Einfach mal treiben lassen
Windrichtung bestimmt Brutgebiete von Strandläufern
Männliche Graubruststandläufer besuchen in der Regel mehrere Nistplatzorte während des kurzen arktischen Sommers. Dabei entscheiden sie wohl spontan, in welche Richtung sie als nächstes fliegen: Je nach dem, wohin der Wind sie trägt. Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen haben mittels Satellitentelemetrie-Sendern die Flugbahnen von 80 Männchen verfolgt und herausgefunden, dass Brutgebiete in der russischen Arktis eher mit Rückenwind besucht werden. In der Arktis, wo der Sommer kurz und die Brutgelegenheiten unvorhersehbar sind, können die Tiere durch die Unterstützung des Winds wahrscheinlich Zeit und Energie sparen.
Graubruststrandläufer (Calidris melanotos) ziehen auch während der Brutzeit über weite Strecken. Nach einer Reise aus den Überwinterungsgebieten auf der Südhalbkugel erstreckt sich ihr Brutgebiet über tausende von Kilometer entlang der Küsten der Arktis. Bei der polygynen Art konkurrieren die Männchen intensiv um die Weibchen. Pflanzen sich die Männchen erfolgreich fort, bleiben sie jedoch nicht bei den Weibchen und den Jungtieren. Die Mehrzahl wandert weiter durch das Brutgebiet auf der Suche nach möglichst vielen weiteren Fortpflanzungsgelegenheiten.
In einer früheren Studie von Bart Kempenaers und Mihai Valcu vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen herausgefunden, dass die Männchen in der vier bis sechs Wochen dauernden Brutzeit bis zu 24 Nistplatzorte besuchen und dabei bis zu 13.000 km zurücklegen. Nun wollten die Wissenschaftler wissen, ob die örtlichen Windbedingungen bei der Entscheidung der Männchen eine Rolle spielt, in welche Richtung sie vom Studiengebiet abfliegen, denn diese entscheidet darüber, ob die Männchen in der russischen oder nordamerikanischen Arktis brüten.
Utqiaġvik (früher Barrow, Alaska) ist die nördlichste Stadt der USA und liegt ungefähr in der Mitte des Brutgebietes der Graubruststrandläufer. Dort haben die Forscher aus Seewiesen über zwei Jahre mit Hilfe von fünf Gramm leichten Satellitentelemetrie-Sendern die Flugbewegungen von insgesamt 80 Männchen aufgezeichnet und die Windunterstützung mit Daten eines globalen Reanalyse Models kalkuliert. Die männlichen Graubruststrandläufer flogen entweder weiter nach Westen nach Russland oder nach Osten in Richtung nordamerikanische Arktis, jedoch war die Anzahl der westlich ziehenden Männchen zwischen den Jahren sehr unterschiedlich.
Mit Rückenwind in den Westen
Männchen, die in den Westen fliegen, profitieren von starken Rückenwinden, während Männchen ostwärts oft mit Gegenwind fliegen. „Die westwärts in die russische Arktis ziehenden Vögel müssen jedoch später eine viel längere Zugstrecke bewältigen“, erklärt Johannes Krietsch, Erstautor der Studie. „Denn die Männchen, die in die kanadische Arktis fliegen, bewegen sich bereits in Richtung Hudson Bay, ein wichtiger Zwischenstopp auf dem Weg in die Überwinterungsgebiete, der auch von den in der russischen Arktis brütenden Männchen genutzt wird.“
Flugbahnen männlicher Graubruststrandläufer im Brutgebiet und Windrichtungen
Viele Männchen fliegen nicht die kürzeste Route zum nächsten potenziellen Nistplatz, sondern in einer großen Schleife über das arktische Meer und nehmen so tausende von Kilometern Umweg in Kauf. Die Daten der Forscher zeigen, dass es wahrscheinlich unerfahrene Vögel sind, die zunächst mit starkem Rückenwind in den Norden fliegen und später die Richtung ändern, um wieder Land zu erreichen. Die Wissenschaftler halten es aber auch für möglich, dass die in Gruppen fliegenden Männchen teils ostwärts und teils westwärts fliegen wollen und sich so letztlich nach Norden orientieren, bis sich die Gruppe in ihre jeweils bevorzugte Richtung aufteilt.
Während der Vogelzug aus und zu den Überwinterungsgebieten oft mit festen Routen verbunden ist, sind die nomadischen Flugbewegungen der Graubruststandläufer im Brutgebiet also abhängig von momentanen Umweltbedingungen und daher zeitlich und örtlich unvorhersehbar. „Auch die Brutgelegenheiten sind für die männlichen Graubruststrandläufer unvorhersehbar“, sagt Bart Kempenaers, Leiter der Studie. „Es bedeutet für die Tiere ein hoher energetischer Aufwand, um ein Territorium und die empfängnisbereiten Weibchen zu kämpfen. Zusätzlich schlafen die Tiere sehr wenig im arktischen Dauertag und stehen unter Zeitdruck, da die Brutzeit in der Arktis sehr kurz ist.“
Tatsächlich zeigen die Daten der Forscher, dass die Tiere nicht auf optimalen Wind bis zum Abflug warten. Vielmehr beeinflussen die Windbedingungen, in welche Richtung und wie weit die Tiere fliegen und daher auch, in welchem Gebiet sie sich letztlich fortpflanzen.