Forschungsbericht 2019 - Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik

Anreize für den Eintritt in den Ruhestand: Der dramatische Wandel bei der Altersbeschäftigung von 1980 bis heute

Autoren
Börsch-Supan, Axel; Coile, Courtney
Abteilungen
Abteilung für Sozialpolitik, Munich Center for the Economics of Aging (MEA)
Zusammenfassung
Seit Ende der 1990er Jahre ist der vormals dramatische Rückgang der Erwerbsbeteiligung älterer Männer durch steil ansteigende Erwerbsquoten ersetzt worden. Auch die Erwerbsquote älterer Frauen ist dramatisch gestiegen. Unsere Forschungen am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik zeigen, dass Rentenreformen und die Erhöhung der finanziellen Anreize zur Arbeit im Alter diese historische Wende erklären können.

 Während die Lebenserwartung fast überall auf der Welt dramatisch angestiegen ist, ist das durchschnittliche Renteneintrittsalter in den Industrieländern über weite Teile des 20. Jahrhunderts hindurch gesunken, was die öffentlichen Rentensysteme unter enormen Druck gesetzt hat. In jüngster Zeit erlebt die Arbeit im späteren Leben jedoch ein Comeback. Fast alle Industrieländer haben seit Mitte bis Ende der 1990er Jahre einen deutlichen Anstieg der Erwerbsquote älterer Arbeitnehmer erlebt. Dies ist in Abbildung 1 für Männer im Alter von 60 bis 64 Jahren dargestellt. Wir sehen eine deutliche „U-Form“ bei der Erwerbsquote älterer Arbeitnehmer, die in den einzelnen Ländern auffallend ähnlich aussieht. Im Durchschnitt stiegen in diesen Ländern die Erwerbsquoten für Männer im Alter von 60 bis 64 Jahren zwischen 1995 und 2016 um 14,9 Prozentpunkte.

Dies ist eine bemerkenswerte Umkehrung des langjährigen Trends zu einem immer früheren Erwerbsaustrittsalter, ein Trend, der von vielen als natürlicher Nebeneffekt des wachsenden Wohlstands trotz der gleichzeitig steigenden Lebenserwartung angesehen wurde. Auffällig ist auch, dass dieses Muster in allen Ländern zu verzeichnen ist, obwohl das Altersbeschäftigungsniveau von Land zu Land sehr unterschiedlich ist. Während die „U-Form“ bei den Frauen aufgrund ihrer geringen Anfangsbeteiligung weniger deutlich ist, ist der Anstieg seit Mitte der 1990er Jahre mit durchschnittlich 18,6 Prozentpunkten zwischen 1995 und 2016 sogar etwas größer als bei den Männern.

Was hat diese bemerkenswerte U-förmige Wende in der Altersbeschäftigung verursacht? Wir behaupten, dass die Rentenreformen die negativen finanziellen Anreizwirkungen hinsichtlich der Arbeit im Alter verringert haben. Diese negativen finanziellen Anreizwirkungen haben einen starken Einfluss auf die Entscheidungen für die Arbeit im Alter ausgeübt.

Um diese Behauptung zu untermauern, haben wir in 12 Ländern weltweit Daten zu den Änderungen der Rentengesetze und Altersversorgungsregelungen zwischen 1980 und 2015 gesammelt: in 9 europäischen Ländern, in den USA und in Kanada sowie in Japan. Aus diesen Gesetzen haben wir die negativen finanziellen Anreizwirkungen, länger zu arbeiten und die Altersversorgungsleistungen später zu beantragen, berechnet, und zwar getrennt für jedes Jahr und jedes Land. Dieser finanzielle Anreiz entsteht durch folgende Umstände: Ein Arbeitnehmer, der den Eintritt in den Ruhestand um ein Jahr verschiebt, verliert ein Jahr an Altersversorgungsleistungen. Im Gegenzug erhält dieser Arbeitnehmer nach seinem Eintritt in den Ruhestand eine etwas höhere jährliche Altersversorgungsleistung. Es stellt sich heraus, dass diese höhere Altersversorgungsleistung in den meisten Ländern nicht ausreicht, um den Verlust von Altersversorgungsleistungen in diesem Jahr wettzumachen. Der Arbeitnehmer verliert also Geld, wenn er länger arbeitet.

Dieser Verlust ist beachtlich. Es ist hilfreich, die Größe dieses Verlusts als Prozentsatz des Einkommens in diesem zusätzlichen Arbeitsjahr anzugeben und diesen Verlust als „implizite Steuer auf die Verlängerung der Lebensarbeitszeit“ zu bezeichnen, weil das Rentensystem implizit Menschen Geld wegnimmt, die sich für einen späteren Eintritt in den Ruhestand entscheiden. Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahren betrug diese indirekte Steuer im Durchschnitt etwa 35 Prozent. In Frankreich und Japan lag sie bei über 75 Prozent, in Deutschland bei 35 Prozent. Trotz dieser großen Heterogenität gab es einen gemeinsamen Trend, der die implizite Steuer auf die Verlängerung der Lebensarbeitszeit ab 2007 im Durchschnitt der 12 Länder deutlich auf nur noch rund 20 Prozent gesenkt hat. Für Deutschland fällt dieser Rückgang von etwa 40 Prozent im Jahr 1995 auf fast 0 im Jahr 2013 besonders steil aus. Danach stieg die implizite Steuer aufgrund der nachgelagerten Besteuerung der Altersversorgungsleistungen wieder an.

Abbildung 2 zeigt die Entwicklung der impliziten Steuer auf die Verlängerung der Lebensarbeitszeit, gemittelt über die 12 Länder unserer Studie. Dieser impliziten Steuer wird die durchschnittliche Erwerbsquote auf der Grundlage der Daten aus Abbildung 1 gegenübergestellt. Abbildung 2 zeigt eine auffallend enge Übereinstimmung zwischen der U-förmigen Entwicklung der Beschäftigung und der umgekehrten U-Form bei der Entwicklung unseres Richtmaßes für negative finanzielle Anreizwirkungen für einen späteren Eintritt in den Ruhestand.

Wir kommen zu dem Schluss, dass die Rentenreformen der letzten Jahrzehnte die Anreize zur Arbeit im höheren Alter verstärkt haben und dass die daraus resultierende Erhöhung des finanziellen Anreizes für die Arbeit im höheren Alter zum Anstieg der Beschäftigung älterer Männer und Frauen in diesem Zeitraum beigetragen hat. Das offensichtlichste Beispiel für solche Reformen war die Anhebung der gesetzlichen Altersgrenze in fast allen Ländern unserer Stichprobe. Die meisten Länder haben auch die Vorruhestandswege verengt, zum Beispiel durch die Verschärfung der ärztlichen Untersuchungen für Invaliditätsleistungen. Subtilere politische Instrumente zur Änderung des effektiven Renteneintrittsalters sind die sogenannten versicherungsmathematischen Anpassungen. Wir stellen jedoch auch fest, dass die meisten Rentensysteme nach wie vor finanzielle Anreizwirkungen ausüben, länger zu arbeiten.

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