Forschungsbericht 2019 - Friedrich-Miescher-Laboratorium für biologische Arbeitsgruppen in der Max-Planck-Gesellschaft

Maßgeschneiderte und optimierte Signalmoleküle aus dem Computer

Autoren
ElGamacy, Mohammad; Müller, Patrick
Abteilungen
Systems Biology of Development and Disease
Zusammenfassung
Wir verwenden einen interdisziplinären Ansatz, der rechnergestützte Chemie, Biophysik und Entwicklungsbiologie kombiniert, um neue hämatopoetische Signalaktivatoren und -inhibitoren zu designen. Die Strukturen unserer neuen Signalmoleküle stimmen mit unseren theoretischen Berechnungen atomgenau überein. Die Wachstumsfaktoren sind hochaktiv und fördern während der Zebrafisch-Entwicklung die Differenzierung spezifischer Blutzellen. Unser Ansatz erscheint deshalb äußerst vielversprechend, um Signalmoleküle mit neuartigen Funktionen für zukünftige klinische Anwendungen zu konstruieren.

Botschaften von Zelle zu Zelle

Zellen verständigen sich über Signalmoleküle, die von sendenden zu empfangenden Zellen transportiert werden, um dort spezifische Antworten auszulösen. Extrazelluläre Wachstumsfaktoren beispielsweise binden an spezielle Rezeptoren auf der Zelloberfläche, die ihrerseits das Signal in intrazelluläre Reaktionen umwandeln. Wachstumsfaktoren steuern die unterschiedlichsten Prozesse – von der Embryonalentwicklung bis zur Immunantwort und Krebsentstehung. Auch die Differenzierung von Blutzellen aus Vorläufer-Stammzellen wird durch sogenannte hämatopoetische Wachstumsfaktoren gesteuert. Patienten, die aufgrund einer verminderten Anzahl weißer Blutkörperchen an wiederkehrenden Infektionen leiden, können durch Verabreichung von rekombinanten hämatopoetischen Wachstumsfaktorproteinen geheilt werden. Aufgrund der extrem niedrigen Proteinstabilitäten dieser hämatopoetischen Wachstumsfaktoren sind jedoch wiederholte Injektionen erforderlich, um eine angemessene Anzahl weißer Blutkörperchen aufrechtzuerhalten. Daher ist es von hoher klinischer Relevanz, die von Wachstumsfaktoren übermittelten Botschaften gezielt zu verstärken, um Behandlungsstrategien für Patienten zu verbessern.

Auch Tumore machen sich Signalmoleküle zunutze, um ihr eigenes Wachstum zu fördern. So wird zum Beispiel die Bildung von Blutgefäßen, die den Tumor mit Nährstoffen versorgen, durch angiogene Wachstumsfaktoren gesteuert. Die gezielte Hemmung dieser angiogenen Wachstumsfaktoren über lange Zeiträume könnte deshalb dazu beitragen, die Krebsbildung und das Tumorwachstum zu verhindern.

De-novo-Proteindesign

Die Entwicklung neuartiger Signalagonisten und -antagonisten mit verbesserten Funktionalitäten ist eine große wissenschaftliche Herausforderung. Dies liegt an der enormen Anzahl möglicher Kombinationen, mit denen die Reihenfolge der Aminosäuren in einem Protein angeordnet werden kann. So gibt es bereits für ein relativ kleines Protein mit nur 100 Aminosäuren 20100 mögliche Sequenzen – diese Anzahl übersteigt die Anzahl der Atome im Universum! Daher sind intelligente Design-Strategien erforderlich, um die Anzahl der möglichen Proteine in eine überschaubare Menge von Kandidaten aufzuteilen, die experimentell getestet werden können. Intelligente Proteindesign-Strategien basieren auf umfangreichen physikalischen Berechnungen, um die möglichen Sequenzen und ihre Faltung in dreidimensionale Konformationen zu evaluieren und somit die richtige Molekülform und -funktion zu erzielen. Dafür entwickeln wir neue Methoden mit dem Ziel, unser Verständnis der Faltung und Funktion von Proteinen zu verfeinern und zu verbessern und neuartige pharmakologische Wirkstoffe auf Proteinbasis zu entwickeln.

Entwicklung neuer Botenstoffe

Um neuartige Signalagonisten und -antagonisten mit maßgeschneiderten Eigenschaften zu entwickeln, verfolgen wir verschiedene Strategien. Eine Strategie besteht darin, natürliche Wachstumsfaktoren in einfachere und robustere Formen umzuwandeln, indem ihre Sekundärstrukturelemente mit maximaler Stabilität in neue Topologien verkettet werden. Eine andere Strategie beruht auf der Neofunktionalisierung von Proteinen, indem die funktionellen tertiären Struktur-Epitope von natürlichen Wachstumsfaktoren auf neue Proteine verpflanzt werden. Mit diesen beiden Strategien ist es uns gelungen, neuartige hämatopoetische Proteine zu designen, deren experimentell ermittelte Strukturen mit unseren theoretischen Vorhersagen mit hoher Genauigkeit auf atomarer Ebene übereinstimmen. Die neuen Proteine haben drastisch verbesserte Proteinstabilitäten und weisen hohe Wachstumsfaktor-Aktivität in zellbasierten Versuchen auf, obwohl sie keinerlei Sequenzhomologie mit der ursprünglichen Designvorlage teilen. Bemerkenswerterweise können die neuen hämatopoetischen Wachstumsfaktoren sogar überzählige weiße Blutkörperchen induzieren, wenn sie in lebende Zebrafisch-Embryonen injiziert werden (Abb. 1). Dies eröffnet neue therapeutische Möglichkeiten zur Unterstützung des Immunsystems von Patienten mit langwirksamen hämatopoetischen Proteinen.

In einem anderen experimentellen Ansatz haben wir Berechnungsverfahren mit ultrahohem Durchsatz für das Aufspüren von Protein-Protein-Interaktionen entwickelt, um Moleküle zu erzeugen, die bestimmte Interaktionen – nämlich das Andocken von Signalmolekülen an ihre Zelloberflächenrezeptoren – hemmen. Mit dieser Strategie können wir de novo Signal-Antagonisten erstellen, die vordefinierte Konformations-Epitope angreifen. Auf diese Weise haben wir hochaffine Bindemoleküle entwickelt, die auf krebsfördernde Wachstumsfaktoren abzielen und deshalb vielversprechende Kandidaten für die künftige Hemmung der Vaskularisierung von Tumoren darstellen. Unser Ansatz hat so das Potenzial einer direkten Entwicklungspipeline vom theoretischen Design neuartiger Signalagonisten und -antagonisten bis hin zu Funktionstests in lebenden Zebrafisch-Embryonen – eine attraktive Alternative zu den bestehenden aufwändigen und kostspieligen Screeningtechnologien.

Ausblick

In Zukunft werden wir unsere Strategien für das de-novo-Design von Signalagonisten und -antagonisten weiter verbessern und verallgemeinern. Wir werden unsere Ansätze auf eine größere Anzahl von Zielmolekülen ausdehnen, wobei wir uns insbesondere auf Wachstumsfaktoren konzentrieren, die für Entwicklungsvorgänge, Tumorentstehung und hämatologische Störungen relevant sind. Der nächste Schritt unserer Forschung besteht darin, Proteine mit chemischen Eigenschaften zu konstruieren, die über die Möglichkeiten des natürlichen Alphabets mit 20 Aminosäuren hinausgehen. Obwohl dieser Ansatz die kombinatorische Komplexität von Polypeptidsequenzen noch weiter erhöhen wird, ebnet er aber auch den Weg für eine dichtere Informationskodierung für vielfältigere strukturelle, chemische und funktionelle Eigenschaften.

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht