Modifizierter Tuberkulose-Impfstoff als Therapie gegen Blasenkrebs

Eine Therapie mit VPM1002 ist bei Blasenkrebspatienten wirksam

Das Immunsystem des Menschen kann nicht nur Krankheitserreger erkennen und beseitigen, sondern auch Krebszellen. Deshalb können Behandlungen mit abgeschwächten Krankheitserregern dem Immunsystem beim Kampf gegen Krebs helfen. Forscher des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie in Berlin haben den Tuberkulose-Impfstoff BCG genetisch so verändert, dass er das Abwehrsystem gezielter stimuliert. Dadurch schützt der neue Impfstoff deutlich besser vor Tuberkulose. Nun hat sich in einer klinischen Studie mit Blasenkrebspatienten gezeigt, dass bei fast der Hälfte der Patienten, die zuvor nicht auf die BCG-Therapie ansprachen, eine Therapie mit VPM1002 ein Wiederauftreten der Tumore erfolgreich verhindern kann. Die Ergebnisse könnten zur vorzeitigen Zulassung des Medikaments in der Blasenkrebstherapie führen, damit möglichst viele Patienten schnell davon profitieren können.

Schon Ende des 19. Jahrhunderts beobachteten Ärzte, dass bei manchen Krebspatienten der Tumor schrumpfte, wenn sie durch eine bakterielle Infektion an hohem Fieber litten. Dies war der Grundstein für die Immuntherapie von Krebs. Dabei können diese Behandlungen gezielt das Immunsystem stimulieren. Somit wird das körpereigene Immunsystem im Kampf gegen den Tumor unterstützt, was zum Rückgang eines Tumors führt.

Der bereits in den 1920er Jahren eingeführte Tuberkulose-Impfstoff Bacille Calmette-Guérin (BCG) enthält abgeschwächte Erreger der auch auf den Menschen übertragbaren Rinder-Tuberkulose. In Tests in den 1970er Jahren zeigte sich BCG gegen Blasenkrebs wirksam, einer der häufigsten Tumorerkrankungen in Europa.

Behandlung der Harnblase mit abgeschwächten Erregern

Immuntherapien solider Tumore sind häufig wenig erfolgreich, der Einsatz von BCG bei Harnblasentumoren entwickelte sich jedoch zu einer Standardtherapie. Bei der Behandlung wird die Harnblase über sechs Wochen immer wieder mit dem abgeschwächten Erreger gespült. Dadurch wird eine Immunreaktion ausgelöst, die sich zwar nicht spezifisch gegen den Tumor richtet, jedoch körpereigene Killerzellen aktiviert, die die veränderten Zellen abtöten.

Der Anteil der Patienten, die nach BCG-Therapie den Krebs vollständig bekämpfen können, ist jedoch gering. Zudem haben die Spülungen mit BCG so gravierende Nebenwirkungen wie Fieber, Inkontinenz oder grippeähnliche Symptome, dass viele Patienten die Therapie vorzeitig abbrechen. Bei 30 bis 40 Prozent der Patienten kommt der Tumor wieder zurück. In solchen Fällen muss die Harnblase komplett entfernt werden.

Weiterentwicklung des Impfstoffs

Stefan Kaufmann vom Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin hat zusammen mit Kollegen den BCG-Impfstoff weiterentwickelt. Die Forscher veränderten die abgeschwächten Tuberkulose-Bakterien so, dass sie besser vom Immunsystem erkannt werden. „Der neue Impfstoff VPM1002 wird wie BCG von Fresszellen des Immunsystems aufgenommen, die daraufhin ihre Ziele – Tuberkulose-Bakterien und Krebszellen – besser erkennen können“, erklärt Kaufmann. Mit VPM1002 konnte bereits ein verbesserter Schutz gegen die Infektion von Tuberkulose-Bakterien verzeichnet werden.

VPM1002 wird vom größten Impfstoffhersteller der Welt, dem Serum Institut of India in Zusammenarbeit mit der in Hannover ansässigen Vakzine Projekt Management GmbH (VPM) entwickelt. Nun wurde unter Leitung von Cyrill A. Rentsch, Universitätsspital Basel, Schweiz, gemeinsam mit der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für Klinische Krebsforschung (SAKK) in einer klinischen Studie (SAKK 06/14) untersucht, ob sich durch den Einsatz von VPM1002 die Entfernung der Harnblase bei Blasenkrebspatienten vermeiden lässt. Eine Phase I-Studie ergab, dass der neue Impfstoff sicher und gut verträglich ist.

In einer Phase II-Studie wurden Blasenkrebs-Patienten behandelt, bei denen der Krebs nach einer Entfernung des Tumors und anschließender Standard BCG-Therapie wieder zurückgekehrt war. „Über 49 Prozent der mit VPM1002 behandelten Patienten waren nach 60 Wochen in der Blase tumorfrei“, sagt Leander Grode, der zusammen mit Stefan Kaufmann VPM1002 entwickelte und nun Geschäftsführer von VPM ist. Die tumorfreien Patienten entgehen somit einer Entfernung der Blase.

Schnelle Zulassung in Europa

Die beindruckenden Ergebnisse bestärken die Entwickler darin, ehest möglich eine vorzeitige Marktzulassung zu beantragen. Dadurch können Blasenkrebspatienten, die auf die herkömmliche Therapie nicht mehr ansprechen, möglichst schnell von dem neuen Medikament profitieren und somit bei Ansprechen der Therapie mit VPM1002 einer Entfernung der Harnblase entgehen. Nun sind Gespräche mit der Europäischen Arzneimittelagentur geplant, um möglichst schnell eine europaweite Zulassung zu erreichen.

Das Serum Institute of India ist ein starker Partner, der die benötigte Menge an Arzneimittel zügig herstellen kann und dessen Strategie auch weiter in die Krebstherapie geht. „Ich bin sehr beeindruckt über die positiven Ergebnisse von VPM1002 in der Behandlung von Blasenkrebs. Mit den neusten und einzigartigen Herstellungsmethoden werden wir den weltweiten Bedarf an VPM1002 einfach abdecken können und somit jedem Patienten diese Therapie zur Verfügung stellen können,“ sagt Adar C. Poonawalla, Geschäftsführer von SIIPL.

Die dem Impfstoff VPM1002 zugrundeliegende Technologie wurde von Max-Planck-Innovation, der Technologietransfer-Organisation der Max-Planck-Gesellschaft, lizenziert. „Wir sind froh, dass wir mit VPM den geeigneten Lizenznehmer zur Weiterentwicklung der bereits exzellenten Grundlagenforschungsergebnisse aus der MPG gefunden haben. Obwohl VPM damals keine etablierte Impfstofffirma gewesen ist, konnte das Unternehmen mit großer Zielstrebigkeit und Ausdauer die Effektivität und Sicherheit des Impfstoffs bei Blasenkrebs demonstrieren. Wir würden uns freuen, wenn den Patienten durch diese Ergebnisse bereits in naher Zukunft eine wirkungsvolle Therapie ermöglicht würde“, so Dieter Link, Patent- und Lizenzmanager von Max-Planck-Innovation.

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