Neutronenstern mit elf Kilometer Radius

Forschende bestimmen die Größe dieser exotischen Objekte genauer als je zuvor

Ein internationales Team unter der Leitung von Forschenden des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik hat die Größe von Neutronensternen auf neue Weise ermittelt. Dazu kombinierten die Wissenschaftler ein theoretisches Modell der Sternmaterie mit Beobachtungen der Neutronensternverschmelzung GW170817 vom August 2017. Die Ergebnisse sind um den Faktor zwei präziser als bisherige Messungen und zeigen, dass ein typischer Neutronenstern einen Radius von rund elf Kilometern hat.

Neutronensterne sind kompakte, extrem dichte Überreste von Supernova-Explosionen. Sie sind etwa so groß wie eine Stadt und wiegen bis zu zweimal so viel wie unsere Sonne. Wie sich die neutronenreiche, extrem dichte Materie verhält, ist rätselhaft. Die Astrophysiker haben verschiedene Zustandsgleichungen vorgeschlagen, aber sie wissen nicht, welches dieser Modelle, und ob überhaupt eines, die Materie der Neutronensterne korrekt beschreibt.

Verschmelzungen von zwei Neutronensternen – so wie das Ereignis GW170817, das Astronomen im August 2017 mit Gravitationswellen und im gesamten elektromagnetischen Spektrum beobachteten – sind die spannendsten astrophysikalischen Ereignisse, wenn es darum geht, mehr über Materie unter Extrembedingungen und die zugrundeliegende Kernphysik zu erfahren. Daraus können die Wissenschaftler wiederum Eigenschaften wie Radius und Masse von Neutronensternen bestimmen.

„Verschmelzungen von Neutronensternen sind eine wahre Informationsgoldmine“, sagt denn auch Collin Capano, Forscher am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut, AEI) in Hannover und Erstautor der Studie in Nature Astronomy. Neutronensterne enthalten die dichteste Materie im beobachtbaren Universum. Sie sind so dicht und kompakt, dass man sich den gesamten Stern als einen Atomkern vorstellen kann. „Indem wir die Eigenschaften dieser Objekte messen, können wir die fundamentale Physik verstehen, die das Verhalten von Materie auf subatomarer Ebene bestimmt“, so Capano.

Das von seinem Team verwendete Modell basiert auf einer grundlegenden Beschreibung davon, wie subatomare Teilchen bei den hohen Dichten im Innern von Neutronensternen miteinander wechselwirken. Bemerkenswert ist, dass die Forschenden theoretische Berechnungen auf Längenskalen von weniger als dem Billionstel eines Millimeters mit Beobachtungen eines astrophysikalischen Objekts in mehr als hundert Millionen Lichtjahre Entfernung vergleichen können.

„Es ist unvorstellbar“, sagt Collin Capano. „GW170817 entstand bei der Kollision zweier stadtgroßer Objekte vor 120 Millionen Jahren, als die Dinosaurier auf der Erde herumspazierten.“ Dies geschah in einer Galaxie, die eine Milliarde Billionen Kilometer entfernt ist. Und daraus ließen sich kernphysikalische Erkenntnisse gewinnen.

Die Wissenschaftler wählten Neutronenstern-Modelle aus, die zum einen mit den Gravitationswellen-Beobachtungen von GW170817 aus öffentlichen Daten der Detektoren LIGO in den USA und Virgo in Italien übereinstimmen, zum anderen bei der Verschmelzung einen kurzlebigen hyper-massereichen Neutronenstern erzeugen. Drittens stimmten die Modelle mit bekannten Obergrenzen der Neutronenstern-Masse überein, welche die Astrophysiker aus elektromagnetischen Beobachtungen der Quelle von GW170817 ermittelten.

Das Ergebnis: „Ein typischer Neutronenstern mit der 1,4-fachen Masse unserer Sonne hat einen Radius von etwa elf Kilometer“, sagt Badri Krishnan, Leiter der Forschungsgruppe am AEI Hannover. „Die Resultate begrenzen den Radius auf einen Bereich zwischen höchstwahrscheinlich 10,4 und 11,9 Kilometern. Das ist um den Faktor zwei präziser als bisherige Messungen.

„Diese Ergebnisse sind nicht nur deswegen spannend, weil wir die Messungen von Neutronensternradien erheblich verbessern konnten. Sie ermöglichen uns auch Einblicke in das endgültige Schicksal der Neutronensterne bei der Verschmelzung von Doppelsystemen“, sagt Stephanie Brown, Co-Autorin der Publikation und Doktorandin am AEI Hannover.

Denn Neutronensterne können nicht nur miteinander verschmelzen, sondern auch mit einem schwarzen Loch. Geschieht dies, dann werden die Neutronensterne in den meisten Fällen wahrscheinlich am Stück verschluckt. Dies fand das Team ebenfalls heraus. „Nur dann, wenn das schwarze Loch sehr klein ist oder sich schnell dreht, kann es den Neutronenstern vor dem Verschlucken zerreißen. Und nur dann können wir erwarten, neben Gravitationswellen auch etwas im elektromagnetischen Spektrum zu sehen“, sagt Collin Capano. Eine solche Multi-Messenger-Beobachtung wird bei Verschmelzungen gemischter Doppelsysteme demnach unwahrscheinlich sein.

KNI / HOR

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