Vergiftete Beute

Florfliegenlarven entschärfen Pflanzengifte anders als ihre pflanzenfressende Beute

19. Dezember 2019

Die chemische Abwehr von Pflanzen wirkt sich nicht nur auf das Wachstum von Pflanzenfressern, sondern indirekt auch auf die nächsten Konsumenten in der Nahrungskette aus. Eine neue Studie des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena zeigt, dass Pflanzenfresser, und auch ihre Räuber effiziente Mechanismen entwickelt haben, um mit giftigen Pflanzeninhaltsstoffen umzugehen. Raupen der Kohlmotte können giftige Substanzen ihrer Wirtspflanze durch ein bestimmtes Enzym in ihrem Darm unschädlich machen. Ohne die Aktivität dieses Enzymes sind Wachstum, Überleben und Vermehrung beeinträchtigt. Räuberische Florfliegenlarven können die vergifteten Raupen ohne ernsthafte negative Folgen fressen, da sie einen eigenen Entgiftungsmechanismus haben.

Um erfolgreich an einer Pflanze zu fressen, müssen Pflanzenfresser Abwehrstoffe, die Pflanzen zu ihrer Verteidigung bilden, überwinden. Eine Gruppe dieser Abwehrstoffe sind sogenannte Senfölglykoside oder Glucosinolate, die unter anderem von allen Kreuzblütengewächsen, wie Kohlgemüse, Brokkoli und Meerrettich, aber auch der Modellpflanze Arabidopsis thaliana, gebildet werden. Senfölglykoside werden leicht zu giftigen Isothiocyanaten umgewandelt. Einige Pflanzenfresser besitzen Mechanismen, um die Bildung von Isothiocyanaten zu verhindern. Dazu gehört auch die Kohlmotte Plutella xylostella. Wie der Name bereits verrät, ist die Kohlmotte ein Schädling, der auf Kohl und verwandte Pflanzenarten spezialisiert ist. Immer wieder kommt es zum Massenauftreten dieser Schmetterlingsart und zu großen wirtschaftlichen Schäden im Anbau von Kohlgemüse weltweit.

Ein Team von Wissenschaftlern der Abteilung Biochemie am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie, Jena, und dem Indian Institute of Science Education and Research in Pune, Indien, wollte herausfinden, ob die Umwandlung der Senfölglykoside mit Hilfe eines bestimmten Enzyms tatsächlich ein Entgiftungsmechanismus ist, der für Wachstum, Überleben und Vermehrung des Schädlings wichtig ist. Außerdem ist die Raupe der Kohlmotte Teil der Nahrungskette, denn sie fällt räuberischen Insekten, wie etwa Florfliegenlarven, zum Opfer. Florfliegenlarven sind gefräßige Räuber mit einer Vielzahl an verschiedenen Beutetieren. Aus diesem Grund werden sie auch als Nützlinge in der biologischen Schädlingsbekämpfung eingesetzt. Die Wissenschaftler stellten sich daher die Frage, welche Auswirkungen Senfölglykoside in Kohlmotten auf ihre Räuber haben.

Enzym zur Entgiftung

Zunächst konnten die Wissenschaftler zeigen, dass Kohlmottenlarven, die an Kreuzblütlern fressen, vermehrt ein Entgiftungsenzym bilden. Hingegen beobachten die Forscher, dass Larven, die das Enzym nicht mehr produzieren konnten, in ihrer Entwicklung deutlich beeinträchtigt waren, wenn sie an Pflanzen fraßen, die Senfölglykoside in ihren Blättern bildeten: Sie wuchsen schlechter und überlebten seltener. Eine chemische Analyse ergab, dass sich in diesen Raupen große Mengen der giftigen Isothiocyanate gebildet hatten.

Für die Forscher ist eindeutig, dass die enzymatische Entgiftung von Senfölglykosiden für das Überleben der Kohlmotten wichtig ist. Daniel Giddings Vassão, Gruppenleiter in der Abteilung Biochemie, der zusammen mit Sagar Pandit vom indischen Partnerinstitut die Studie geleitet hat, gibt aber auch zu bedenken, dass die Bildung des Enzyms für die Raupen mit Kosten verbunden ist: „Obwohl die Kohlmotte von ihrem Entgiftungsmechanismus profitiert, verbraucht sie wichtige Ressourcen. Das können wir daran erkennen, dass sich Kohlmotten auf Pflanzen, die keine Senfölglykoside bilden, noch besser entwickeln. Die Ökologie der Pflanzenabwehr ist sehr komplex. Obwohl ein Schädling Strategien entwickelt hat, die pflanzliche Verteidigung zu überwinden, wird die Pflanze trotzdem weiterhin Abwehrstoffe produzieren, solange die Entgiftung den Schädling Ressourcen kostet.“

Kein Einfluss auf Räuber

Die Wissenschaftler wollten aber nicht nur wissen, wie Raupen der Kohlmotte mit den Pflanzengiften umgehen, sondern ob sich die Abwehrstoffe der Pflanze auf die nächste Stufe der Nahrungskette, also auf räuberische Insekten, die solche Raupen vertilgen, auswirken. „Zu unserer großen Überraschung zeigten sich Florfliegenlarven nicht beeinträchtigt, egal ob ihre Beute giftige Senfölglykoside enthielt oder nicht“, meint Ruo Sun, Erstautorin der Arbeit. Füttert man Florfliegenlarven mit Raupen, die Senfölglykoside entgiften können, oder Raupen, die die hochgiftigen Isothiocyanate enthalten, können kaum Unterschiede beobachtet werden: Zwar wachsen Florfliegen etwas schlechter, wenn sie nur die giftigen Raupen als Nahrungsquelle haben; das beeinträchtigt aber nicht ihre Fitness und ändert auch nichts an ihrer Wahl der Beute. Daraufhin ergaben weitere Untersuchungen, dass auch Florfliegen in der Lage sind, die Isothiocyanate unschädlich zu machen. Dabei nutzen sie aber einen anderen Entgiftungsmechanismus als die Kohlmottenlarven.

Die Ergebnisse sind auch im Hinblick auf die Bekämpfung dieses wirtschaftlich bedeutsamen Schädling von großem Interesse, ist Jonathan Gershenzon, Direktor der Abteilung Biochemie, überzeugt: „Unsere Studie zeigt, dass die Fähigkeit der Kohlmotte, sich erfolgreich an glucosinolathaltigen Gemüsepflanzen, wie Kohl und Brokkoli, zu entwickeln und zu vermehren, davon abhängt, ob sie die Pflanzenabwehrstoffe entgiften kann. Da räuberische Florfliegen einen eigenen Mechanismus für die Entgiftung von Senfölglykosiden haben, könnten zukünftige Bemühungen, die Kohlmotte zu bekämpfen, einen integrierten Ansatz verfolgen: den Entgiftungsmechanismus des Schädlings gezielt stören und gleichzeitig Nützlinge wie die Florfliege einsetzen, die sich nachweislich nicht davon beeinträchtigen lassen, ob dieser Entgiftungsmechanismus in der Kohlmotte funktioniert oder nicht“.

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