese als Astrozyten bezeichneten Zellen eine wichtige Rolle bei der Verteilung der Flüssigkeit im Gehirn spielen. Sie bilden Ausläufer, die die Blutgefäße im Gehirn umgeben. Dadurch entstehen Donat-förmige Tunnel, durch die die Flüssigkeit ins Gehirn strömen und Abfallstoffe wie das Ab herauswaschen kann. Der Abtransport wird dabei durch eine hohe Dichte eines speziellen Wasserkanals in den Zellmembranen sichergestellt.

Wegen der großen Bedeutung der Astrozyten für die Drainage des Gehirns bezeichnet Nedergaard den Flüssigkeitstransport als „Glia-lymphatisches System“, kurz: „glymphatisches System“. Der Forscherin zufolge ist das glymphatische System hauptsächlich im Schlaf aktiv: Die Astrozyten schrumpfen im Schlaf und lassen größere Zwischenzellräume zu, in die Hirnflüssigkeit entlang der Blutgefäße eindringen und von dort Ab-Proteine und andere Abfallstoffe abtransportieren kann.

Biomarker für Alzheimer

Mathias Jucker vom Hertie-Institut für klinische Hirnforschung und dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen in Tübingen untersucht in den Flüssigkeiten, die das Gehirn reinigen, Biomarker für neurodegenerative Erkrankungen. So hat er im Blut und in der Gehirnflüssigkeit genetisch veränderter Mäuse Moleküle identifiziert, mit denen sich zum Beispiel schon früh der Verlauf der Alzheimer-Erkrankung voraussagen lässt.

Die Entfernung von Ab-Proteinen aus dem Gehirn ist abhängig von ihrer korrekten dreidimensionalen Struktur: Falsch gefaltete Ab-Proteine lösen die Fehlfaltung weiterer Ab-Proteinmoleküle aus und bewirken auf diese Weise die Ausbreitung amyloider Plaques. Fehlgefaltete Proteine können dann nicht mehr entfernt werden. Zum Zeitpunkt der ersten neurologischen Symptome haben sich bereits so viele amyloide Plaques gebildet, dass das Gehirn stark geschädigt ist. Viele Therapien greifen zu diesem Zeitpunkt daher nicht mehr. Umso wichtiger ist eine präventive Therapie, bevor die ersten Symptome auftreten.

Die Preisträger

Roy O Weller absolvierte die Ausbildung zum Neuropathologen an der Guy’s Hospital Medical School in London, an der er 1961 in Medizin den Abschluss machte und 1967 promovierte. Danach ging er als Postdoc an das Albert Einstein College of Medicine in New York. 1978 wurde er Professor für Neuropathologie an die Universitätsklinik in Southampton. Seit 2003 ist er emeritiert.

Maiken Nedergaard studierte an der Universität Kopenhagen und promovierte dort 1988. 1987 ging sie als Postdoc an die Cornell University Medical College und wurde 1994 Professorin der Zellbiologie am New York Medical College. Seit 2003 ist sie Professorin für Neurochirurgie, Neurologie und Neurowissenschaften an der Fakultät der Universität von Rochester. Seit 2014 ist sie außerdem an der Universität Kopenhagen Professorin für Glia-Zellbiologie und Co-Direktorin des „Center for Translational Neuromedicine“.

Mathias Jucker promovierte 1988 an der ETH Zürich. Danach ging er als Postdoc an das National Institute on Aging in den USA, bevor er sich 1999 an der Universität Basel in experimenteller Medizin habilitierte. Seit 2003 ist er Professor für Zellbiologie neurologischer Erkrankungen und Direktor am Hertie Institut für klinische Hirnforschung. Außerdem ist er Gruppenleiter am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen am Standort Tübingen.

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