Eine kurze Einführung in Frontex

Wie sich einer der Hauptakteure der Europäischen Union entwickelt hat. Ein Artikel von Carolyn Moser vom Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg

Wir haben uns an eine Europäische Union (EU) ohne Grenzen - ohne Binnengrenzen - gewöhnt. Die Erinnerung an lange Warteschlangen und Passkontrollen an den Grenzübergängen verblasst zunehmend, während wir uns ganz selbstverständlich frei zwischen den europäischen Ländern bewegen. Für einen Kontinent, der im vergangenen Jahrhundert von blutigen Kriegen um Gebiete und Grenzen gezeichnet war, ist dies eine bemerkenswerte Entwicklung.

Die allmähliche Abschaffung von Kontrollen an den europäischen Binnengrenzen ging schrittweise vonstatten und wurde in den 1990er-Jahren mit der Schaffung des Schengen-Raums eingeleitet. Im Jahr 1997 wurde der Schengen-Besitzstand durch den Vertrag von Amsterdam in den EU-Rechtsrahmen aufgenommen und zehn Jahre später, also 2007, erhob der Vertrag von Lissabon die Existenz des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen zu einem der Kernziele der EU (Artikel 3 Absatz 2 des EU-Vertrags).

Da das EU-Gebiet in Ermangelung von Binnengrenzen zu einem Raum von beachtlicher Ausdehnung mit ungehindertem Personenverkehr geworden ist, hat sich sowohl die Grenzverwaltung als auch die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität nach und nach in die geografische Peripherie der EU verlagert. Hier kommt die EU-Agentur Frontex ins Spiel, die für die Kontrolle der europäischen Außengrenzen zuständig ist. Die nach dem signifikanten Anstieg der Migrationsströme im Jahr 2015 erstarkte Rolle der EU-Agentur hat lebhafte Diskussionen über das richtige Maß an übertragenen Befugnissen und Verantwortlichkeiten ausgelöst, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der jüngsten Mandatserweiterung von 2019.

Frontex und die Verlagerung der Grenzkontrollen an die Peripherie Europas

Viele Jahre lang zeigten die Mitgliedstaaten wenig Begeisterung, ihr Vorrecht über die Kontrolle der Ein- und Ausreise ihr Hoheitsgebiet betreffend mit einer EU-Struktur zu teilen. Dieses Vorrecht wurde als grundlegender Akt der Souveränität verstanden. Die Regierungen der einzelnen Länder einigten sich daher auf gemeinsame Regeln für Kontrollen an den Außengrenzen (d.h. den Schengener Grenzkodex), bevorzugten aber einen dezentralen und informellen Umsetzungsmodus, der sich beispielsweise auf ein Netzwerk nationaler Kontaktstellen stützte. Dieser dezentrale Ansatz erwies sich jedoch als unwirksam. Im Hinblick auf die Erweiterung der EU um die östlichen Nachbarländer Mitte der 2000er-Jahre überwanden die nationalen Regierungen schließlich ihre Zurückhaltung und vereinbarten die teilweise Europäisierung des Schutzes der Außengrenzen, indem sie eine permanente EU-Struktur schufen und diese mit der Koordinierung der Umsetzung der gemeinsamen Regeln mandatierten.

Im Oktober 2004 wurde also durch die Verordnung (EG) 2007/2004 des Rates die Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen begründet, besser bekannt unter ihrem französischen Akronym Frontex. Die in Warschau ansässige Agentur wurde eingerichtet, um die Bemühungen der nationalen Behörden zu ergänzen (nicht zu ersetzen), vor allem durch die Koordinierung der Umsetzung des Schengen-Besitzstandes, insbesondere des Schengener Grenzkodexes. Angesichts des der Schaffung von Frontex zugrundeliegenden zwischenstaatlichen institutionellen Modells, bleiben die Mitgliedstaaten in erster Linie für die Kontrolle ihres Abschnitts der Außengrenze verantwortlich.

Zwei Jahre nachdem Frontex seine Arbeit aufgenommen hatte, wurde das Mandat erstmals geändert. Durch die so genannte RABIT-Verordnung von 2007 wurde das Portfolio der Agentur um operative Aufgaben erweitert: Dadurch wurde Frontex die vorübergehende Entsendung von Soforteinsatzteams (RABIT, abgeleitet vom englischen Begriff Rapid Intervention Teams) in Mitgliedstaaten gestattet, die mit einem außergewöhnlichen Anstieg illegaler Grenzübertritte konfrontiert sind. Eine weitere Erweiterung der operativen Kapazitäten erfolgte im Jahr 2011, als Frontex in die Lage versetzt wurde, europäische Grenzschutzteams zu bilden, die neben nationalen Kontingenten an gemeinsamen Operationen teilnehmen konnten.

Und der institutionelle Gewinner der Migrationskrise ist ...

Im Zuge des massiven Zustroms von Migranten im Jahr 2015 wurde der rechtliche Rahmen von Frontex komplett überarbeitet. Durch die neue Rechtsgrundlage von 2016 wurden die operativen Befugnisse der Agentur erheblich ausgeweitet. Die gleichzeitige Umbenennung in Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (wobei das Akronym Frontex unverändert blieb) war nicht nur ein Wortspiel, sondern machte eine wesentliche Veränderung deutlich: Die Agentur Frontex war über ihre Unterstützungsrolle hinausgewachsen und hatte sich unbestreitbar zu einem eigenständigen Akteur entwickelt, der nunmehr eine regulierende, überwachende und operative Rolle erfüllt.

Das ursprüngliche Koordinierungs-, Ausbildungs- und Unterstützungsmandat der Agentur, der im Zuge mehrerer Adjustierungen immer mehr Befugnisse übertragen wurden, ist einer weitaus umfassenderen und operativeren Aufgabenbeschreibung gewichen. Während das ursprüngliche Mandat nur sechs Aufgaben zählte, sind in der aktuellen Frontex-Verordnung mehr als 30 Aufgaben aufgelistet. Zu diesen gehören eine Reihe von Exekutivaufgaben, einschließlich (gemeinsamer) Rückführungsmaßnahmen sowie Such- und Rettungsoperationen. Darüber hinaus sind die Analyse und der Austausch von Daten zu einem zentralen Bestandteil des Aufgabenbereichs der Agentur geworden.

Da Frontex die Aufgabe hat, Migrationsströme zu überwachen, Risiken zu bewerten, potenzielle neue Bedrohungen zu signalisieren und mögliche Schwachstellen der EU-Außengrenze aufzuzeigen, ist die Agentur am Puls der Verwaltung und Planung des Grenz- und Migrationsmanagements der EU. Es überrascht daher nicht, dass Frontex zu einer wichtigen Drehscheibe für Informationen und Fachwissen geworden ist, was die Agentur wiederum zu einem wertvollen Anlaufpunkt macht, wenn es um die Förderung des in Artikel 77 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU avisierten integrierten Grenzschutzsystems geht.

Dieser Trend wurde durch die jüngste Mandatsänderung von 2019 noch verstärkt, mit der die Kompetenzen und Aufgaben von Frontex trotz anhaltender Souveränitätsbedenken der Mitgliedstaaten weiter ausgedehnt wurden. Wichtig ist, dass die Befugnisse der Agentur in Bezug auf die Organisation, Koordinierung und Durchführung von Rückführungsmaßnahmen illegaler Einwanderer gestärkt wurden. Darüber hinaus beinhaltet die jüngste Reform eine erhebliche Aufstockung der personellen und finanziellen Mittel der Agentur: Der Haushalt von Frontex soll sich auf 1,3 Milliarden Euro pro Jahr (2021-2027) verdreifachen, und das stehende Korps (einschließlich der Fachkräfte der Mitgliedstaaten) bis 2027 auf eine Kapazität von 10.000 Einsatzkräften ansteigen, von denen die Agentur etwa ein Drittel selbst rekrutieren kann, während der größte Teil ihres Personals nach wie vor aus entsandten nationalen Beamten bestehen wird.

Doch die Expansion von Frontex hört hier nicht auf. Neben dem beträchtlichen Wachstum des Aufgabenbereichs, des Budgets und des Personals der Agentur erleben wir eine bedeutende geographische Erweiterung der Reichweite ihrer Aktivitäten. In der Vergangenheit beruhte diese geographische Ausdehnung auf einem Flickenteppich von meist informellen Regelungen. Die beiden letzten Mandatsänderungen (nach der Migrationskrise) haben jedoch die rechtliche Grundlage für die Ausweitung des Einsatzgebiets gestärkt. Neben der Ausübung von Exekutivfunktionen in direkt an die EU angrenzenden Staaten (wie im Mandat von 2016 vorgesehen) werden künftig auch Exekutivmissionen in Drittstaaten ohne direkte Grenze mit einem Mitgliedsstaat möglich sein, sofern ein Statusabkommen besteht. Ebenso kann die Agentur vorübergehende Außenstellen, sogenannte „Antenna Offices“, in Drittländern eröffnen, um die für ihre operative Tätigkeit erforderliche Koordination und Logistik zu gewährleisten. Mit anderen Worten: Die Agentur Frontex ist nicht mehr nur an den Land- und Seeaußengrenzen der EU oder in der näheren Nachbarschaft tätig, sondern kann ihre nachrichtendienstlichen und Strafverfolgungsmaßnahmen weitgehend in den Grenzvorbereich der EU verlagern. Den derzeitigen Aktivitäten von Frontex nach zu urteilen, ist dieser Grenzvorbereich immens: Er umschließt den gesamten Westbalkan, erstreckt sich bis zum Südkaukasus, umfasst große Teile Nordafrikas und reicht sogar bis in die Sahelregion.

Ein aufsteigender Stern, der viele politische und juristische Kontroversen auslöst

Diese expansive institutionelle, operative und geographische Entwicklung von Frontex bleibt augenscheinlich nicht länger unbemerkt. Die erheblich gewachsene Rolle der Agentur, insbesondere als Reaktion auf den beispiellosen Migrationsdruck von 2015, ruft Unzufriedenheit und Kritik hervor. Ein Indiz dafür ist die wachsende Zahl von (quasi-) gerichtlichen Verfahren, an denen die Agentur auf EU-Ebene beteiligt ist. Der Europäische Bürgerbeauftragte beispielsweise hat sich kürzlich mit mehreren Beschwerden gegen Frontex befasst: Neben Problemen im Zusammenhang mit Grundrechtsverletzungen (siehe z.B. die aus eigener Initiative eingeleitete Untersuchung zu gemeinsamen Rückführungsmaßnahmen), stellt die unbefriedigende Handhabung von Dokumenteneinsichtsgesuchen und Informationsanfragen ein zentrales Beschwerdethema dar (wie diese Entscheidung veranschaulicht). Transparenz war auch ein Thema für die EU-Gerichte: Erst vor einigen Wochen hat das Gericht in Luxemburg eine Frontex relativ entgegenkommende Entscheidung in einem Fall getroffen, der den Zugang zu Dokumenten im Zusammenhang mit Seeoperationen betrifft, die von der Agentur im zentralen Mittelmeerraum durchgeführt werden. Es gibt in der Tat viele politische Debatten und rechtliche Kontroversen über Frontex und die Art und Weise, wie die Agentur zusammen mit den Mitgliedstaaten die Verwaltung und Kontrolle der Außengrenzen ausführt. Ohne die geäußerte Kritik in Frage stellen zu wollen, die sich hauptsächlich um zu viel unkontrollierte Macht dreht, ist es fair festzuhalten, dass Frontex weiterhin an der Seite nationaler Behörden agiert, welche die Hauptverantwortung für die Kontrolle ihrer Außengrenzen tragen und das Kommando und die Kontrolle ausüben. Die Agentur hat also weder die Mittel noch das Mandat, unabhängig oder ohne die Genehmigung des jeweiligen Mitgliedsstaats zu handeln. Dennoch bleibt die Rechenschaftspflicht der Agentur für Menschenrechtsverletzungen ein Zankapfel, insbesondere wenn Frontex Exekutivfunktionen in Drittländern oder in Flüchtlingslagern (EU-Hotspots) an der Außengrenze ausübt sowie im Zusammenhang mit Rückführungsmaßnahmen.

Am 1. März 2020 hat die griechische Regierung das Gesuch an Frontex gerichtet, den lokalen Behörden bei der Bewältigung der beachtlichen Migrationsströme an der (See-) Grenze zur Türkei durch die Entsendung eines Soforteinsatzteams unter die Arme zu greifen. Die bereits entsandten 500 Beamten und Fachleute sollen durch das Soforteinsatzteam, das rund 100 zusätzliche Beamte und Fachkräfte umfasst, sowie weitere Ausrüstung (wie Schiffe, Helikopter und Flugzeuge) unterstützt werden. Diese operative Aufstockung soll bis Mitte März erfolgen. Die verstärkte Einbindung von Frontex in die Bewältigung der humanitären Krise an der EU-Außengrenze, die sich in Folge des Syrienkonflikts abzeichnet, wird aller Voraussicht nach bestehende Debatten über die Menschenrechtsstandards und -praxis der Grenzschutzagentur befeuern.

Anmerkung:

Dieser Beitrag erschien in englischer Sprache (und in leicht unterschiedlicher Fassung) am 3. Februar 2020 auf dem Verfassungsblog.

BA

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