Kugelsternhaufen im Magnetwind

Die Beobachtung von Pulsaren in 47 Tucanae liefert neue Erkenntnisse über den Halo der Milchstraße

Das Magnetfeld der Milchstraße spielt eine wichtige Rolle bei der Entwicklung unserer Galaxis. Allerdings wissen wir noch sehr wenig über seine Struktur im Einzelnen. Unbeantwortet blieb bisher auch die Frage, ob sich das Magnetfeld in den Außenbereich der Galaxis – im Halo – fortsetzt. Ein Team unter der Leitung von Federico Abbate vom Bonner Max-Planck-Institut für Radioastronomie fand jetzt tatsächlich ein unerwartet starkes Magnetfeld in Richtung des Kugelsternhaufens 47 Tucanae im Halo der Milchstraße. Die Ausrichtung des Magnetfelds rührt von der Wechselwirkung mit einem galaktischen Wind her – einem magnetisierten Ausfluss der galaktischen Scheibe in den umgebenden Halo.

Die Kenntnis von Struktur und Stärke des Magnetfelds der Galaxis erscheint wichtig für ein vollständiges Bild unserer Milchstraße. Denn Magnetfelder beeinflussen die Sternentstehung, regulieren die Ausbreitung von hochenergetischer Teilchenstrahlung und helfen dabei, die vermutete Existenz von Gasausflüssen aus der Scheibe der Milchstraße in den umgebenden Halo zu bestätigen. Doch der großräumige Verlauf von Magnetfeldern im Halo ist bis jetzt nicht vollständig bekannt.

Magnetfelder lassen sich normalerweise nicht direkt beobachten. Stattdessen nutzen Wissenschaftler ihren Einfluss auf Plasma von geringer Dichte in der galaktischen Scheibe. Im Plasma sind Elektronen von Atomkernen getrennt und wirken wie winzige Magnete. Die Elektronen werden vom Magnetfeld angezogen und in Umlaufbahnen um die magnetischen Feldlinien gezwungen. Bei diesem Prozess entsteht langwellige Synchrotronstrahlung.

Neben der direkt ausgesandten Strahlung beeinflussen freie Elektronen im Plasma auch die Ausrichtung der sogenannten polarisierten Strahlung: So schwingt das elektromagnetische Feld von polarisierten Radiowellen jeweils in derselben Ebene. Außerdem wird die Richtung von Elektronen in einem magnetischen Medium frequenzabhängig verändert; dieser als Faraday-Rotation bekannte Effekt lässt sich ebenfalls in Radiowellen messen.

Aus der polarisierten Radiostrahlung können die Astronomen das Magnetfeld innerhalb der galaktischen Scheibe deshalb recht gut belegen, weil die Dichte des Plasmas dort groß genug ist. Im galaktischen Halo hingegen ist die Plasmadichte für einen direkten Nachweis zu gering. Aus diesem Grund war es bisher nicht möglich, Ausrichtung und Stärke des Magnetfelds im Halo zu bestimmen.

Zudem ließen Modellvorhersagen keine Unterscheidung zwischen paralleler oder senkrechter Ausrichtung zur galaktischen Scheibe zu. Und auf die Existenz eines magnetischen Ausflusses aus der Scheibe in den Halo schlossen die Forscher nur indirekt aus dem Vergleich mit anderen Galaxien.

Um das Magnetfeld im Halo genauer zu untersuchen, richteten die Astrononen ihr Augenmerk auf 47 Tucanae. Dieser eindrucksvolle Kugelsternhaufen lässt sich schon mit bloßem Auge im Sternbild Tukan am Südhimmel erkennen. Was das etwa 15.000 Lichtjahre entfernte Objekt für die Forschung besonders interessant macht, ist seine Lage in einem relativ ungestörten Bereich des galaktischen Halos, der nur wenige Sterne und auch sehr wenig Gas enthält.

Im Jahr 1990 entdeckte das 64-Meter-Radioteleskop im australischen Parkes in 47 Tucanae den ersten Pulsar. Heute kennen die Forscher in dem Kugelsternhaufen insgesamt 25 solcher rasch rotierenden Neutronensterne, die extrem regelmäßig Signale aussenden. Aus diesen Signalen lässt sich das „Dispersionsmaß“ bestimmen – die Verzögerung in der Ankunftszeit der Einzelpulse bei unterschiedlichen Frequenzen.

Die Verzögerung hängt ab von der Dichte der freien Elektronen auf der Sichtlinie zwischen Pulsar und Erde. „Bereits im Jahr 2001 ist uns aufgefallen, dass die Pulsare auf der rückwärtigen Seite des Kugelsternhaufens ein höheres Dispersionsmaß zeigen als diejenigen auf der Vorderseite. Das ist ein direkter Hinweis auf die Existenz von Gas in 47 Tucanae“, sagt Paulo Freire vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie.

Neuere Beobachtungen der Pulsare in 47 Tucanae – ebenfalls am Parkes-Radioteleskop gewonnen – ermöglichten die Bestimmung ihrer polarisierten Radiostrahlung und der oben erwähnten Faraday-Rotation. Daraus leiteten die Forscher ein überraschend starkes Magnetfeld in dem Kugelsternhaufen ab. Es ist tatsächlich so stark, dass es darin nicht selbst erzeugt werden kann, sondern eine externe Quelle im galaktischen Halo erfordert.

Als Quelle vermuten die Astronomen einen galaktischen Wind, der die Ausrichtung des Magnetfelds senkrecht zur galaktischen Scheibe erklären könnte. Zudem würde die Wechselwirkung dieses galaktischen Winds mit dem Kugelsternhaufen eine Stoßwelle erzeugen, die das Magnetfeld auf die beobachteten Werte verstärkt.

„Die Pulsare in 47 Tucanae ermöglichen uns damit einen einzigartigen und bisher nicht gekannten Einblick in die großräumige Struktur des Magnetfelds im galaktischen Halo”, sagt Federico Abbate, Erstautor der Veröffentlichung in der Zeitschrift Nature Astronomy. Der Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Radioastronomie hat die Daten als Teil seiner Doktorarbeit an der Universität von Mailand Bicocca und am INAF-Observatorium Cagliari analysiert.

Hieraus ergibt sich eine neue Beobachtungstechnik, um Magnetfelder im Halo der Milchstraße zu untersuchen. Der Kugelsternhaufen 47 Tucanae gilt als ein hervorragendes Zielobjekt für Messungen mit dem neuen MeerKAT-Radioteleskop in der südafrikanischen Halbwüste Karoo, das aus 64 Schüsseln mit je 13,5 Metern Durchmesser besteht.

„In naher Zukunft wird MeerKAT die Polarisationsbeobachtungen deutlich verbessern und nicht nur die Existenz des galaktischen Winds bestätigen, sondern auch Messzahlen für seine Eigenschaften liefern”, sagt Andrea Possenti vom INAF-Observatorium Cagliari. Zudem ist dieses Radioteleskop empfindlich genug, um weitere Kugelsternhaufen im galaktischen Halo zu untersuchen.

HOR / NJ

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