Schimpansen-Weibchen tragen zum Schutz des Territoriums bei
Um ein Territorium zu erobern und zu bewahren, sind nicht nur männliche sondern auch weibliche Schimpansen wichtig
Beim Menschen scheinen Kriegsführung und Territorialverhalten den Männern vorbehalten zu sein. Auch Schimpansen verhalten sich fremden Gruppen gegenüber feindselig und sind territorial. Sind auch bei ihnen die Männchen federführend? Ein internationales Forscherteam des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig konnte nun belegen, dass das nur bedingt der Fall ist: Bei westafrikanischen Schimpansen spielen Weibchen und andere Gruppenmitglieder im Wettbewerb mit anderen Gruppen eine wichtigere Rolle als bisher angenommen. Erwachsene Männchen werden vor allem bei der Gebietsvergrößerung aktiv; zur Gebietserhaltung und zu Wettbewerbsvorteilen anderen Gruppen gegenüber tragen alle Gruppenmitglieder bei. Das ergaben ausgiebige Untersuchungen mehrerer benachbarter Schimpansengruppen im Taï Nationalpark (Elfenbeinküste).
Obwohl größere Gruppen kleineren Nachbargruppen gegenüber reale Wettbewerbsvorteile haben, ging man bei vielen sozialen Tierarten – einschließlich des Menschen – bisher davon aus, dass erwachsene Männchen bei der Territorialität eine maßgebliche Rolle spielen. Diese möglicherweise durch eine anthropozentrische Perspektive verzerrte Wahrnehmung, stellen Forschende des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig nun im Rahmen einer neuen Studie differenzierter dar.
Bei Schimpansen, die zu unseren nächsten lebenden Verwandten und neben dem Menschen zu einer der territorialsten Primatenarten zählen, beteiligen sich die Männchen aktiv an Konflikten zwischen Gruppen und verhalten sich territorial, während die Weibchen sich aus diesen „Männerangelegenheiten“ größtenteils heraushalten. Dieses Muster scheint auf die meisten Schimpansenpopulationen in Ostafrika zuzutreffen. Frühere Befunde bei Schimpansen aus dem Taï-Nationalpark in der Elfenbeinküste in Westafrika ließen jedoch bereits vermuten, dass Weibchen bei der Territorialität eine wichtigere Rolle spielen als bisher angenommen. Doch bisher blieb unklar, wie es um die Verteidigung des Territoriums vor dem Hintergrund variabler Sozialsysteme bei Schimpansen bestellt war.
„Um die Mechanismen zu entschlüsseln, die Gruppenkonkurrenz und -dominanz bei sozialen Arten steuern, benötigen wir Langzeitdaten von mehreren Gruppen innerhalb einer Population“, sagt Sylvain Lemoine, Erstautor einer neuen Studie, die diese Mechanismen bei westafrikanischen Schimpansen untersucht. Daten zu vier benachbarten Schimpansengemeinschaften westafrikanischer Schimpansen, die die Wissenschaftler im Rahmen des Taï Chimpanzee Project (TCP) in mehr als 20 Jahren zusammengetragen haben, und Informationen über Verbreitungsmuster und Begegnungen zwischen den Gruppen, ergaben: Die Gruppengröße erklärt Unterschiede hinsichtlich Kosten und Nutzen im Wettstreit zwischen den Gruppen besser als die Anzahl erwachsener Männchen in einer bestimmten Gruppe.
Vorteile für größere Gruppen
Obwohl die Zunahme der Anzahl erwachsener Männchen in einer Gruppe meist eine Gebietsvergrößerung nach sich zieht, gewinnen größere Gruppen – darunter Weibchen, jugendliche Tiere und Jungtiere – Vorteile gegenüber kleineren Gemeinschaften. Dies geschieht indem sie den Zugang zu größeren Gebieten aufrechterhalten und weniger unter dem Nachbarschaftsdruck leiden. Größere und sicherere Futtergebiete könnten dann einzelnen Tiere Vorteile bei der Fortpflanzung und Aufzucht des Nachwuchses verschaffen.
„Von den Taï-Schimpansen wissen wir, dass Männchen und Weibchen sehr gesellig miteinander umgehen und es starke soziale Bindungen und eine ausgeprägte Zusammenarbeit zwischen den Tieren gibt“, sagt Roman Wittig, einer der beiden Senior-Autoren der Studie und Direktor des TCP. In dieser Population, die als „bisexuell gebunden“ qualifiziert wird, bewohnen Männchen und Weibchen derselben Gemeinschaft ein ähnliches Territorium, anstatt getrennt voneinander ihren jeweils eigenen, miteinander überlappenden, Lebensraum zu nutzen. Beide Geschlechter beteiligen sich in Form von „Grenzpatrouillen“ am Schutz ihres Heimatgebiets und tragen Territorialkonflikte mit feindlichen Nachbarn aus. Gruppierungs- und Sozialisierungsmuster können also möglicherweise erklären, warum die Gruppengröße – und nicht nur die Anzahl der Männchen – für die Konkurrenzfähigkeit dieser Schimpansenpopulation entscheidend ist.
Weniger Tötungen
„Erwachsene Männchen spielen vor allem bei der Vergrößerung des Territoriums eine Rolle. Die Bewahrung des Territoriums, die Dominanz über und das Zurückdrängen benachbarter Gruppen hingegen, erfordern auch den Einsatz von Weibchen und anderen Gruppenmitgliedern“, fügt Sylvain Lemoine hinzu. Diese Befunde können teilweise erklären, warum es in dieser Population im Vergleich zu ostafrikanischen Schimpansen, wesentlich seltener zu Tötungen von Schimpansen aus anderen Gruppen kommt: Wenn zwei gegnerische Gruppen miteinander im Wettstreit stehen und alle Gruppenmitglieder an der Auseinandersetzung beteiligt sind, verringert sich die Wahrscheinlichkeit, dass ein Ungleichgewicht der Machtverhältnisse entsteht. Damit verringern sich auch die Möglichkeiten, einen Nachbarn zu töten, ohne dabei selbst ein großes Risiko einzugehen.
Catherine Crockford, die andere Senior-Autorin der Studie, ergänzt: „Wir sammeln gerade überzeugende Belege dafür, dass die Zusammenarbeit zwischen nicht verwandten Tieren sowie zwischen Männchen und Weibchen – aufgrund des Wettstreits zwischen benachbarten Gruppen – möglicherweise unter Selektion stand. Die Ergebnisse unserer Studie haben für unser Verständnis der Evolution von Kooperation bei sozialen Arten und insbesondere beim Menschen eine große Bedeutung. Kontinuierliche und langfristige Forschungs- und Arterhaltungsbemühungen sind notwendig, wenn wir das Wechselspiel zwischen Konkurrenz und Kooperation bei dieser für die menschliche Evolution so symbolträchtigen Art verstehen wollen und wie dieses mit der Evolution unserer eigenen Art in Verbindung steht.“
SJ/RW